Niereninsuffizienz: Wenn die Entgiftung versagt
Eine chronische Niereninsuffizienz führt letztendlich immer zur Dialyse. Wird die Krankheit aber frühzeitig erkannt und richtig behandelt, lässt sich die maschinelle Blutwäsche hinauszögern und die Lebenserwartung der Betroffenen wird deutlich verlängern.
Bei einer chronischen Niereninsuffizienz werden die Nieren dauerhaft geschädigt. Das Gewebe geht allmählich zugrunde, so dass die Funktion der Nieren immer weiter nachlässt. Ursache hierfür können beispielsweise angeborene oder erworbene Nierenerkrankungen sowie Diabetes mellitus sein. Durch die nachlassende Nierentätigkeit kommt es zu einer Reihe von Störungen im Organismus. So reichern sich zum Beispiel harnpflichtige Substanzen wie Harnstoff, Harnsäure oder Kreatinin im Blut an, die in höheren Konzentrationen giftig sind. Sie entstehen tagtäglich bei verschiedenen Stoffwechselvorgängen. Harnstoff fällt bei der Verstoffwechselung von Eiweiß und Harnsäure als Abfallprodukt des Purinstoffwechsels an. Normalerweise werden diese Substanzen über die Nieren mit dem Urin ausgeschieden. Durch die Abnahme des Nierengewebes kommt es außerdem zu Störungen im Wasser-, Elektrolyt- sowie Hormonhaushalt. Die Folgen sind Blutarmut, Bluthochdruck und ein verstärkter Abbau der Knochen (renale Osteopathie). Nimmt die Vergiftung (Urämie) des Körpers überhand, fällt der Patient ins Koma und stirbt schließlich.
Die vier Stadien der Niereninsuffizienz
Eine chronische Niereninsuffizienz durchläuft vier Stadien, die fließend ineinander übergehen (s. Tab.). Eine wirkliche Niereninsuffizienz liegt erst vor, wenn die normale Nierenfunktion um mehr als 50 Prozent abgenommen hat (zweites Stadium). Dieser Grenzwert entspricht der Nierenleistung eines alten Menschen. Denn die Nieren verlieren etwa ab dem 30. Lebensjahr natürlicherweise pro Jahr etwa ein Prozent ihrer Leistung. Im ersten Stadium verläuft die Insuffizienz eher unbemerkt. Daher werden hier weder diätetische noch therapeutische Maßnahmen eingesetzt.
Um zu beurteilen, wie weit die Niereninsuffizienz fortgeschritten ist, werden verschiedene Laborwerte bestimmt. Einer davon ist der Kreatininspiegel im Blut. Kreatinin entsteht während der Muskelarbeit und geht bei Muskelabbau oder -schädigung verstärkt ins Blut über. Beim Gesunden wird es normalerweise vollständig über die Nieren mit dem Urin entfernt. Der Kreatininspiegel liegt beim gesunden Menschen zwischen 0,6 und 1,4 Milligramm (mg) pro Deziliter (dl) Serum. Steigt er an, weist das auf eine verminderte Nierenfunktion hin. Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) gibt an, welche Mengen Flüssigkeit die Nieren pro Zeiteinheit filtrieren. Sie wird wie Kreatinin zur Einteilung der Niereninsuffizienz in die vier Stadien herangezogen. Beim gesunden Erwachsenen liegt sie bei etwa 120 ml pro Minute. Die Kreatinin-Clearance ist ebenfalls ein wichtiger Laborparameter. Sie besagt, wie viel Blut die Nieren pro Minute von dem vorhandenen Kreatinin befreien können. Normal sind Werte zwischen 75 und 160 ml pro Minute. Fällt die Clearance niedriger aus, deutet dies auf eine Nierenstörung hin. Auf eine verminderte Nierenleistung lassen außerdem erhöhte Harnstoff- und Harnsäurewerte schließen.
Ernährung als wichtiger Eckpfeiler der Therapie bei Niereninsuffizienz
Eine große Bedeutung bei der Behandlung nierenkranker Menschen kommt der Ernährung zu. Ein wichtiges Ziel ist es, weniger Eiweiß über die Nahrung aufzunehmen. Die Nieren müssen so weniger Filterleistung erbringen und werden entlastet. Dadurch kann das Fortschreiten der Niereninsuffizienz verlangsamt werden. Zum anderen fallen weniger giftige Abfallprodukte wie Harnstoff oder Guanidinessigsäure aus dem Eiweißstoffwechsel an, so dass der Körper nicht so sehr belastet wird. Experten empfehlen, ab dem zweiten Stadium nicht mehr als 0,8 g Eiweiß pro kg Körpergewicht zu sich zu nehmen. Dies entspricht zwar genau dem Wert, den die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) für gesunde Erwachsene empfiehlt. Gemessen an der durchschnittlichen Eiweißaufnahme der deutschen Bevölkerung von 1,3 g Eiweiß pro kg Körpergewicht bedeutet das aber doch eine deutliche Einschränkung der üblichen Ernährungsweise.Sinkt die glomeruläre Filtrationsrate unter 25 ml/min, sollte die Eiweißaufnahme auf 0,6 g Eiweiß reduziert werden - allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Patient dennoch genug Kalorien aufnimmt. Dieser Punkt muss besonders beachtet werden, da es sonst zu einer Protein-Energie-Mangelernährung (PEM) kommt. Dadurch nimmt nicht nur die Leistungsfähigkeit des Patienten ab und die Krankheitsanfälligkeit zu. Auch die Lebenserwartung von Niereninsuffizienten im letzten Stadium ist erheblich vermindert. So sterben Patienten, die zu Beginn der Dialyse unterversorgt sind, deutlich häufiger schon während der ersten drei Dialyse-Monate bzw. des ersten Jahres an der Dialyse. Wünschenswert ist, dass die Betroffenen normalgewichtig sind. Wurde dem Patienten zu einer Gewichtsabnahme geraten, so ist diese Empfehlung mit fortschreitender Niereninsuffizienz allerdings zu hinterfragen, um die Gefahr einer Mangelernährung zu vermeiden.
Ernährungs-Beratung beugt Unterversorgung bei Niereninsuffizienz vor
Untersuchungen haben gezeigt, dass niereninsuffiziente Patienten, die nicht diätetisch beraten werden, ihre Eiweißzufuhr zwar aus eigenem Antrieb einschränken. Doch gleichzeitig führen sie dann nur noch erschreckend wenig Energie zu. Im dritten Stadium nahmen die untersuchten Patienten weniger als 20 kcal pro kg Körpergewicht zu sich. Das entspricht bei einem 60 kg schweren Menschen gerade einmal 1200 kcal. Die Energiezufuhr sollte aber der eines Gesunden entsprechen, also etwa doppelt so hoch sein. Mit nachlassender Nierenfunktion steigt demnach die Gefahr der Mangelernährung. So ist schätzungsweise ein Drittel aller Dialysepatienten mäßig bis schwer unterversorgt.Die Gründe für eine schlechte Nährstoffversorgung sind vielfältig: Bedingt durch eine zunehmende Vergiftung des Körpers mit harnpflichtigen Substanzen leidet der Patient unter Appetitlosigkeit und gestörtem Geschmacksempfinden. Mit fortschreitender Niereninsuffizienz kommen zudem psychische Belastungen und Depressionen hinzu. Sie tragen ebenso zu einer verminderten Nahrungsaufnahme bei wie weitere Begleiterscheinungen, zum Beispiel zunehmende Immobilität, Vereinsamung und schmerzhafte Nervenleiden. Weitere Gründe sind eine nicht umsetzbare oder ungenießbare Diät, die Angst, das Falsche zu essen, oder die Hoffnung, die Dialyse durch weniger Essen verhindern bzw. hinauszögern zu können.
Ob der Patient mangelernährt ist, kann der Arzt sehr gut durch das Serum-Albumin im Blut bestimmen. Albumine sind Eiweiße, die etwa 52 bis 62 Prozent des Gesamteiweißes im Blutplasma ausmachen. Liegt der Wert über 4,5 mg/dl, weist dies auf einen guten Ernährungsstatus hin. Doch bereits bei einem leichten Absinken des Albuminspiegels auf 3,5 bis 4 mg/dl steigt die Sterblichkeit auf das Doppelte.
Mit Beginn des Dialysestadiums steigt der Eiweißbedarf wieder, da bei der Blutwäsche Eiweiß und Aminosäuren verloren gehen. Es gibt zwei Arten der "künstlichen Niere": Bei der häufig angewendeten Hämodialyse werden dem Blut durch ein externes Gerät zwei- bis dreimal pro Woche über mehrere Stunden harnpflichtige Substanzen, Wasser und Elektrolyte wie Kalium und Natrium entzogen. Aber auch Aminosäuren, Mineralstoffe und wasserlösliche Vitamine, die der Körper benötigt, gehen dabei verloren. Bei der Peritonealdialyse dient das eigene Bauchfell als filternde Membran, über die das Blut täglich gereinigt wird. Dabei kommt es aber im Vergleich zur Hämodialyse zu zusätzlichen Eiweißverlusten, da das Bauchfell durchlässiger ist als die Membranen der Hämodialyse.
Dialyse oft von Muskelabbau begleitet
Patienten mit Hämodialyse wird empfohlen, täglich 1,2 g Eiweiß pro kg Körpergewicht zu essen. Bei der Peritonealdialyse sollten die Patienten aufgrund der höheren und täglichen Eiweißverluste mindestens 1,3 g Eiweiß pro kg Körpergewicht und Tag aufnehmen. Wird dem Organismus weniger Eiweiß zugeführt als er benötigt, kommt es zum Abbau von Muskelgewebe. Das wird dadurch verstärkt, dass sich viele Patienten nur wenig bewegen. Viele fühlen sich zu schlapp und müde, sind depressiv oder leiden an Blutarmut oder Erkrankungen des Bewegungsapparates. Durch den Muskelabbau werden außerdem im Körper Wasser, Kalium und Phosphat freigesetzt, was wiederum negative Folgen auf den Organismus hat. Da der Ruheenergiebedarf im letzten Stadium der Insuffizienz um bis zu 16 Prozent erhöht ist, sollten Dialysepatienten unter 60 Jahren mindestens 35 kcal und ältere Patienten mindestens 30 kcal pro kg Körpergewicht zu sich nehmen.
Niereninsuffizienz: Viel Eiweiß, wenig Phosphat
Durch eine hohe Eiweißaufnahme fallen automatisch mehr Harnstoff und Phosphat im Körper an. Um den Knochenstoffwechsel nicht negativ zu beeinflussen, wird den Patienten empfohlen, maximal 1200 mg Phosphat am Tag aufzunehmen. Diese Menge wird aber leicht überschritten, wenn der Patient mehr als 80 g Eiweiß pro Tag essen soll. Denn eiweißreiche Lebensmittel enthalten gleichzeitig relativ viel Phosphat. Die Auswahl eiweißreicher, phosphatarmer Lebensmittel wie Weichkäse, Sahne-Wasser-Gemisch oder Quark statt Joghurt sollte deshalb im Vordergrund stehen. Allerdings sind diese Maßnahmen erst nötig, wenn die Phosphatwerte im Serum erhöht sind. Bei erhöhtem Kaliumspiegel im Blut sollte die tägliche Kaliumzufuhr auf 2000 mg pro Tag eingeschränkt werden. Dies gilt auch schon vor Beginn der Dialyse. Denn reichert sich Kalium im Organismus an, kann das zu Muskellähmungen und Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzstillstand führen. Die gezielte Auswahl von kaliumarmem Obst und Gemüse, spezielle Zubereitungstechniken von Kartoffeln und Eintöpfen (s. Kasten), der begrenzte Verzehr von Nüssen, Trockenfrüchten und Vollkornprodukten tragen zu einer verminderten Kaliumzufuhr bei.
Niereninsuffizienz: Ödeme durch zu viel Flüssigkeit
Mit abnehmender Nierenfunktion kommt es häufig zu einer eingeschränkten oder ganz nachlassenden Urinausscheidung. Vor dem letzten Stadium liegt die empfohlene tägliche Flüssigkeitsmenge bei 1,5 bis 2 Litern. Lässt die physiologische Harnausscheidung (Diurese) nach oder treten Ödeme auf, das heißt Wassereinlagerungen im Gewebe, sollte die Flüssigkeitsaufnahme jedoch eingeschränkt werden. Im letzten Stadium der Niereninsuffizienz kann Wasser dann größtenteils nur noch während des Dialysevorgangs aus dem Körper entfernt werden. Daher muss der Patient die Flüssigkeitszufuhr stark einschränken. Das kann er nur erreichen, indem er weniger trinkt. Denn die normale Kost enthält bereits fast ein Liter Flüssigkeit. Zur Orientierung gilt: Trinkmenge = Menge des 24-Stunden-Harns plus 800 ml.Die starke Einschränkung der Flüssigkeitszufuhr ist eine der größten diätetischen Belastungen für den Dialysepatienten. Um den Durst trotz der geringen Trinkmengen zu löschen, ist es hilfreich, Eiswürfel, Zitronen-Schnitze oder zuckerfreie Bonbons zu lutschen und warme statt eiskalte Getränke sowie Bittergetränke zu bevorzugen. Der Griff zum Salzstreuer sollte möglichst unterbleiben. Bei Diabetikern ist außerdem darauf zu achten, dass der Blutzucker gut eingestellt ist. Mahlzeiten auszulassen, um die dabei eingesparte Flüssigkeit der Trinkmenge zuzurechnen, sollte unbedingt vermieden werden. Denn dadurch steigt die Gefahr einer Mangelernährung. Dem Patienten sollte außerdem verdeutlicht werden, dass ein verstärkter Verzehr von Eintöpfen, Suppen, Obst, Gemüse und Joghurt eine Überwässerung begünstigt.
Niereninsuffizienz: Diätetische Betreuung
Die diätetische Betreuung von niereninsuffizienten Patienten ist geprägt von Empfehlungen, die den Patienten zum Teil widersprüchlich erscheinen und damit schwer nachvollziehbar sind. Während vor Beginn der Dialyse eine normale Menge Eiweiß gegessen und viel getrunken werden soll, kehren sich diese Empfehlungen beim Dialysepatienten wieder um. Wesentlich ist, den Betroffenen individuell und praxisnah zu beraten, um ihm das Leben zu erleichtern.
Quelle: Echterhoff, S.: UGB-Forum 2/02, S. 91-94