Ernährung bei Krebs
Allein mit einer Diät lässt sich kein Tumor besiegen. Forscher haben aber herausgefunden, dass eine kohlenhydratarme und zugleich extrem fettreiche Ernährung dazu beitragen kann, das Wachstum von Krebszellen zu hemmen.
Nach Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems ist Krebs die zweithäufigste Diagnose in Deutschland. Im Jahr 2010 werden hierzulande nach Angaben des Robert-Koch-Instituts rund 450.000 Menschen neu an Krebs erkranken. Krebs ist aber keine in sich homogene Krankheit. Bis jetzt sind über 200 verschiedene Krebsarten bekannt, die sich zum Beispiel durch betroffene Organe oder Zellstrukturen unterscheiden und daher vollkommen unterschiedliche Auswirkungen auf den Organismus haben können. Ebenso verschieden sind die Beschwerden, die von ihnen ausgehen.
Alle bösartigen (malignen) Tumoren haben aber eines gemeinsam: Sie sind im Gegensatz zu gesunden Körperzellen unsterblich. Während sich normalerweise Zellen kontrolliert auf- und abbauen, unterliegen Tumorzellen nicht dem programmierten Zelltod (Apoptose), mit dem gesunde Gewebe kranke Zellen abstoßen. Tumorzellen können sich ungehindert vermehren und ihren zerstörerischen Gendefekt verbreiten. Anders als gesunde Zellen können sie sogar in benachbartes Gewebe eindringen und Tochterzellen (Metastasen) über die Blutbahn in andere Organe schleusen. All dies geschieht auf Kosten des Körpers, denn die Tumorzellen verändern den Stoffwechsel zu ihren Gunsten, um ihr Wachstum zu fördern. Sie bilden Botenstoffe wie Zytokine und beschleunigen damit den Proteinabbau des Körpers. Dieser kann doppelt so hoch sein wie bei Gesunden und geht hauptsächlich zu Lasten von Muskeleiweiß (Wasting). Zudem steigt der Abbau von Körperfett und die Glucoseverwertung ist durch eine vom Tumor induzierte Insulinresistenz deutlich vermindert.
Guten Ernährungszustand ermöglichen
Gleichzeitig leiden die Patienten ebenfalls durch verschiedene tumorspezifische Botenstoffe unter Appetitverlust und Veränderung des Geschmacksempfindens. Die oftmals sehr schweren Nebenwirkungen der verschiedenen Krebstherapien können den Ernährungszustand weiter erheblich beeinträchtigen. Neben Schmerzen sind daher die am meisten gefürchteten Folgen einer Krebserkrankung der tumorbedingte Appetitverlust (Anorexie) und die daraus resultierende Auszehrung (Kachexie). Die Kachexie ist neben Sepsis (Infektion mit Versagen des Immunsystems) immerhin die zweithäufigste, bei 10-20 Prozent sogar die einzige Todesursache bei Krebs. Ein wichtiges Ziel der Ernährungstherapie bei onkologischen Patienten ist daher, einen guten Ernährungszustand zu erhalten oder wieder zu erreichen und damit die Toleranz gegenüber Therapien zu verbessern, ernährungsbedingte Nebenwirkungen zu verringern, das Infektionsrisiko zu reduzieren und als letzten, aber ebenso wichtigen Grund: die Lebensqualität zu verbessern.
Die Angst der Patienten vor der Krankheit und der Wunsch, selbst etwas tun zu wollen, verführt nicht selten zu dubiosen „Krebsdiäten“, die den Krebs aushungern, zerstören oder heilen sollen. Viele dieser Diäten sind gesundheitsschädlich, weil sie den ohnehin schon entkräfteten Organismus weiter schwächen oder Mangelerscheinungen und Unterversorgung nach sich ziehen. Bestenfalls sind sie nicht ausreichend oder nur schlecht dem individuellen Bedarf angepasst. Dabei ist bekannt, dass einerseits ein guter Ernährungszustand die Prognose erheblich verbessern und andererseits ein Mangelzustand zum Abbruch notwendiger Therapien führen kann. Leider wurde dieser Erkenntnis lange Zeit keine oder nur geringe Beachtung geschenkt: „Essen Sie, was Sie wollen“, oder „Essen Sie wie bisher“, lauteten die allgemeinen Empfehlungen. Durch bessere Kenntnis des Tumorstoffwechsels und seinen Einfluss auf den Organismus können heute wirksamere Empfehlungen ausgesprochen werden: Die bestmögliche Ernährung bei Krebskranken soll energie-, fett- und proteinreich und gleichzeitig eher kohlenhydratarm sein (siehe Tabelle).
Ketogene Ernährung: Kohlenhydrate spielen besondere Rolle
Im Stoffwechsel onkologischer Patienten und der Tumorzellen spielen die Kohlenhydrate, besonders die Glucose, eine große Rolle. Bis vor kurzem ging man davon aus, dass Zuckerlösungen wie Maltodextrin oder mit Zucker angereicherte Speisen und Getränke eine sehr gute Energiequelle für die Patienten sind. Heute ist bekannt, dass Muskeln und Leber die Glucose überhaupt nicht ausreichend verwerten und die Gewebe keine entsprechenden Glykogenvorräte anlegen können. Die dringend notwendige Energie verpufft sozusagen ungenutzt. Im Gegensatz dazu können die Muskelzellen aber Fettsäuren wesentlich besser aufnehmen, speichern oder zur Energiegewinnung verwerten, als dies bei Gesunden der Fall ist. Auch der Eiweißstoffwechsel und -bedarf verändert sich. Da die Proteinumsatzrate durch Tumoren stark erhöht ist, erhöht sich der Eiweißbedarf auf ca. 1,2-1,5 g/kg Körpergewicht.
Tumorzellen mögen Glucose
Nicht nur der Metabolismus der körpereigenen Gewebe wird verändert und hat Einfluss auf den Bedarf. Auch der Tumor selbst hat einen von einer gesunden Zelle abweichenden Stoffwechsel. Zwar verbrauchen maligne Zellen für ihre Energiegewinnung Glucose wie gesunde Zellen, anders als diese „vergären“ die meisten Tumorzellen jedoch den Zucker. Das heißt, sie verstoffwechseln ihn nahezu ohne Sauerstoff (anaerobe Glykolyse), selbst dann, wenn Sauerstoff zur Verfügung steht. Die Energieausbeute ist dadurch zwar um das 15-Fache geringer als durch eine normale Oxidation, das gleichen die Tumorzellen aber durch eine 20-30-fach höhere Aufnahme von Glucose aus, unabhängig vom Nahrungsangebot. Endprodukt dieser anaeroben Glykolyse ist Laktat, das gleichzeitig Schutzfunktionen für die Tumorzellen ausübt. Fette und deren Bausteine, die Fettsäuren, werden dagegen von Tumorzellen so gut wie gar nicht verwertet, während der Verbrauch von Protein um ein Vielfaches erhöht ist.
Ketogene Diät als Therapie?
Diese Stoffwechselanomalität der „Vergärung“ hat bereits 1924 der Nobelpreisträger Otto Heinrich Warburg beschrieben. Die Erkenntnisse sind die Grundlage für die Theorie der ketogenen Diät. Bei einer extrem fettreichen, kohlenhydratarmen Ernährung bilden sich Ketonkörper, die in hohen Konzentrationen die Glucoseaufnahme und -verwertung der malignen Zellen reduzieren und dadurch zum Absterben bringen können. Diese Beobachtung ist um so wichtiger, als dass Tumoren mit zunehmender Aggressivität immer mehr Glucose als einzig mögliche Energiequelle verwenden. Das heißt, eine Behinderung des Glucoseabbaus kann das Tumorwachstum hemmen. Gleichzeitig verhindern die Ketonkörper den Eiweißabbau und damit den gefürchteten Muskelschwund. Durch die extrem kohlenhydratarme Ernährung gibt es außerdem keine Insulinspitzen – Insulin und der verwandte Insulin-like-growthfaktor (IGF1) gelten als Wachstumsförderer von Tumorzellen. Fett bzw. Fettsäuren können darüber hinaus Entzündungsreaktionen entgegenwirken: Omega-3-Fettsäuren bzw. deren pflanzliche Verwandte, die Alpha-Linolensäure, haben ein hohes anti-entzündliches Potenzial.
Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr bei Krebspatienten:
Nährstoff | Menge | Bemerkungen |
Fette | mindestens 50 % der Nichteiweißkalorien | – bevorzugt Leinöl und Fisch (-öl) (Omega-3-Fettsäuren ca. 4-6 g) – Butter, Kokosfett – mittelkettige Triglyceride (MCT) eher nicht: – linolsäurereiche Öle (Sonnenblumen-, Maiskeim-, Sojaöl) |
Für Ölsäure (Olivenöl) liegen derzeit außer für die Prävention keine übereinstimmenden Resultate vor. Ein leicht hemmender Effekt auf das Tumorwachstum wird jedoch angenommen. | ||
Protein | mind. 1,2-1,4 g/kg Körpergewicht (bis 2g/kg Körpergewicht) | tierisch/pflanzlich |
Kohlenhydrate | weniger als 50 % der Gesamtenergieaufnahme | bevorzugt langkettige KH bzw.niedriger glykämischer Index, z. B. Vollkornprodukte, Gemüse |
Energie | 30-35 kcal/kg Körpergewicht | Krebspatienten sollten versuchen, ihr Gewicht zu halten. |
Hochwertige Fette spielen in der Ernährung von Krebspatienten eine besondere Role
"Metabolisch adaptierte Ernährung" nach Holm 2007Noch keine Langzeitstudien zu "Krebsdiäten"
Auf Grund dieser Erkenntnisse werden radikal kohlenhydratarme, sogenannte ketogene Diäten zur Krebsbekämpfung propagiert. Dabei werden ca. 10 Gramm Kohlenhydrate pro 1000 kcal erlaubt, gleichzeitig sollten 70-75 Prozent der Kalorien als Fett verzehrt werden, davon 20-30 Prozent als mittelkettige Fette (MCT) und ca. 0,5-1 g Eicosapentaensäure (EPA) – eine Omega-3-Fettsäure. Die Proteinaufnahme soll 21 Prozent der Kalorien ausmachen. In vitro und im Tierversuch konnten bereits einige Erfolge verzeichnet werden. An der Universität Würzburg wurde eine Studie mit Brustkrebspatientinnen durchgeführt. Einzelbeobachtungen an Tumorpatienten geben Anlass zu der Hoffnung, so die Forscher, dass diese Form der Ernährung das Fortschreiten einer Tumorerkrankung aufhalten oder zumindest verlangsamen könnte. Die Studie wird an der Universität-Frauenklinik Mannheim fortgesetzt.
Langzeitergebnisse einer solchen ketogenen Diät als Krebstherapie liegen allerdings bis heute nicht vor. Auch ist noch nicht bekannt, ob die veränderte Stoffwechsellage zu Interaktionen mit Medikamenten oder anderen Therapeutika führen kann. Die Forscher der Universität Würzburg raten daher denjenigen Patienten, die diese Diät ausprobieren möchten, zu einer dreimonatigen Beobachtungsphase unter strenger ärztlicher Kontrolle.
Ebenfalls als ketogene Diät gilt die TKTL1-Anti-Krebs-Diät nach Dr. Johannes Coy. Seine These ist, dass das TKTL1-Gen bei Krebspatienten den Energiestoffwechsel der Tumorzellen beeinflusse und mit entsprechender Ernährung gegengesteuert werden könne. Wissenschaftlich umstritten ist hierbei allerdings die Frage, ob der Nachweis des Gens tatsächlich einen Hinweis auf die Wirksamkeit der Diät geben kann, zu der nach Coy spezielle Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel nötig sind.
Die Deutsche Krebsgesellschaft warnt in einer Pressemitteilung vom März 2010 vor einer ketogenen Ernährung als Anti-Krebs-Diät, da abgesehen von Tierversuchen bislang keine klinischen Studien vorliegen. Auch von anderen Wissenschaftlern wird sie als „unredlich und unsolide“ angesehen, zumal diese Diät nur unter strenger medizinischer Aufsicht durchgeführt werden darf und mögliche unerwünschte Wirkungen auf den Tumorpatienten nicht ausgeschlossen werden können.
Ernährungs-Empfehlungen an Patienten anpassen
Die Empfehlungen, besonders fett- und proteinreich zu essen, scheinen also heute unbestritten zu sein. Was aber bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Praxis? Wir essen keine Proteine oder Kohlenhydrate, sondern wir haben Quark, Eier, Fleisch, Kartoffeln oder Brot auf dem Teller. Geschmacksvorlieben, Abneigungen, Appetit, Stimmung oder soziales Umfeld bestimmen die Lebensmittelauswahl. Bei onkologischen Patienten wird die Wahl der Nahrungsmittel darüber hinaus entscheidend durch ihre individuelle Verfassung mitbestimmt, wie Übelkeit, Geruchs- und Geschmacksveränderung, Appetitlosigkeit oder Unlust. Diesen persönlichen Vorlieben oder Abneigungen Rechnung zu tragen, ist das oberste Ziel der Ernährungstherapie – sie den wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen, ist der Königsweg der individuellen Beratung. Zugaben beispielsweise von Leinöl, Butter, Sahne oder MCT-Fetten zu allen Mahlzeiten in Speisen und Getränke bringen kalorischen Vorteil und erfüllen die Forderung nach einer fettreichen Ernährung. Darüber hinaus können Fette und Öle unangenehmen Geschmack und Geruch neutralisieren. Zwischenmahlzeiten wie Fruchtjoghurt oder -quark mit Sahne angereichert, versorgen die Patienten mit Proteinen und Fett. Ganz wichtig dabei ist die Qualität und Zusammensetzung der Fette bzw. Fettsäuren. Omega-3-Fettsäuren (in Lein-, Raps- und Walnussöl, fettem Fisch wie Makrele oder Hering) hemmen das Tumorwachstum und verbessern den Ernährungszustand, während Omega-6-Fettsäuren (z. B. Sonnenblumenöl, Arachidonsäure im Fleisch) das Tumorwachstum und die Metastasierung eher stimulieren.
Zusatznahrung kann Defizite ausgleichen
Inzwischen gibt es Zusatznahrungen für onkologische und mangelernährte Patienten mit hohem Fett- (Omega-3-Fettsäuren) und Proteingehalt. Die Zusatznahrungen lassen sich als Zwischenmahlzeit trinken oder in Desserts oder Hauptspeisen einmischen. Sie werden in verschiedenen akzeptablen Geschmacksrichtungen angeboten. Auch gibt es sie als Kaffee oder salzige Suppe. Bei einem hohen Kaloriengehalt besitzen sie gleichzeitig ein geringes Volumen, so dass sie sich als kleine Zwischenmahlzeiten selbst für appetitlose Patienten eignen. Die meisten dieser Zusatznahrungen lassen sich auch zum Aufwerten normaler Speisen verwenden.
Wenn durch Appetitlosigkeit oder Widerwillen die wünschenswerte Menge an Fett, speziell Fischöl, nicht erreicht wird, können Fischölkapseln als Nahrungsergänzungsmittel hilfreich sein. Bei anderen Supplementen wie Vitaminen und Mineralien ist dagegen Vorsicht geboten, da sie leicht überdosiert werden. Hohe Dosen von Antioxidanzien können zum Beispiel die Wirkung einer Bestrahlung reduzieren. Für onkologische Patienten gibt es während der Therapie spezielle Kombinationspräparate, die aber nicht generell, sondern nur nach individueller Prüfung durch den Arzt oder Ernährungstherapeuten empfohlen werden sollten. Spezieller Bedarf besonders an fettlöslichen Vitaminen besteht nach Operationen im Gastrointestinaltrakt und bei dauerhaften Durchfällen. Hier sollten Supplemente den speziellen Anforderungen entsprechend gegeben werden. Eine Sonderrolle nimmt Selen ein, das sogar die Nebenwirkungen einer Chemotherapie reduzieren kann. Die Höhe der Dosierung sollte der behandelnde Arzt festlegen.
Mit Lebensmitteln den Krebs besiegen?
Beachtenswert sind auch die als „Nutraceuticals“ bezeichneten Lebensmittel, die sowohl krebshemmende als auch immunmodulierende Wirkung haben sollen. Die Onkologen Richard Béliveau und Denis Gingras haben in ihrem Buch „Krebszellen mögen keine Himbeeren“ eine Reihe von Studien zusammengetragen, die aufzeigen, dass Lebensmittel wie Kohl, Zwiebeln, Knoblauch, Soja, fetter Fisch, Beeren, Kurkuma oder grüner Tee einzeln oder gemeinsam Krebszellen bekämpfen können. Inwieweit sich hierbei Prävention und Therapie überschneiden, sei dahingestellt; ein Fehler, diese Lebensmittel in die Ernährungstherapie einzubinden, ist es sicherlich nicht. Bei allen Ernährungsempfehlungen und möglichen Restriktionen hat aber die Lebensqualität des Patienten Vorrang. Wenn ein Patient Lust auf etwas Schokolade, ein Stück Kuchen oder ein Eis hat, soll und kann er es mit Genuss und Freude verspeisen. Damit wird die Psyche ein bisschen gestreichelt, die unter der Krankheit und der Therapie genauso zu leiden hat, wie der Körper.
Onlineversion von: Krause-Fabricius G. Ernährung bei Krebs. UGB-Forum spezial: Aktiv gegen Krebs. S 21-24, 2011
Foto: teressa/fotalia.com