Antientzündlich essen

Ungünstige Essgewohnheiten und bestimmte Darmprobleme können unterschwellige Entzündungsreaktionen im Körper auslösen. Mit den richtigen Lebensmitteln und einem gesunden Lebensstil lässt sich diese Gefahr vermindern oder ganz vermeiden.

Eine klassische Entzündung ist eine gesunde Abwehrreaktion des Immunsystems auf krankheitserregende Keime. Abzugrenzen hiervon ist eine unterschwellige, stille Entzündung, die sogenannte Low-Grade-Inflammation oder Silent Inflammation. Dabei handelt es sich um eine schwer erkennbare, daher oft lange unbemerkt bleibende, langanhaltende Entzündung, die selten von selbst ausheilt.

Eine stille Entzündung gilt nicht als Erkrankung, sie ist eher ein Syndrom. Darunter wird eine bestimmte Konstellation von Symptomen, Anomalien oder Störungen verstanden, die sich im weiteren Verlauf zu manifesten Erkrankungen entwickeln kann. Ein anderes Beispiel für ein Syndrom ist das Metabolische Syndrom. Mögliche Begleit- und Folgeerscheinungen der Silent Inflammation zeigt der Kasten.

Mögliche Begleit-und Folgeerscheinungen der Silent Inflammation
  • nachlassende Leistungsfähigkeit
  • Schlafstörungen, chronische Müdigkeit
  • chronische Schmerzen (Kopf/Muskel/Gelenk)
  • steigende Infektanfälligkeit
  • Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Atherosklerose, (viszerale) Adipositas

Fehlernährung und gestörte Darmbariere

Als Ursache sind hier besonders die drei „zu“ im Fokus: zu viel, zu fett, zu süß. Auch ein zu reichlicher Verzehr tierischer Lebensmittel und ein Mangel an entzündungshemmenden und antioxidativen Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen können eine Low-Grade-Inflammation begünstigen. Neben den genannten Ursachen können auch Distress, Rauchen und Schadstoffe wie Schwermetalle eine (Mit-)Ursache sein.

Eine besondere Rolle im Entzündungsgeschehen spielen auch der Darm und die Darmmikrobiota. Die Zellwände bestimmter Darmbakterien enthalten sogenannte Lipopolysaccharide, kurz LPS. Wenn die Bakterien absterben, werden die LPS freigesetzt. Insbesondere bei einer Störung der Darmbarriere und einer erhöhten unkontrollierten Durchlässigkeit des Darms (Leaky Gut) können LPS in den Blutkreislauf übertreten (siehe auch S. 118). Auf diesem Weg gelangen sie dann auch in Binde- und Fettgewebe sowie in die Leber. Bereits bei geringen LPS-Konzentrationen im Blut folgt eine Immunreaktion. Bei einer längeren Belastung kann sich daraus eine Silent Inflammation entwickeln.

Zu viele reaktive Verbindungen

Ein Kennzeichen einer stillen Entzündung ist die vermehrte Bildung Reaktiver-Sauerstoff-Spezies (ROS) oder entsprechender Stickstoffverbindungen (RNS). Die sehr reaktionsfähigen Verbindungen sind zu oxidativen Angriffen auf Körperstrukturen fähig, wie ungesättigte Fettsäuren, Zellmembranen, Lipoproteine, andere Körperproteine und das Erbgut. Diese Stoffwechsellage bezeichnet man daher auch als oxidativen Stress. Andererseits entstehen ROS auch bei zahlreichen Reaktionen wie der Energiegewinnung in den Mitochondrien und bei normalen Immunreaktionen auf pathogene Keime. Deshalb geht es nicht darum, die Entstehung möglichst zu unterdrücken. Der oxidative Status ist ein dynamischer Zustand, der ständig kontrolliert und eingestellt wird. Neben der Zufuhr antioxidativer Nährstoffe verfügt der Organismus über ein Schutzsystem aus zahlreichen antioxidativen Enzymen. Durch eine ungünstige Ernährung kommt diese Balance jedoch in Schieflage.

Ein besonderes Problem: Bauchfett

Viszerale Adipositas ist Fettleibigkeit mit ausgeprägtem Bauchfett. Fett wird dabei nicht als Unterhautfett gespeichert, sondern im Bauchraum zwischen den Bauchorganen eingelagert. Durch das wachsende Fettgewebe werden die weit von den Blutgefäßen entfernten Fettzellen nicht mehr ernährt und sterben ab. Fettsäuren werden freigesetzt, teilweise oxidiert wirken sie als Radikale. Viszerale Fettzellen sind zudem besonders sensibel gegenüber fettabbauenden Hormonen und Enzymen. Deshalb steigt die Konzentration freier Fettsäuren im Blut. Die Glukoseaufnahme der Muskulatur wird vermindert und die Glukosefreisetzung aus der Leber erhöht. Dies führt zum Blutzuckeranstieg und langfristig verringert sich die Insulinwirksamkeit. Zudem produziert das viszerale Fettgewebe Entzündungsfaktoren wie TNF-alpha und Interleukine sowie Hormone, die eine Insulinresistenz noch verstärken. Das Viszeralfett ist besonders empfänglich für stressbezogene Signale, wie die Stresshormone Cortisol und Katecholamine. Die beschriebenen Effekte sind deshalb unter Stress noch verstärkt. Das gesamte Geschehen begünstigt die Entwicklung von Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes.

Besonders ungünstigen Einfluss auf eine Low-Grade-Inflammation hat eine hohe Zufuhr niedermolekularer Kohlenhydrate wie Saccharose, Glukose und Fruktose. Nach einer Mahlzeit ist ein erhöhter Blutzuckerspiegel normal. Anhaltend hohe Mengen im Blut, also eine Hyperglykämie, sind hingegen krankhaft und regen Entzündungsprozesse an. Eine Hyperglykämie wird durch zusätzlichen Bewegungsmangel verstärkt. Dieser Glucoseanstau führt zu metabolischem Stress, das heißt zu gestörten Stoffwechselabläufen und der vermehrten Bildung von ROS und entzündungsfördernden Gewebshormonen, den Zytokinen. Die Auswirkungen einer hohen Fruktosezufuhr aus gezuckerten Erfrischungsgetränken übersteigen diesbezüglich sogar die Wirkung von Glukose und Saccharose. Gleichzeitig werden durch die Reaktion von Zucker- und Proteinmolekülen vermehrt Advanced Glycation End Products (AGEs) gebildet. Sie verstärken die Insulinresistenz und setzen ebenfalls entzündliche Prozesse in Gang. Eine ähnliche Wirkung hat eine überhöhte Fettzufuhr.

Antientzündliche Ernährung schützt

Zum antientzündlichen Essen zählt folglich vor allem die Vermeidung einer Hyperglykämie. Dafür kommt es darauf an, die Qualität der Kohlenhydratzufuhr durch komplexe Kohlenhydrate aus Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten zu verbessern. Diese enthalten verschiedene Substanzen wie Ballaststoffe und Amylaseinhibitoren. Amylaseinhibitoren hemmen und verzögern die Wirkung der stärkeverdauenden Amylasen. Dadurch wird dann der Abbau von Stärke zu Glukose verlangsamt und der Blutzuckerspiegelanstieg wird ebenfalls verzögert. Ähnliche Substanzen sind auch in Nüssen, Ölsaaten und Ölfrüchten zu finden. Aus Ballaststoffen produzieren die Darmbakterien zudem bestimmte kurzkettige Fettsäuren. Diese gelangen nach der Aufnahme ins Blut und unter anderem in die Gelenkflüssigkeit. Dort sorgen sie für eine höhere antioxidative Kapazität und vermindern entzündungsbedingte Gelenkentzündungen, wie Studien belegen.

In Hülsenfrüchten, Kartoffeln und Vollkornprodukten sind außerdem Proteaseinhibitoren enthalten. Sie haben ihren Namen daher, dass sie die Verdauung von Proteinen verzögern können. Ein weiterer Effekt dieser Substanzen besteht darin, dass sie auch antioxidativ wirken, indem sie Radikale abfangen und neutralisieren.

Auch ein Übermaß an Fett kann entzündungsfördernd wirken. Daher gilt es die Fettzufuhr zu verringern. Insbesondere bei einer hohen Aufnahme von Arachidonsäure werden vermehrt entzündungsfördernde Botenstoffe im Körper gebildet. Eine erhöhte Zufuhr verstärkt daher Entzündungsprozesse bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Arachidonsäure wird im Körper in geringen Mengen aus der Omega-6-Fettsäure Linolsäure gebildet und kommt sonst nur in tierischen Lebensmitteln vor, besonders in Fleisch. Die meisten Omega-3-Fettsäuren wirken dagegen entzündungshemmend. Günstig ist es daher, eine ausgewogene Mischung aus Sonnenblumen-, Oliven-, Walnuss-, Lein- und Rapsöl zu verwenden.

Frisches liegt vorn

Eine Reihe von körpereigenen Enzymen – unter anderem die Superoxiddismutase und die Glutathionperoxidase – wirkt oxidativem Stress entgegen. Unterstützung erhalten sie von verschiedenen Antioxidanzien, dazu zählen Chrom, Zink und Selen, die Vitamine C, E und Beta-Carotin, sowie zahlreiche sekundäre Pflanzenstoffe. Zusammen mit anderen Komponenten können sie Entzündungsprozesse und oxidativen Stress abschwächen. Besonders reich an antientzündlich wirkenden Inhaltsstoffen sind Gemüse und Obst. Um den Gehalt bestmöglich auszuschöpfen, sollten sie möglichst mit Schale verzehrt werden. Denn gerade die sekundären Pflanzenstoffe sind insbesondere in der Schale und direkt darunter viel höher konzentriert als im Fruchtfleisch. Bei Tomaten, Paprika und Äpfeln ist dies sehr gut untersucht. So enthält ein Apfel mit Schale etwa so viel Quercetin, ein antioxidatives Flavonoid, wie fünfzehn geschälte Äpfel. Im Hinblick auf Entzündungen punkten Vitamin-C-reiche und damit antioxidanzienreiche Gemüse- und Obstsorten wie Paprika, Kohl, Zitrusfrüchte oder Äpfel. Das antioxidativ wirkende Vitamin E findet sich vor allem in Weizenkeimöl, aber auch in Nüssen und Samen wie Mandeln oder Sonnenblumenkernen.

Antioxidative Pflanzenstoffe

  • Carotinoide: Beta-Carotin, Lykopin, Lutein in roten, gelben und grünem Gemüse und Obst
  • Flavonoide: Quercetin, Hesperidin, Narin- genin in Zitrusfrüchten und rot-violettem Obst, insbesondere Beerenobst
  • Sulfide: Knoblauch, Zwiebeln, Lauch
  • Glukosinolate: Kohlgemüse
  • Proteaseinhibitoren: Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Vollkornprodukten

Vollkornprodukte enthalten reichlich Mineralstoffe und Spurenelemente wie Kupfer, Selen, Zink und Chrom. Diese sind Bestandteile der antientzündlichen Enzymsysteme. Auch Nüsse tragen zur Versorgung mit diesen wichtigen Mineralstoffen bei. Verschiedene Gewürze haben ebenfalls eine hohe antioxidative und antientzündliche Kapazität. Hier sind besonders Oregano, Kurkuma und Ingwer zu nennen. Die beobachteten antioxidativen Wirkungen stammen allerdings überwiegend aus Tier- und Laborstudien. Dennoch spricht nichts dagegen, diese Gewürze im Essen reichlich zu verwenden. Allerdings sind unkontrolliert hohe Mengen nicht empfehlenswert.

Die beste Wahl: pflanzenbasiert und vollwertig

Eine Silent Inflammation kann auch Erkrankungen wie nichtalkoholische Fettleber, Gicht, rheumatische Erkrankungen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen und Autoimmunerkrankungen begünstigen. Teilweise sind die Entzündungsprozesse ein Teil der zugrundeliegenden Ursachen, teilweise können sie den Krankheitsverlauf verstärken. In vielen Fällen kann eine Ernährung, die wenig entzündungsfördernde Stoffe enthält beziehungsweise reich an entzündungshemmenden Substanzen ist, den Verlauf entzündlicher Erkrankungen positiv beeinflussen. Selbstverständlich können auch Gesunde von einer solchen Ernährungsweise profitieren, um eine Low-Grade-Inflammation zu vermeiden.

So geht ein antientzündlicher Speiseplan

  • reichlich und vielfältig Gemüse verzehren, viel Frischkost essen
  • Gemüse schonend garen: dünsten, dämpfen, schmoren
  • frisches Beerenobst (in der Saison) genießen
  • Obst nach individueller Verträglichkeit (Fruktose und Fruchtsäuren beachten)
  • reichlich Kräuter und Gewürze zum Würzen nutzen
  • Vollkornprodukte bevorzugen
  • Hülsenfrüchte, Nüsse und Ölsaaten verzehren
  • kaltgepresste native Pflanzenöle auswählen sowie Walnuss-, Lein- und Rapsöl im Wechsel mit anderen Nussölen und Olivenöl einsetzen
  • ausreichend trinken: (Mineral-)wasser, ungesüßter Kräuter- und Früchtetee, verdünnte Gemüse- und Obstsäfte
  • tierische Lebensmittel reduzieren
  • Grundsätzlich gilt: Eine überwiegend vegetarische und pflanzenbetonte Ernährungsweise sichert eine ausreichende Versorgung mit entzündungshemmenden Stoffen und vermindert Hyperglykämien. Je bunter und vielfältiger die Lebensmittelauswahl ausfällt, desto besser. Zudem spielen Bewegung und Entspannung sowie gezielter Stressabbau eine große Rolle, um Entzündungsprozesse im Körper zu vermeiden. Von Bedeutung sind außerdem ausreichend Schlaf sowie die Balance zwischen Anspannung und Ruhe.

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    Stille Entzündungen – heimliche Gefahr Dieser Beitrag ist erschienen in:
    UGBforum 3/2020
    Stille Entzündungen – heimliche Gefahr


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