Osteopathie - Blockaden erspüren und lösen
In den Vereinigten Staaten ist die Osteopathie der medizinische Zweig mit den größten Zuwachsraten. Auch bei uns wenden immer mehr Physiotherapeuten, Heilpraktiker und Ärzte die ganzheitliche Therapie an.
Die Osteopathie wurde vor über 120 Jahren von dem amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still entwickelt. Nachdem er mitansehen musste, wie drei seiner Kinder an einer Entzündung der Rückenmarkshaut starben, machte er sich auf die Suche nach einer neuen Art von Therapie. Er entdeckte, dass die Beweglichkeit von Muskeln und Gelenken die Basis für einen gesunden Körper darstellt. Seine Methode kuriert nicht Krankheiten, sondern hilft dem Körper, sich selbst zu heilen. Dieser neuen Therapie gab Still den Namen "Osteopathie", weil sie über den Knochen (Os) die Leiden (Pathos) behandelt.
Studenten entwickelten Stills neue Behandlungsmethode fort. Einer von ihnen war William Garner Sutherland. Er entdeckte, dass auch die Schädelknochen Bewegungen ausführen, die sich erspüren lassen. Dadurch erweiterte er die Osteopathie um den kraniosakralen Bereich. Andere Osteopathen ergänzten später die Osteopathie um den viszeralen Bereich, der auch die inneren Organe in die Behandlung miteinbezieht.
Die Osteopathie kann sowohl zur Diagnose als auch Therapie eingesetzt werden
Behandelt wird ausschließlich mit den Händen, der Therapeut kommt ganz ohne Instrumente und Medikamente aus. Der Ansatz der Osteopathie ist einfach: Leben zeigt sich in Form von Bewegung. Wir können unseren Kopf drehen, die Hand heben, ein Bein über das andere schlagen. Wir atmen und führen Tag für Tag an die 20.000 Atembewegungen durch. Ob Knochen, Muskel oder Verdauungsorgan, jede Struktur des menschlichen Körpers ist ständig in Bewegung und kann nur so funktionieren.
Osteopathie: Gesundheit zeigt sich durch Bewegung
Die Osteopathie geht davon aus, dass sich Strukturen wie Knochen, Muskeln oder Organe und ihre Funktionen gegenseitig bedingen. So geben beispielsweise unsere Knochen dem Körper Halt, schaffen Festigkeit und bieten Schutz vor Druck- oder Zugbelastungen. Muss der Knochen andauernd einer hohen Belastung standhalten, bildet sich vermehrt Knochengewebe. Die gesteigerte Funktion verlangt ein Mehr an Struktur. Werden die spezifischen Funktionen eines Knochens nicht mehr benötigt, dann bildet er sich zurück. So degeneriert etwa der Kiefer eines Menschen, der seine Zähne verloren hat und nicht mehr kauen kann.Ähnliches gilt für alle Bestandteile des Körpers: Wenn die Funktion zunimmt, wächst in der Regel auch die Struktur. Wird die Funktion eines Organs nicht mehr benötigt, verkümmert seine Struktur. Die Osteopathie nutzt diese Wechselwirkung: Funktionsstörungen zeigen sich in der Regel in Form beeinträchtigter Bewegungen. Dabei kann die Beweglichkeit eines Gelenks eingeschränkt sein, der Fließrhythmus einer Körperflüssigkeit oder der Spannungszustand eines Organs wie der Leber. Indem der Osteopath die Bewegungen der Struktur überprüft - beispielsweise die Beweglichkeit der Nie-re -, kann er eine gestörte Funktion feststellen. Mit seinen manuellen Techniken versucht er, die ursprünglichen Bewegungen wieder zu ermöglichen. Kann sich die zuvor eingeschränkte Niere frei bewegen, so wird sie ihre Funktion wieder besser ausüben können.
Osteopathie heute
In den USA ist der Beruf des Osteopathen dem eines Arztes gleichgestellt. Über 40.000 Therapeuten praktizieren dort ihren Beruf als Doktoren der Osteopathie. Neben England und Frankreich zählt sie mittlerweile auch in Belgien zu den anerkannten Therapieformen. In Deutschland können sich Ärzte, Physiotherapeuten, Zahnärzte und Heilpraktiker seit Ende der 80er Jahre berufsbegleitend in einer fünfjährigen Weiterbildung ausbilden lassen.
Osteopathie: Die Kräfte des Körpers aktivieren
Den Schaden an der Struktur, z. B. einen gebrochenen Knochen, kann der Osteopath nicht beheben. Das vermögen nur die Selbstheilungskräfte des Körpers. Durch die Behandlung des Patienten versucht der Therapeut, diese zu aktivieren. Die Selbstheilungskräfte werden von verschiedenen Zentren gesteuert, wie dem Hypothalamus, der die einzelnen Hormondrüsen lenkt, dem Knochenmark, der Milz oder den Lymphknoten. Auch wenn sich Beschwerden oft nur lokal äußern, muss der Osteopath diese Zusammenhänge kennen. Sie führen ihn weg vom einzelnen Problem hin zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise. Nicht die Krankheit wird behandelt, sondern der ganze Mensch. Denn jede einzelne Struktur des menschlichen Organismus hängt anatomisch oder physiologisch direkt oder indirekt mit allen anderen Körperstrukturen zusammen. Erst deren harmonisches Zusammenspiel ermöglicht die Funktion des Ganzen.
Krankheiten aus osteopathischer Sicht
Die Osteopathie hat ein eigenes Verständnis vom Krankwerden. Ein gesunder Körper kann Einflüsse jeglicher Art von innen oder außen ausgleichen. Gelingt diese Balance nicht, hinterlässt der Einfluss einen Abdruck. So kann z. B. das ständige Sitzen vor dem Computer zu einer Verkürzung der hinteren Beinmuskulatur führen. Die Muskulatur erleidet dadurch keinen Schaden, sie ist aber in ihrer Funktion gestört. Diese Störung zeigt sich in einem Zuwenig an Bewegung. Mit seinen Händen kann der Osteopath diese eingeschränkte Bewegung erspüren. Der Körper versucht, die beeinträchtigte oder gar ausgefallene Funktion auszugleichen. Er kompensiert die Funktion, indem er sie sich von einer anderen Struktur "ausleiht", beispielsweise einem Muskel. Dadurch wird diese überlastet. Insgesamt sinkt die Fähigkeit des Körpers, seine Funktionen auszuüben. Damit verringern sich auch seine Möglichkeiten, schädigende Einflüsse abzuwehren.
Eine Krankheit bricht spätestens dann aus, wenn eine Struktur geschädigt wird. Der Schaden kann Folge einer anhaltenden funktionellen Störung sein, etwa wenn sich in einer funktionsgestörten Niere mit der Zeit Nierensteine bilden. Er kann aber auch an der kompensierenden Struktur auftreten, wenn diese mit ihrer neuen Aufgabe überfordert ist. So ist beispielsweise die Leber über Aufhängungen an den Rippen befestigt und diese wiederum an den einzelnen Wirbeln. Übt nun die Leber aufgrund von Funktionsstörungen einen übermäßigen Zug aus, so können die Wirbel Fehlstellungen einnehmen, wenn sie diesen Zug kompensieren. Mit der Zeit kann diese ständige Fehlstellung zu Arthrose führen. Die Störung an der Leber selbst kann der Osteopath nicht heilen, aber er kann der Struktur helfen, die eingeschränkte oder ausgefallene Funktion wiederzuerlangen.
Blockaden lösen: Der sanfte Einsatz der Hände
Ziel der osteopathischen Therapie ist es, die eingeschränkte Beweglichkeit von Gelenken, Muskeln und Organen wiederherzustellen. Im Laufe einer langjährigen Ausbildung haben Osteopathen ihre Hände zu hochsensiblen Instrumenten entwickelt. Um sie gezielt einzusetzen, muss der Osteopath die Anatomie und Physiologie des Körpers sehr gut kennen.Dem Osteopathen stehen zahlreiche Techniken zur Verfügung, die sich meist auf zwei unterschiedliche Arten ausführen lassen. Bei der so genannten direkten Methode arbeitet der Therapeut gegen die Bewegungseinschränkung. Wenn sich beispielsweise ein Wirbel nur ungenügend nach rechts drehen kann, wendet der Osteopath Techniken an, mit denen er den Wirbel direkt nach rechts führt. Dadurch können verschobene oder unvollständige Bewegungsachsen wiederhergestellt werden.
Umgekehrt funktioniert die indirekte Methode. Dabei arbeitet der Osteopath in dem Bereich, der frei und leicht beweglich ist. Daher wird die indirekte Methode vom Patienten häufig als sehr wohltuend und schonend empfunden. Die jeweilige Struktur, beispielsweise ein einzelner blockierter Wirbel, wird dabei nicht isoliert behandelt, sondern im Verhältnis zu den sie umgebenden Strukturen. Die indirekte Technik bietet sich an, wenn der Patient große Schmerzen hat. Außerdem dient sie als Vorbereitung, wenn anschließend direkte Methoden ausgeführt werden.
Osteopathie: Wo die Therapie helfen kann
Die Osteopathie ist vor allem eine präventive Medizin. Sie entdeckt und behandelt Beschwerden in Form von funktionellen Störungen bevor sich klinische Symptome zeigen. Beschwerden und Erkrankungen, bei denen die osteopathische Therapie gut eingesetzt werden kann, sind z. B. Kopf- und Kreuzschmerzen, Haltungsschäden und Wirbelsäulenverkrümmungen oder auch Menstruationsbeschwerden und Verdauungsprobleme.Auch hier beherzigen die Therapeuten den Grundsatz, den ganzen Menschen zu behandeln. Kommt ein Hilfesuchender etwa mit Kopfschmerzen zu einem Osteopathen, wird der Therapeut vor allem die Statik und die Stellung des Kopfes untersuchen, aber auch die Wirbelsäule, Fußgelenke und inneren Organe. Bei einer veränderten Statik stehen die Muskeln unter Daueranspannung, weil sie die falsche Haltung ständig korrigieren müssen. Die angespannte Muskulatur drückt auf die Blutgefäße, reduziert den Durchfluss und kann so den Kopfschmerz auslösen. Nicht selten rühren die Probleme auch von einem Fehlbiss her, also dem falschen Zusammentreffen von Ober- und Unterkiefer. In jedem Fall wird der Osteopath versuchen, durch manuelles Einwirken mit seinen Händen Muskeln, Gelenke, Organe, Gefäße und Knochen von Spannungen zu befreien, um so eine Selbstheilung des Körpers zu ermöglichen.Selbstverständlich greift er auf die klinische Diagnose des Arztes zurück. Denn Ursachen wie Tumoren, Zysten oder Verkalkung kann er nicht therapieren.
Die Grenzen der Osteopathie
Die Osteopathie ist kein Allheilmittel. Sie hat dort ihre Grenzen, wo die Selbstheilungskräfte des Körpers nicht ausreichen, den Organismus gesunden zu lassen. Seelische Erkrankungen und psychische Probleme gehören nicht in die Hand eines Osteopathen. Wunden, Brüche, Verbrennungen, also verletzungsbedingte strukturelle Schäden, müssen erst einmal medizinisch therapiert werden. Da sie aber immer mit funktionellen Störungen einhergehen, kann der Osteopath diese Störungen begleitend behandeln.Wenn Sie einen qualifizierten Osteopathen suchen, wenden Sie sich am besten an den Verband der Osteopathen Deutschland e. V. (VOD). Übers Internet oder per Post erhalten Sie gegen einen adressierten und frankierten Rückumschlag eine Empfehlungsliste der osteopathisch ganzheitlich behandelnden Physiotherapeuten, Heilpraktiker und Ärzte. VDO, Untere Albrechtstr. 5, D-65185 Wiesbaden; http://www.osteopathie.de