Wer zahlt den Preis für billigen Wein?
In Südafrika werden die Menschen, die Trauben und Wein für deutsche Supermärkte produzieren, noch immer ausgebeutet. Die Handelsketten und die Politik müssen etwas dagegen tun.
Zum entspannten Abend unter Freunden gehört für viele das obligatorische Glas Wein – gern aus weit entfernten Anbaugebieten wie Südafrika. Doch unter welchen Bedingungen diese Weine produziert werden, weiß kaum jemand. In der westlichen Kap-Provinz, wo die süßen Trauben für Südafrikas berühmten Wein und Tafeltrauben für deutsche Supermarktketten geerntet werden, arbeitet Magrieta Prins. Früher war sie Pflückerin auf den riesigen Traubenfeldern; heute engagiert sie sich als Aktivistin bei „Women on Farms Project“.
Die Frauen setzen sich mit der Menschenrechtsorganisation Oxfam für die Rechte von Landarbeiterinnen ein. Noch vor einigen Jahren hat die 55-Jährige Tag für Tag Trauben geerntet, mit gravierenden Folgen: Die kerngesunde Frau bekam bei der Arbeit immer öfter Asthmaanfälle. Der Arzt vermutete, dass die Pestizide zur Traubenbehandlung der Grund waren. Zusätzlich zu den Atemproblemen schwollen ihre Hände an, platzten auf, sobald sie mit den Trauben in Berührung kam. Auch dies eine Folge der Chemikalien?
Ungeschützter Umgang mit Pestiziden
In Südafrika werden in der Landwirtschaft 67 Pestizide verwendet, die so giftig sind, dass die EU sie längst verboten hat. Die Arbeiterinnen können sich bei der Traubenernte nicht gegen diese Giftstoffe schützen. Zwei Drittel von ihnen bekommen keinerlei Schutz von den Farmbetreibern zur Verfügung gestellt, weder Atemmasken gegen giftige Dämpfe, keine Handschuhe gegen ätzende Stoffe noch Schutzkleidung.
Die Pestizide sind nicht das einzige Problem. 2017 hat Oxfam gemeinsam mit Women on Farms Project die Studie „Billig verkauft – teuer bezahlt“ mit Zeugenaussagen von Landarbeiterinnen veröffentlicht. Jede fünfte Befragte erhält weniger als den Mindestlohn, viele von ihnen werden sexuell belästigt oder müssen dies fürchten. Wehren können sich die Frauen nicht: Nur die wenigsten sind Mitglied einer Gewerkschaft, denn viele Weinbauern verbieten Gewerkschaftern, die Plantagen zu betreten.
Preisdruck des deutschen Handels
Mitverantwortlich an der Situation ist der Preisdruck, den deutsche Supermarktketten auf südafrikanische Exporteure und Produzenten ausüben. Seit dem Jahr 2000 sind die Exportpreise von südafrikanischem Wein nach Deutschland um mehr als 80 Prozent gefallen, die Produktionskosten im Weinanbau sind dagegen in den letzten zehn Jahren um fast 50 Prozent gestiegen. Nur 15 Prozent der südafrikanischen Weinproduzenten arbeiten daher noch profitabel. Den Preisdruck geben die Produzenten nach unter weiter und Weinbauern sparen an Löhnen und Schutzkleidung für die Arbeiter.
Ausbeuterische Arbeitsbedingungen sind nicht auf den Weinanbau beschränkt. In den letzten Jahren hat Oxfam ähnliche Zustände bei Ananas aus Costa Rica, Bananen aus Ecuador oder Meeresfrüchten aus Thailand und Indonesien nachgewiesen. Warum können wir im Supermarkt Wein, Südfrüchte oder Garnelen kaufen, die unter Bedingungen produziert werden, die in Deutschland verboten sind und die niemand unterstützen will? Die Antwort auf diese Frage ist so kompliziert wie eine typische Lieferkette: Zwischen südafrikanischer Traubenfarm und der Weinflasche im Supermarktregal stehen Exporteure, Abfüller und Importeure. Viel Raum, um sich vor der eigenen Verantwortung zu drücken. Am Ende der Lieferkette macht stets der deutsche Einzelhandel beträchtlichen Profit. Ein Oxfam-Bericht von 2018 zeigt, dass bei zwölf typischen Supermarktprodukten von Kaffee bis Bananen die Durchschnittslöhne der Arbeiter unter dem Existenzminimum liegen. Gleichzeitig verdienen die Handelsketten immer mehr an diesen Produkten.
Die Macht der Supermärkte
Die Macht derjenigen, die am Ende der Handelskette stehen, hat weltweit massiv zugenommen. In Deutschland teilen sich nur vier große Ketten 85 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels: die Edeka-, die Rewe-, die Aldi- und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland. Und deutsche Supermärkte sind längst Global Players. Lidl hat mittlerweile Geschäfte in 27 Ländern, Aldi expandiert massiv in Europa. Supermärkte sind damit die Türsteher im globalen Lebensmittelhandel: Zehntausende von Produkten müssen täglich auf dem Weg zu den Verbrauchern an ihnen vorbei. Mit dieser enormen Marktmacht beeinflussen die Handelskonzerne die Lebensmittelproduktion weltweit: Sie diktieren nicht nur die Preise, sondern bestimmen auch das Aussehen der Produkte. Eine Banane etwa muss eine bestimmte Mindestlänge und Dicke haben, um in einem deutschen Supermarktregal zu landen. Ob die Menschen, die die Banane geerntet haben, genug zum Leben verdienen, kontrolliert dagegen niemand.
Die „Supermarkt-Checks“ von Oxfam in den Jahren 2018 und 2019 analysierten die Geschäftspolitik der führenden beziehungsweise am schnellsten wachsenden Ketten in Deutschland, Großbritannien, den USA und den Niederlanden. Die Checks bewerten, wie transparent Supermärkte handeln, ob sie Arbeitsrechte auf Plantagen schützen, was sie für Kleinbauern tun oder wie sie Gewalt gegen Frauen verhindern. Das Ergebnis: Die deutschen Unternehmen schneiden auch im zweiten Jahr schlecht ab. Trotz kleiner Verbesserungen erzielt kein deutscher Supermarkt in der Gesamtwertung mehr als 20 Prozent der möglichen Punkte. Umgerechnet in Schulnoten würde Aldi Süd mit mangelhaft abschneiden, alle anderen würden mit ungenügend durchfallen. Damit nehmen Aldi, Edeka, Lidl und Rewe weiter wirtschaftliche Ausbeutung und Leid in der Lebensmittelproduktion in Kauf.
Verantwortung übernehmen
Die Vereinten Nationen haben längst festgelegt, dass Unternehmer nicht nur im eigenen Betrieb Menschenrechte einhalten müssen, sondern auch dafür verantwortlich sind, dass ihre Geschäftspartner die Menschenrechte achten. In Frankreich etwa sind Unternehmen seit dem vergangenen Jahr gesetzlich haftbar für Menschenrechtsverstöße im Ausland. Die Erfahrung von Magrieta Prins und den anderen Arbeiterinnen im südafrikanischen Weinbau sind keine Einzelfälle, sondern ein grundsätzliches Problem, das man nur mit einer grundsätzlichen Lösung beantworten kann: einem Gesetz, das Menschenrechten Vorrang einräumt und verhindert, dass in Zulieferbetrieben von deutschen Unternehmen Arbeiter ausgebeutet werden. Die Supermärkte und die Politik müssen endlich handeln und dafür sorgen, dass nicht andere die Rechnung für unseren Einkauf zahlen.
Bild © Koreafreund/pixabay.com
Stichworte: Wein, Sozialverträglichkeit, Fairer Handel, Oxfam, Trauben, Pestizide, Menschenrechte, Preisdruck, Supermarkt, Lebensmittelhandel, Agrarpolitik
Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 6/2019
Dem Geschmack auf der Spur
Heft kaufen