HIV-Infektion: Immunstärkend essen
Menschen mit HIV sollten nicht allein auf die Wirkung ihrer Medikamente bauen. Sie können selbst aktiv werden und durch einen bewussten Lebensstil ihre Erkrankung positiv beeinflussen. Dabei spielt die Ernährung eine wichtige Rolle.
HIV ist die Abkürzung für das human immunodeficiency virus. Es schädigt das menschliche Immunsystem bis zum völligen Versagen. Das Endstadium einer HIV-Infektion bezeichnet man als AIDS. Die vier Buchstaben stehen für acquired immune deficiency syndrom. Übersetzt bedeutet das erworbenes Immundefektsyndrom. In Deutschland leben zur Zeit schätzungsweise 40.000 Menschen mit dem Virus. Mit Einführung der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) im Jahr 1996 hat sich die Lebensperspektive für viele Betroffene wesentlich verbessert. Standen früher Gewichtsabnahme (Wasting-Syndrom) und Ernährungsprobleme wie Appetitverlust, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle im Vordergrund, rücken nun besonders metabolische Veränderungen wie Störungen im Fettstoffwechsel ins Blickfeld der Mediziner und Ernährungsfachkräfte. Eine bedarfsgerechte und abwechslungsreiche Ernährung bleibt daher weiterhin ein wichtiger Mosaikstein der Therapie.
Viele Faktoren beeinflussen die Ernährungssituation eines HIV-Patienten. So steigern eine hohe Virenanzahl im Körper, Infektionen, Fieber oder die Einnahme von Medikamenten den Nährstoffbedarf. Aber auch eine zu geringere Zufuhr von Nährstoffen - bedingt durch Appetitlosigkeit, Geschmacksstörungen, Übelkeit oder Schmerzen beim Essen - kann einen Mangel hervorrufen. Zudem kann die Nährstoffaufnahme aus dem Darm in den Körper vermindert sein. Ursachen hierfür sind zum Beispiel Durchfall, Darmparasiten oder Funktionsstörungen der Bauchspeicheldrüse.
Richtige Ernährung stärkt das Immunsystem - auch bei Aids
Studien zeigten, dass eine erhöhte Virusvermehrung zu stärkerem oxidativen Stress im Körper führt. Oxidativer Stress entsteht durch freie Radikale, die bei verschiedenen Vorgängen im Organismus anfallen. Unter anderem werden sie bei Infektionen gebildet, um Krankheitserreger abzuwehren. Freie Radikale bilden sich ferner durch erhöhten Alkoholkonsum, Zigarettenrauch, UV-Licht, Ozon, Sonnenbaden, Medikamente, Umweltgifte, psychische Belastung oder körperlichen Stress. Um die Wirkung der freien Radikale zu vermindern, ist die Versorgung mit antioxidativen Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen besonders wichtig. Durch reichlich Obst und Gemüse lässt sich die Zufuhr dieser Stoffe steigern. Zwei Stück Obst plus drei Portionen Gemüse inklusive Blattsalate am Tag sichern die Zufuhr wichtiger Antioxidanzien wie Vitamin C und E, Beta-Carotin, Polyphenole, Flavonoide, Sulfide oder Anthozyane. Wahlweise lässt sich eine Portion auch durch ein Glas Obst- oder Gemüsesaft ersetzen. Insbesondere Apfel-, Orangen-, Birnen-, Trauben-, schwarzer Johannisbeer- und Grapefruitsaft sind reich an antioxidativen Wirkstoffen.Ebenso entzieht das AIDS-Virus mit steigender Viruszahl dem Körper mehr Eiweiß, da es selbst aus Aminosäuren, den Eiweißbausteinen, aufgebaut ist. Der gesteigerte Eiweißbedarf kann durch drei bis vier fettarme Fleischmahlzeiten und zwei Fischmahlzeiten pro Woche sowie täglich zwei Milchprodukte abgedeckt werden. Bei der Wahl des Fisches sind Sorten zu bevorzugen, die reich an Omega-3-Fettsäuren sind, da diese das Immunsystem stärken. Dazu zählen unter anderem Lachs, Hering, Makrelen und Tunfisch. Für die übrigen Mahlzeiten sollten günstige Eiweißkombinationen berücksichtigt werden. Insbesondere bei Vegetariern oder einer gelegentlich auftretenden Abneigung gegen Fleisch sind diese hochwertigen Mahlzeiten besonders wichtig, um eine ausreichende Eiweißzufuhr zu sichern.
Mangel an Mikronährstoffe?
Für einzelne Mikronährstoffe konnte in bestimmten HIV-Stadien ein Mangel nachgewiesen werden. Doch bis heute liegt keine umfassende Untersuchung vor, die die komplexen Wechselwirkungen zwischen HIV-Stadium, Medikamenteneinnahme, Mineral- und Vitaminstatus berücksichtigt und in Empfehlungen zusammenführt. Megadosen an Eiweiß, Vitaminen und Mineralstoffen stehen aufgrund von spektakulären Einzelfallberichten und fragwürdiger Werbung immer wieder in der Diskussion. Dass wirklich ein Mehrbedarf besteht, konnte aber in vielen Fällen nicht nachgewiesen werden.Nährstoffzufuhr individuell ermitteln
Die Praxis zeigt, dass die Ernährungsgewohnheiten der Betroffenen sehr unterschiedlich und pauschale Empfehlungen daher kaum möglich sind. Viele Betroffene nehmen häufig zu wenig Vitamine und Mineralstoffe auf. Dazu zählen neben den Vitaminen A, B1, B6, B12, C, D, E, Folsäure und Beta-Carotin auch die Spurenelemente Selen, Zink und Eisen. Da ein Mangel das Immunsystem schwächen und daher das Krankheitsbild verstärken kann, ist auf eine ausreichende Zufuhr dieser Nährstoffe zu achten. Der Bedarf und die Aufnahme von Makro- und Mikronährstoffen sollte in der Ernährungssprechstunde für jeden einzelnen HIV-Patienten individuell ermittelt werden. Durch eine Ernährungsumstellung kann der Nährstoffbedarf häufig sichergestellt werden. Reicht dies nicht aus, kann der Patient mit entsprechenden Präparaten die Zufuhr optimieren. Zu hohe Dosen einzelner Vitamine können jedoch toxisch wirken und sollten vermieden werden. Zur Orientierung gilt, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) festgelegte "unbedenkliche zusätzliche Zufuhr" nicht zu überschreiten.HIV-Infektion heute besser behandelbar
In den meisten Fällen kann die Virusvermehrung durch die neue Therapieform HAART unterdrückt werden und das Immunsystem erholt sich wieder. Der Bedarf an Nährstoffen ist in dieser Erholungsphase wesentlich geringer als in der Phase des früher häufig auftretenden Gewichtsverlustes. Wie eingangs erwähnt, treten heute hingegen oft Veränderungen im Stoffwechsel mit ungeklärter Ursache auf. Zu beobachten sind unter anderem Fettstoffwechselstörungen wie erhöhte Triglyceridwerte oder Cholesterinspiegel mit erhöhtem LDL-Cholesterin und erniedrigtem HDL-Cholesterin. Obwohl diese Störungen durch die Medikamente verursacht werden, zeigen erste Studien, dass eine Ernährungsumstellung hilfreich sein kann.Den Patienten wird daher empfohlen, die Zufuhr an tierischen Fetten aus Fleisch- und Milchprodukten einzuschränken. Zu bevorzugen sind mageres Fleisch und fettarme Milchprodukte. Cholesterinreiche Lebensmittel wie Innereien, Geflügelhaut, Eigelb oder Krabben sollten eher selten auf dem Speiseplan stehen. Omega-3-Fettsäuren wirken sich günstig auf den Fettstoffwechsel aus. Natürlicherweise kommen sie in fettreichen Meeresfischen in größeren Mengen vor. Auch pflanzliche Fette mit einem hohen Anteil an einfach ungesättigten Fettsäuren haben einen positiven Effekt. Zum Braten eignet sich hier raffiniertes Olivenöl oder Rapsöl. Für Salate, zum Kochen oder Dünsten sind Fette mit einem hohen Anteil mehrfach ungesättigter Fettsäuren wie Sonnenblumenöl oder Maiskeimöl in nativer Form zu empfehlen. Zudem sollten HIV-Infizierte nährstoff- und ballaststoffreiche Lebensmittel wie Vollkornprodukte, Müsli, Gemüse, Kartoffeln und Obst bevorzugen und den Verzehr von Süßigkeiten und Alkohol einschränken.
Rohe Speisen: Risiko für HIV-Infizierte
Für HIV-Infizierte ist es besonders wichtig, jegliches Risiko einer Lebensmittelinfektion zum Beispiel durch Salmonellen oder Toxoplasmoseerreger zu vermeiden. Deshalb ist es ratsam, nur gut durcherhitzte Eier-, Fleisch- und Fischgerichte zu verzehren. Die Kerntemperatur sollte dabei zehn Minuten lang mindestens 70 ?C betragen. Gepökelt oder geräuchert sind diese Lebensmittel in der Regel unbedenklich. Weichgekochte Eier, Tiramisu oder Mousse-au-chocolate mit rohen Eiern sollten Betroffene besser stehen lassen. Auf rohes Fleisch wie Tartar, Carpacchio, Bündner Fleisch oder Pfefferbeißer sollten sie wegen der Toxoplasmosegefahr in jedem Fall verzichten. Frischkornmüsli sollte zum Quellen im Kühlschrank stehen und mit Sauermilchprodukten wie Joghurt angesetzt werden, da die Keimvermehrung dann geringer ist als mit Wasser.Neben der optimalen Nährstoffzufuhr ist körperliche Bewegung ein wichtiger Faktor, um den Aufbau bzw. den Erhalt der stoffwechselaktiven Körperzellmasse und Muskeln zu fördern. Die Zellen werden dadurch besser mit Sauerstoff versorgt, das allgemeine Wohlbefinden und die Immunantwort verbessern sich. Ein individuell angepasstes Bewegungsprogramm beeinflusst auch den Fettstoffwechsel günstig. Bei sehr geschwächten Patienten sollte die Bewegung unter fachlicher Anleitung zum Beispiel durch einen Krankengymnasten geschehen. Wichtig ist, dass die Betroffenen einen Muskelkater vermeiden, denn dieser beeinträchtigt das Immunsystem wie ein kleiner Infekt und das Virus kann sich stärker vermehren.
HIV-Infektion: Selbst aktiv werden lohnt sich
Ein gesundheitsbewusster Lebensstil wirkt sich günstig auf den Verlauf einer HIV-Infektion aus. Neben dem "medizinischen Apparat" können Betroffene auf diese Weise selbst ihre Lebensqualität verbessern. Als selbstverständlicher und fester Bestandteil des tagtäglichen Lebens ist gesundes Essen neben Bewegung und Entspannung eine Möglichkeit für HIV-Infizierte, aktiv gegen die Erkrankung anzugehen. Zusätzlich bietet Essen nicht nur Genuss und Freude, sondern auch Gelegenheit für Gespräche und Kontakte.Es gilt, die Patienten frühzeitig zu motivieren, anzuleiten und zu begleiten, damit sie ihren individuellen gesunden Weg finden und in der Lage sind, Richtiges und Wichtiges rund um Ernährung, Bewegung und Entspannung herauszufiltern. Dieses Wissen muss jeder Patient selbst an sich erfahren und einüben, damit es zum festen Bestandteil seines täglichen Lebens werden kann.
Tipps zu speziellen Ernährungsproblemen:
Rund um die Ernährung - Informationen für Menschen mit HIV und Aids. C. Meinhold, Deutsche Aids-Hilfe e.V. (Hrsg.), Berlin, 2000, kostenlos zu beziehen über die örtliche AIDS-Hilfe oder über DAH e.V., Dieffenbachstr. 33, D10967 Berlin, Fax: 030 / 69 00 87 42, [email protected].Rund um die Ernährung - Onlinebroschüre. C. Meinhold, HIV - Nachrichten (Hrsg.), 2000, PDF-Download in der Rubrik "Sonderausgaben" unter www.hivnachrichten.de
Quelle: Meinhold, C.: UGB-Forum 2/02, S. 62-65