Wellness-Getränke:
Ein lohnendes Geschäft
Wellness heißt das Zauberwort, das Entspannung und Ausgeglichenheit im hektischen Alltag verspricht. Mit Heilkräutern, Aloe Vera, grünem Tee oder Vitaminen angereichertes Mineralwasser ist der Renner. Doch von dem "Wellnepp" profitieren nur die Getränkehersteller, nicht die Konsumenten.
Im Büro klingelt den ganzen Tag das Telefon, vieles bleibt unerledigt liegen, der Stau auf dem Heimweg kostet Zeit und Nerven und zu Hause wartet der leidige Spülberg. Manche Tage sind einfach zum Verzweifeln. Da hilft nur eins: erst mal Abschalten. Für gestresste Menschen hält jetzt auch die Getränkeindustrie ein Mittel bereit: "Sie atmen tief ein. Ihr Alltag ist weit weg. Sie atmen ganz aus. Alle Anspannung fällt von Ihnen ab. Und damit Sie besser abschalten können, haben Sie da einen Trick parat: Ihren Entspannungsdrink". So wirbt zum Beispiel ein Hersteller von Mineralwasser, das mit grünem Tee, Apfelessig und Stachelbeere angereichert ist, für sein Produkt.
Mit Wellness auf Wachstumskurs
Tee oder Mineralwasser mit Malve und Melisse sollen körperlich und seelisch entspannen. Getränke mit Ginseng und Ginko führen angeblich zu Ausgeglichenheit und Harmonie. Zugesetzter Aloe-Vera-Saft verspricht Schönheit und als Fitmacher für neue Kräfte gilt grüner Tee. Allein als Durstlöscher zu dienen, scheint im Wettbewerb auf dem Getränkemarkt nicht mehr auszureichen. In den letzten zehn Jahren hat sich Wellness zu einem Trend entwickelt, der sich gut verkauft. Zuerst tauchten Relax-Angebote und Massagen in Fitness-Studios oder Verwöhn-Wochenenden in Vital-Hotels auf. Längst hat das Wellness-Geschäft auch die Lebensmittelbranche ergriffen. Über ihren Zusatznutzen sprechen diese funktionellen Lebensmittel verschiedene Bedürfnisse an: Entspannung für Gestresste, Vitalität bei aufkommendem Leistungstief oder Anti-Aging für ewig Jugendliche. Wer bei Lebensmitteln und Getränken das Extra sucht, zahlt und konsumiert auch extra. Das weiß die Industrie und so haben die meisten Mineralbrunnen mindestens ein Produkt auf dem Markt, dass Balance, Vitalität, Energie oder Harmonie verspricht. Statt 50-80 Cent für einen Liter Mineralwasser geben Wellness-Suchende bereitwillig das Doppelte für das Wasser mit dem Zusatznutzen aus.
In den Statistiken verschwinden die Wellness-Drinks im Marktsegment "alkoholfreie Getränke". Dieser Sektor verzeichnete im Jahr 2003 einen Rekordumsatz von 23,4 Milliarden Litern. Das entspricht einem durchschnittlichem Pro-Kopf-Konsum von 290 Litern und einem Zuwachs von 7,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Drinks werden nicht nur in Super- und Getränkemärkten angeboten, sondern auch von Reformhäusern und Bioläden verkauft. Gerade dort vermuten die Anbieter eine gesundheitsbewusste und vor allem zahlungskräftige Kundschaft.
Den boomenden Markt der Erfrischungsgetränke mit Zusatznutzen haben sechs Verbraucherzentralen in einer bundesweiten Markterhebung kritisch unter die Lupe genommen. Sie kauften 238 Getränke und untersuchten sie hinsichtlich der Werbeaussagen und Wirksubstanzen. Mehr als einViertel der Drinks wirbt mit Wohlbefinden, Natur, Vitalität oder Anti-Aging. Nach der Analyse dominieren in Wellness-Getränken Pflanzenzusätze jeglicher Art. Besonders häufig vertreten sind Aloe Vera, Ginko, Ginseng, Guarana, Hopfen, Johanniskraut, Malve und Melisse. Den Flair, das Wohlbefinden zu fördern, besitzen auch Spezial-Tees und Zutaten asiatischer Herkunft wie ayurvedische Kräuter, Kombucha und Shiitake. Häufig werden die einzelnen Substanzen in Kombination eingesetzt. Hinzugefügte Vitamine oder Mineralien sollen nicht nur Harmonie, Ausgeglichenheit und Vitalität fördern, sondern zusätzlich auch die Gesundheit.Die Verbraucherzentralen bewerten die Vitaminanreicherungen als wenig sinnvoll. Für die meisten Vitamine, die sich in den Getränken befinden, liegt in der Bevölkerung kein Mangel vor. Lediglich die Versorgung mit Folsäure ist unzureichend, doch dieses Vitamin findet sich eher selten in den Erfrischungsgetränken.
Wellness-Getränke: Lebens- oder Arzneimittel?
Wo Wellness drauf steht, stecken die angepriesenen Wirkstoffe oft nur in kleinen Mengen drin. Für eine erkennbare Wirkung reicht die Dosis meist nicht aus. Bei vielen Getränken fehlt zudem die Mengenangabe. Der Gehalt der Zusätze lässt sich höchstens aus der Zutatenliste erahnen. So wirkt laut Herstellerangaben ein Mineralwasser mit Birne- und Passionsfruchtgeschmack durch die wertvollen Pflanzenextrakte aus Melisse, Malve und Johanniskraut regenerierend und ausgleichend. Bei genauer Betrachtung finden sich die Kräuterextrakte in der Zutatenliste jedoch auf dem vorletzten Platz, zwischen zugesetztem Vitamin C und natürlichem Aroma.Besonders kritisch bewertet die Studie der Verbraucherzentralen den Zusatz von Arzneipflanzen wie Ginko, Ginseng oder Johanniskraut. In geringem Maß sind sie weder schädlich noch nützlich. Doch manche Hersteller verwenden die Wirkstoffe auch in sehr hoher Dosis. Wer zu viel davon trinkt, riskiert Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Blutdruckerhöhung. Bereits zwei Gläser eines der untersuchten Getränke liefern 100 Milligramm Ginkoextrakt. Diese Menge entspricht der Dosierung eines Arzneimittels. Hinweise zu Risiken und Nebenwirkungen, wie für Medikamente vorgeschrieben, sind auf den Getränken nicht zu finden. Diese Praxis steht den Verbraucherinteressen und dem Lebensmittelgesetzt entgegen. Denn nach dem Gesetz sind Lebensmittel in erster Linie zur Ernährung und zum Genuss bestimmt. Wellness-Drinks werden jedoch hauptsächlich wegen der erhofften gesundheitlichen Wirkung gekauft. Somit müssten sie eigentlich dem Arzneimittelgesetz unterliegen.
Wellnepp: Verbraucher ausgetrickst
Ob die verschiedenen pflanzlichen Zusätze in den Getränken die beworbene Wirkung entfalten, ist nicht belegt. So hilft Melisse erfahrungsgemäß als Tee bei Schlafstörungen. Unbekannt ist, in wie weit Melissenextrakte in Kombination mit Mineralwasser und anderen Kräutern entspannend wirken. Die Verbraucherzentralen beanstanden, dass eine Irreführung und Täuschung vorliegt, wenn Aussagen über die Wirkung eines Produktes nicht wissenschaftlich nachgewiesen sind. Den Vorwurf umgeht die Industrie geschickt. Oft beziehen sich Werbeaussagen wie "Melisse wirkt beruhigend" nicht auf das Produkt, sondern nur auf den guten Ruf der Zusätze. Die Verbraucherzentralen fordern deshalb gesetzliche Regelungen, die dafür sorgen, dass sich Werbeaussagen ausdrücklich auf das Produkt beziehen und nicht auf einzelne Zutaten.Das positive Image einzelner Substanzen wie Aloe Vera, Kombucha und Shiitake wird zudem von den Medien gründlich aufpoliert. Gesundheitsratgeber in Illustrierten, TV- und Radiosendungen berichten regelmäßig über potenzielle Wirkungen. Kein Wunder, sind die Hersteller doch oft wichtige Werbekunden dieser Medien. Sobald die ständig in die Schlagzeilen gehievten Substanzen auf dem Etikett auftauchen, verbindet der Verbraucher die positive Wirkung der Zusätze mit dem gesamten Produkt. Die geschickte Werbestrategie grenzt fast schon an Verbrauchertäuschung. So weit Arzneistoffe oder Zucker nicht überdosiert sind, geht von Wellness-Getränken zwar keine gesundheitliche Gefahr aus. Doch wer abschalten will und Entspannung sucht, darf sich von den Drinks nicht zu viel versprechen. Bis die irreführende Werbung verbannt ist, sollten Verbraucher auf ihren Verstand hören und gesundheitliche Versprechen kritisch hinterfragen. Spaziergänge, ausreichend Schlaf, Autogenes Training oder ein einfacher Kräutertee sind preiswerter und mit Sicherheit effektiver als die Wellnepp-Getränke.
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Rehrmann, N.: UGB-Forum 6/04, S. 308-309