Starker Stoff für starke Männer?

Proteinhaltige Aufbaupräparate sind unter Sportlern der Renner. Nicht nur Profis, sondern vor allem ambitionierte Freizeitsportler wie Bodybuilder oder Triathleten greifen häufig zu den Pulvern und Drinks. Dabei reicht das Protein aus unseren Lebensmitteln selbst bei vegetarischer Kost für Höchstleistungen aus.

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Seit Jahrzehnten ist die Empfehlung für die tägliche Proteinzufuhr konstant geblieben. Gesunde Erwachsene sollen 0,8 g pro kg Körpergewicht aufnehmen. Für besondere Lebensumstände wie Wachstum, Schwangerschaft oder die Zeit des Stillens steigt die empfohlene Menge leicht an. Auch für besondere sportliche Leistungen soll eine Extraportion nötig sein. Das behaupten zumindest verschiedene Autoren, die sich über das Thema Sport und Ernährung ausgelassen haben. Dagegen stehen die umfangreich bearbeiteten und begründeten amerikanischen Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr (Dietary Reference Intakes, DRI). Die Experten sehen keinerlei Beweise dafür, dass Sportler mehr Protein benötigen, weder Kraft- noch Ausdauersportler.

Kein Mehrbedarf für Kraftsportler

Wie viel Proteine bzw. Aminosäuren unser Körper täglich aufnimmt und umsetzt, zeigt Abbildung 1. Der Tagesumsatz (Turnover) an Protein beträgt mindestens das Zweieinhalbfache der täglich zugeführten Menge. Intensive körperliche Aktivität steigert den Ab- und Aufbau von Muskelprotein. Das bedeutet aber nicht notwendigerweise eine Erhöhung der Zufuhr, denn die Aminosäuren aus abgebauten Proteinen werden mit Ausnahme von 3-Methylhistidin wieder verwendet (Biorecycling). Daraus folgt die Hypothese, dass ein Kraftsportler zur Erhaltung seiner Muskeln nicht mehr Protein benötigt als eine inaktive Person.

Den Beweis hierfür lieferte bereits 1988 eine kanadische Gruppe von Wissenschaftlern um Prof. Mark Tarnopolsky. Sie untersuchten die Stickstoffbilanz bei sechs intensiv Bodybuilding treibenden Personen, die nachweislich frei von Anabolika waren. Die Stickstoffbilanz gibt darüber Aufschluss, wie viel Protein bzw. Aminosäuren der Körper aufnimmt und in Form von Stickstoff wieder ausscheidet. Dabei stellten die Forscher fest, dass sich das Bilanzminimum und damit der Proteinbedarf pro kg Körpergewicht nicht signifikant von Personen unterschied, die nicht sportlich aktiv waren.

Abb. 1: Durchschnittlich nehmen wir etwa 100 g Eiweiß am Tag auf. Unser Körper setzt jedoch 250 g Proteine um. Denn ein geringer Teil des Körperproteins wird täglich auf- und wieder abgebaut. 70 g werden in den Darm abgegeben und 160 g rückresorbiert. Über Stuhl und Urin scheiden wir die Abbauprodukte der Proteine in Form von Stickstoffverbindungen wieder aus.

In umfangreichen Studien zur Biokinetik der Aminosäuren untersuchte eine Gießener Arbeitsgruppe auch den Proteinumsatz von Leistungssport treibenden Bodybuildern. Sie stellten fest, dass der Aminosäurenumsatz vier und acht Stunden nach intensivem Training großer Muskelgruppen um maximal 30 Prozent erhöht ist. Spätestens 22 Stunden danach weist der Umsatz jedoch das gleiche Niveau auf wie bei Nichtsportlern. Das entspricht bei täglichem Training einer durchschnittlichen Umsatzsteigerung um maximal 17 Prozent. Sollte entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnisse dadurch auch der Bedarf steigen, würden sich die Empfehlung für intensiv Kraftsport treibende Personen nur geringfügig auf maximal 0,94 g Protein pro kg Körpergewicht erhöhen.

Zusätzliche Proteine für den Muskelaufbau?

Zahlreiche Hersteller von Proteinprodukten für Kraftsportler werben damit, dass insbesondere für den Aufbau von Muskeln erhebliche Eiweißmengen notwendig seien. Eine einfache Rechnung widerlegt solche Behauptungen. Skelettmuskeln bestehen zu 80 Prozent aus Wasser und zu 20 Prozent aus Proteinen. Angenommen eine Person von 70 kg könne innerhalb eines Jahres 10 kg reine Muskelmasse zulegen, - eine Menge, die wenn überhaupt nur unter Einsatz hoher Dosen von Anabolika zu erreichen ist, - erhalten wir folgende Daten: 10 kg reine Muskelmasse enthalten etwa 2 kg Protein. Verteilt auf ein Jahr bedeutet dies eine Zunahme von täglich 5,5 g Protein. Für eine 70 kg schwere Person sind das also zusätzlich 0,08 g Protein pro kg Körpergewicht am Tag (g/kg/d). Bei einem Sicherheitszuschlag von 30 Prozent für unterschiedliche Bioverfügbarkeit und unter Berücksichtigung einer durchschnittlichen biologischen Wertigkeit von 70 kommt man auf höchstens 1,07 g/kg/d. Die durchschnittliche Zufuhr in Deutschland liegt jedoch über 1,2 g/kg/d. Das heißt: Der durchschnittliche Eiweißanteil der deutschen Mischkost reicht bereits aus, um die Proteinbausteine selbst für einen extrem großen Muskelaufbau bereitzustellen.

Ausdauersportler verbrennen Proteine

Prof. Tarnopolsky forschte in Kanada nicht nur an Kraftsportlern. Er unterzog auch Spitzensportler aus Ausdauerdisziplinen (Läufer und Skilangläufer) einer Stickstoffbilanz. Deren Bilanzminimum lag mit 1,37 g/kg deutlich über dem von Bodybuildern und Nichtsportlern. Der hohe Bedarf resultiert aus der umfangreichen aeroben Dauerbelastung. Die Energie wird zwar überwiegend aus dem oxidativen Abbau von Kohlenhydraten und Fett bereitgestellt, zu einem gewissen Teil aber auch aus Aminosäuren. Dieser Anteil steigt mit zunehmender Entleerung der Kohlenhydratspeicher (Glykogenreserven). Erkennbar ist der Verlust an Aminosäuren an der erhöhten Ausscheidung von Harnstoff in Urin und Schweiß. Messungen der ausgeschiedenen Aminosäurenäquivalente ergaben Verluste von unter 20 g Aminosäuren während eines Marathonlaufes. Die geringe Bedeutung dieser Verluste verdeutlicht folgende Rechnung:

Verlust an Aminosäuren < 20 g
Energiekosten > 2000 kcal
Eiweißanteil 12 %
entspricht 240 kcal
entspricht 60 g Eiweiß

Wird die durch den Marathonlauf verlorene Energie (2000 kcal) mit einer Mischkost kompensiert, die mindestens 12 Energieprozent Eiweiß enthält (üblich sind eher 15 %), dann wird mehr als das Dreifache (60 g) der verlorenen Menge (20 g) wieder zugeführt. Das bestätigt die amerikanische Einschätzung der Dietary Reference Intakes, auch Ausdauersportlern keine zusätzlichen Nahrungsproteine zu empfehlen.

Theoretischer Proteinbedarf für Leistungssportler

  • Kraftsportler (Aufbauphase): bis 1,1g/kg/d
  • Kraftsportler (Erhaltungsphase): bis 0,95 g/kg/d
  • Ausdauersportler: bis 1,6 g/kg/d

Wir essen mehr als wir brauchen

Theoretisch müssten die Empfehlungen für Leistungssportler über 0,8 g/kg/d liegen (s. Kasten). Da Sportler aber durch Training und Wettkampf insgesamt mehr Energie benötigen und aufnehmen, werden die Proteinverluste automatisch ausgeglichen. Bei 15 Energieprozent Eiweiß in der Nahrung, wie derzeit in Deutschland üblich, wird der theoretisch erhöhte Bedarf bereits deutlich überschritten, wie folgende Rechnung zeigt:

Kraftsportler (Bodybuilder)
Körpergewicht: 100 kg
täglicher Energiebedarf: 4000 kcal
davon 15% Eiweiß: 600 kcal
entspricht: 150 g
tägliche Zufuhr: 1,5 g/kg

Ausdauersportler (Läufer)
Körpergewicht: 60 kg
täglicher Energiebedarf: 3500 kcal
davon 15% Eiweiß: 525 kcal
entspricht: 131 g
tägliche Zufuhr: 2,2 g/kg

Tatsächlich liegen die Werte aber noch höher. Die Auswertung der 7-Tage-Protokolle von 36 Leistungssportlern zeigte bei Ausdauerathleten einen durchschnittlichen Eiweißanteil von 16,5 Energieprozent. Die Bodybuilder kamen im Mittel sogar auf 22,8 Energieprozent. Je nach Körpergewicht nahmen sie bis zu 4 g Protein pro kg auf. Dass derart hohe Überschüsse nur energetisch verwendet werden, belegte die Überprüfung der Harnstoffausscheidung. Bodybuilder schieden in der Studie mehr als die doppelte Menge an Harnstoff aus als die Ausdauersportler. Ihr Harnvolumen war jedoch nur um 26 Prozent größer. Die dadurch höhere Harnstoffkonzentration bedeutet eine starke Belastung der Nieren.

Selbst unter der ungünstigsten Annahme, dass eine Umsatzsteigerung den Bedarf erhöht, lässt sich für Elite-Leistungssportler in keinem Fall eine Empfehlung für eine zusätzliche Proteinzufuhr ableiten. Daraus folgt auch für Breitensportler, dass sie keine Extraportion Eiweiß benötigen, selbst wenn ihr Trainingsumfang zuweilen dem von Leistungssportlern gleich kommt.

Vegetarier und Rohköstler ausreichend versorgt

Die Tatsache, dass die biologische Wertigkeit einzelner pflanzlicher Proteine deutlich geringer ist als die Qualität tierischer Proteine, führt immer wieder zu der Annahme, dass für reine Vegetarier (Veganer) die Proteinzufuhr problematisch sei. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass Mischungen von pflanzlichen Lebensmitteln die biologische Wertigkeit erhöht. Bei einer ausgewogenen Ernährung mit vielfältiger Auswahl ist die biologische Wertigkeit mit Sicherheit ausreichend, so dass zusätzliche Empfehlungen nicht erforderlich sind. Selbst bei Ausdauersportlern, die sich nur von Rohkost ernähren, sind bislang keine Symptome von Proteinmangel aufgetreten.

Die Flut proteinhaltiger Produkte, die in Fitness-Studios oder über das Internet angeboten werden, ist unüberschaubar. In einzelnen Studios tragen die Nahrungsergänzungs- und Aufbaupräparate mit bis zu 30 Prozent erheblich zum Umsatz bei. Zuweilen greift die Lebensmittelüberwachung ein, wenn Präparate durch unzulässige Werbung auffallen. Eine fachliche Beratung bringt die Konsumenten aber nur selten von den Mitteln ab. In den betreffenden Kreisen ist das Dogma "Muskeln sprießen nur mit sehr viel Protein" nicht auszurotten. Hier bestätigt sich der Spruch aus Sebastian Brandts Narrenschiff von 1494: "Mundus vult decipi - Die Welt will betrogen sein."

Quelle: Moch, K.-J.: UGB-Forum 3/2003, S. 145-147

Weitere Informationen finden Sie hier: Sporternährung in Theorie und Praxis