Apfelessig: Zwischen Lebensmittel und Heilmittel
Die Nachfrage nach Apfelessig boomt. Einmal mehr wird ein Produkt mit überzogenen Werbeversprechen vermarktet, dem nicht nur übergewichtige Verbraucher auf den Leim gehen.
Neben gesüßten Getränken mit Apfelessig finden mittlerweile auch Tabletten, Kapseln oder vitaminangereicherte Brausetabletten reißenden Absatz.
Die Werbekampagnen preisen den vergorenen Saft als gesunden Schlankmacher: Sein Genuß verspricht "Schlemmen ohne Reue"; er soll als "natürlicher Fettfresser" Ernährungsfehler wirksam ausgleichen und für straffes Gewebe und geschmeidige Haut sorgen.Apfelessig - ein uraltes Hausmittel
Bis vor kurzem wurde Apfelessig hauptsächlich für die Zubereitung von Salaten und anderen Speisen verwendet. Viele kennen ihn auch als Zartmacher für Fleisch oder als Konservierungs- und Desinfektionsmittel. In der Naturheilkunde gilt Apfelessig als uraltes Hausmittel, das bereits unsere Vorfahren sehr schätzten. Tatsächlich wurde Essig bereits in der vorbiblischen Zeit eingesetzt. Und die Ärzte nannte man im alten Babylon "Essig- und Ölkundige". Sie verwendeten schon damals die verschiedensten Essig- und Kräuteressigessenzen, um beispielsweise Schwellungen zu kühlen, Wunden zu säubern, Entzündungen, Fieber und anderes mehr zu lindern.
Herstellung von Apfelessig
Apfelessig wird bevorzugt aus Apfelsorten wie Boskop, Cox-Orange, Elstar, Gravensteiner oder Ingrid-Marie gewonnen. Die Äpfel werden zunächst entsaftet und dann vergoren. Der völlig ausgegorene Most enthält weder Zucker noch Stärke; die Kohlenhydrate werden vollständig zu Alkohol abgebaut. Dem Apfelwein werden dann Essigsäurebakterien zugesetzt, die mit Hilfe des Sauerstoffs aus der Luft den Alkohol zu Essig verstoffwechseln. Essigmutter nennt man die gallertartigen Schlieren, die manchmal in der Essigflasche schwimmen. Dabei handelt es sich um eine Ansammlung aus Essigsäurebakterien, die als Starterkultur für die nächste Essigherstellung genutzt werden kann. Auch ihr sagt man positive Heilwirkungen nach; ein Löffel davon soll z. B. arthrotische Gelenkschmerzen, erhöhte Anfälligkeit gegen Infektionskrankheiten und viele andere Beschwerden günstig beeinflussen.
Da die voll ausgereiften Äpfel stets mit Schale gepreßt werden, ist Essig aus ökologischer Erzeugung zu bevorzugen. Bio-Hersteller verzichten nicht nur auf Pestizide, sondern produzieren ihren Most zudem aus frischen, ganzen Äpfeln. Bei konventionellen Anbietern ist es dagegen üblich, Abfälle wie Schalen oder Kerngehäuse unterzumischen. Außerdem wird Bio-Apfelessig in der Regel nicht filtriert, da gerade die trübenden Stoffe für die gesundheitliche Wirkung bedeutend sein sollen. Für die Essigqualität ist zudem wichtig, daß die Inhaltsstoffe nicht durch Hitze zerstört werden. Daher verzichten Reform- und Naturwarenhersteller auf eine Destillation.
Nur wenig Nährstoffe im Apfelessig-Trunk
Viele Inhaltsstoffe, die im Apfelsaft vorliegen, finden sich auch im Essig wieder, das heißt Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe sowie lösliche Ballaststoffe. Zusätzlich sind etwa fünf Prozent Säure enthalten, hauptsächlich Essigsäure und ein geringer Anteil anderer organischer Säuren. Die zahlreichen Autoren, die die gesundheitsfördernde Wirkung des Apfelessigs in Büchern und Frauenzeitschriften propagieren, machen "die Vielzahl der potenten Nährstoffe" wie die Vitamine C und E sowie Beta-Carotin für die positiven Effekte verantwortlich. An Mineralstoffen soll Kalium in nennenswerter Konzentration vorhanden sein. Die Wirkstoffe, die man über Essig aufnimmt, sind allerdings verschwindend gering. Den klassischen Apfelessig-Trunk, der von den meisten Autoren empfohlen wird, bereitet man aus zwei Teelöffeln Essig, zwei Teelöffeln Honig und Wasser zu. Diese Mixtur enthält kein Vitamin C, nur 0,001 mg Beta-Carotin und lediglich 10 mg Kalium. Im Vergleich dazu liefert ein Apfel 12 mg Vitamin C, 187 mg Kalium und 34mal soviel Beta-Carotin, also deutlich höhere Konzentrationen. Das gleiche gilt für die löslichen Ballaststoffe in Apfelessig, die ebenfalls nur in sehr geringen Mengen vorkommen.
Essigsäure - Zündfunke für den Stoffwechsel?
Neben den Nährstoffen schreiben Naturheilkundler die gesundheitsfördernden Wirkungen des Apfelessigs auch der Essigsäure zu. Tatsache ist, daß essigsäurehaltige Speisen schon in geringer Konzentration den Fluß von Speichel, Magensäure und die Produktion der Verdauungssäfte im Darm anregen. Wer unter einem Mangel an Magensäure leidet, empfindet die zusätzliche Säure oft als angenehm, da sie das Völlegefühl mindern kann. Die organischen Säuren können zudem ein saures Milieu im Dünndarm schaffen, wodurch sich die Mineralstoffaufnahme - insbesondere von Eisen - verbessert. Im Darm wird der größte Teil der Säure jedoch rasch neutralisiert und somit wirkungslos. Da Essigsäure im Stoffwechsel zu Kohlendioxid und Wasser umgewandelt wird und die zurückbleibenden Mineralstoffe des Apfelessigs alkalisch wirken, kann Essig möglicherweise einer Übersäuerung vorbeugen. Essigsäure wirkt zudem gegen Bakterien, das Gurgeln mit Essigwasser kann also beispielsweise bei einer Hals-Entzündung helfen. Von einem Einfluß auf die Fettverbrennung und einer Verringerung des Körpergewichts kann allerdings keine Rede sein. Andere, möglicherweise gesundheitsfördernd wirkenden Inhaltsstoffe sind zur Zeit nicht bekannt.
Apfelessig, ein Allheilmittel?
Über seine Wirksamkeit als altes Heilmittel gibt es zahlreiche Veröffentlichungen und Hinweise in der Literatur, wissenschaftliche Belege dafür fehlen jedoch. Apfelessig ist daher keinesfalls ein Medikament, daß man sich selbst verordnen kann. Als Hausmittel kann Apfelessig in Absprache mit einem Therapeuten den Gesundungsprozeß z. B. bei Sodbrennen oder Magen-Darm-Beschwerden möglicherweise positiv beeinflussen. Größere Mengen an Essig sind jedoch nicht zu empfehlen, da die Säure die Zähne angreift und den Magen reizt.
Abnehmen mit Apfelessig: Die Annahme, Apfelessig könne Körperfett schmelzen oder den Appetit zügeln, ist reine Illusion
Die Pfunde purzeln nur, wenn die Ernährung dem tatsächlichen Nährstoffbedarf angepaßt und die körperliche Aktivität angekurbelt wird. Wer trotzdem Apfelessig zu sich nehmen möchte, kann dies in kleinen Mengen ohne Bedenken tun. Bekanntlich versetzt ja allein der Glaube Berge.
Quelle: Ortkemper, B.: UGB-Forum 3/99, S. 176-177