Gesunde Knochen: Muskeln bringen´s
Wer regelmäßig Sport treibt, trainiert nicht nur seine Muskeln, sondern sorgt auch für stabile Knochen. Denn Knochen wird nur aufgebaut, wenn er durch Bewegung gefordert wird. Gerade deshalb ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche aktiv sind und so viel wie möglich herumtoben.
Unsere Knochen müssen so fest sein, wie es der Alltag erfordert - sonst brechen sie. Die bei jeder Bewegung auf den Knochen einwirkenden Kräfte fordern ständig seine Festigkeit heraus. Dynamische Muskelanspannungen wie beim Laufen, Springen und Klettern belasten die Knochen am stärksten. Sie machen das Acht- bis Zehnfache des Körpergewichts aus. Statische Kräfte zum Beispiel beim Stehen oder Sitzen bedeuten für den Muskel Haltearbeit. Doch nur aktive Muskelkontraktionen stimulieren den Knochenaufbau, der sich entsprechend der Herausforderungen formt. Sobald jedoch Bequemlichkeit und Passivität siegen und wir vor dem Fernseher sitzen, anstatt uns zu bewegen, verliert der Knochen an Substanz. Unser sitzender Lebensstil verhindert daher eine optimale Knochengesundheit. Die zunehmende Inaktivität von Kindern und Jugendlichen im Zeitalter von Multimedia, lässt erhebliche Gesundheitsprobleme in den nächsten Jahrzehnten befürchten. Bewegungsmangel kann nicht nur zu Haltungsschäden, Störungen der Körperkoordination und unzureichendem Muskelaufbau führen. Er schadet langfristig auch der Knochengesundheit. Daher profitieren aktive Kinder und Jugendliche doppelt. Zum einen bauen sie mit Fußball spielen, Rennen und Toben feste Knochen auf. Zum anderen lernen sie, dass Bewegung ganz selbstverständlich zum Alltag gehört. Ein aktiver Lebensstil kommt ihnen auch als Erwachsene zu Gute. Denn Bewegung in jedem Alter fördert lebenslang die Knochenfestigkeit.
Knochen: Wenig Gewicht - aber stabil gebaut
Knochen besitzen eine Struktur, die sowohl durch große Festigkeit als auch einen minimalen Materialbedarf und damit ein geringes Gewicht gekennzeichnet ist.
Außen befindet sich die so genannte Knochenhaut, das Periost. Hier setzen Sehnen und Bänder an. Als nächstes folgt die Knochenrinde (Kortikalis) aus dichtem Knochengewebe. Im Inneren ist der Knochen aus zarten Bälkchen aufgebaut.
Diese bilden ein Gerüst, das Mediziner als Spongiosa bezeichnen, weil es im Aussehen einem Schwamm ähnelt. Die Bälkchen sind so angeordnet, wie es die Belastung an den einzelnen Knochen erfordert.
Am Knochenaufbau sind drei verschiedene Arten von Zellen beteiligt. Die Knochen aufbauenden Osteoblasten geben eine kollagenhaltige Grundsubstanz ab, die nach und nach durch Calcium- und Phosphateinlagerungen verkalkt. Osteoklasten lösen die verkalkte Grundsubstanz auf, wenn der Knochen nicht mehr belastet wird. Zwischen diesen beiden Zelltypen liegen miteinander vernetzte Osteozyten, die vermutlich den Auf- und Abbau des Knochens steuern. Die Umbauprozesse, mit denen sich der Knochen lebenslang entsprechend der Anforderungen formt, befinden sich in einem dynamischen Gleichgewicht. Außerdem dient das Skelett dem Körper als Calciumspeicher. Der Auf- und Abbau ist somit auch ein Teil des Calciumstoffwechsels. Es findet ein ständiger Austausch des Mineralstoffs zwischen Blut und Knochengewebe statt.
Unsere Vorstellung lautet: Calcium macht den Knochen stark. So steht es zum Beispiel auf Milchtüten und angereicherten Fruchtsäften. Doch motiviert die Calciumzufuhr tatsächlich die Osteoklasten und Osteoblasten, einen Knochen mit einer stabilen Struktur entstehen zu lassen? Wer eine Antwort darauf finden will, sollte die Mechanismen verstehen, die den Knochenstoffwechsel regulieren. Damit der spezielle Aufbau den äußeren Kräften standhält, ist ein Regler erforderlich, der die Zellen informiert, wie sie den Knochen ausrichten müssen. 1964 beschrieb der US-amerikanische Mediziner Harold Frost das Modell des Mechanostaten. Vermutlich übt das Netzwerk der Osteozyten diese Reglerfunktion aus. Sie messen, wie sich der Knochen verformt, wenn er einer Kraft ausgesetzt ist. Möglicherweise signalisieren Flüssigkeitsbewegungen im Inneren der Zellen, welche Anpassungen in der Struktur, Geometrie und Festigkeit erforderlich sind. Der Mechanostat informiert dann die auf- und abbauenden Zellen, was sie zu tun haben. Eine steigende Krafteinwirkung regt die Osteoblasten an, neues Knochengewebe zu bilden. Sinkt die Muskelaktivität, bauen Osteoklasten das Gewebe ab, das nicht mehr benötigt wird.
Starke Knochen brauchen Calcium
Die Zusammenhänge im Knochenstoffwechsel lassen sich am Bild eines Autofahrers veranschaulichen. Der Fahrer (Muskel) startet das Auto (Knochensystem) und entscheidet, ob und wohin gefahren wird (welche Knochen stimuliert werden). Hormone, Ernährung und Medikamente besitzen einen modifizierenden Einfluss im Sinne des Gaspedals oder der Bremse. Das heißt, sie lassen Stoffwechselprozesse im Knochen schneller oder langsamer ablaufen. So sorgen Hormone im Wachstum beispielsweise dafür, dass Bewegung den Knochen stärker stimuliert als im Alter. Proteine aus der Nahrung wiederum unterstützen den Muskelaufbau und damit indirekt den Knochenzuwachs. Fehlt aber die Bewegung der Muskeln, sind Hormone und Ernährung von untergeordneter Natur. Gleiches gilt auch für den Knochenbaustein Calcium. So wie ein Auto nur mit Benzin fährt, ist ein Knochenaufbau nur mit Calcium möglich. Dafür muss ein Mindestmaß des Mineralstoffs in der Nahrung stecken. Doch die Aussage: "Calcium macht Knochen stark" stimmt aufgrund der beschriebenen Zusammenhänge so nicht. Schließlich entscheidet der Fahrer (Muskel), wie viel Benzin benötigt wird. Die Aussage sollte daher geändert werden in "Starke Knochen brauchen Calcium." Denn das Muskelsystem und die körperliche Aktivität haben einen weitaus größeren Einfluss auf die Entwicklung des Skeletts als die Höhe der Calciumaufnahme.
Gleichgewicht im Calciumhaushalt
Drei Hormone beeinflussen den Calciumspiegel im Blut und sind damit maßgeblich am Knochenstoffwechsel beteiligt.
Parathormon:
Die Nebenschilddrüsen schütten den Botenstoff aus, wenn der Calciumspiegel im Blut sinkt. Das Hormon erhöht über verschiedene Ansatzpunkte die Calciummenge im Blut. Zunächst veranlasst es die Nieren, weniger Calcium auszuscheiden. Da es auch die Umwandlung von Vitamin D in die biologisch aktive Form fördert, steigert es die Calciumaufnahme im Darm. Schließlich aktiviert Parathormon die Knochen abbauenden Osteoklasten, Calcium freizusetzen.
Calcitriol:
Hierbei handelt es sich um die hormonähnliche, biologisch aktive Form des Vitamin D. Es stimuliert die Darmzellen, mehr Calcium aus der Nahrung aufzunehmen.
Calcitonin:
Dieses Hormon wird in speziellen Zellen der Schilddrüse gebildet und ist Gegenspieler des Parathormons. Es senkt einen hohen Calciumspiegel im Blut, indem es einen übermäßigen Knochenabbau hemmt.
Östrogen und Testosteron: Auch die Sexualhormone beeinflussen den Knochenumsatz. Ein Mangel an Östrogen, zum Beispiel nach den Wechseljahren, kann verstärkten Knochenabbau auslösen. Testosteron stimuliert den Muskelaufbau und fördert damit auch das Knochenwachstum.
Festigkeit hängt vom Muskel ab
Wenn die Mechanostat-Hypothese von Frost stimmt, muss auch zwischen dem sich entwickelnden Muskel- und Skelettsystem im Kindes- und Jugendalter eine enge Beziehung bestehen. Um dies zu überprüfen, führten Wissenschaftler am Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund eine Studie mit rund 350 gesunden Kindern und Jugendlichen im Alter von fünf bis 20 Jahren durch. Wie sich Muskeln und Knochen entwickeln, wurde mittels Computertomografie am Unterarm untersucht. Neben der Messung der Knochen- und Muskelmasse bestimmten die Wissenschaftler, wie dicht und wie fest der Unterarmknochen ist. Die Ergebnisse zeigten, dass die Muskelmasse mit dem Alter zunimmt und sich bei Jungen und Mädchen unterscheidet. Bis zum Alter von zehn Jahren ist der Muskelzuwachs unabhängig vom Geschlecht. Danach steigt die Muskelmasse bei Jungen stärker an. Ferner wies die Untersuchung nach, dass eine große Muskelmasse die Knochenmasse und -festigkeit erhöht. Ein weiteres wesentliches Ergebnis war, dass zwischen der Muskelmasse und der Knochendichte nur eine sehr schwache Beziehung besteht. Während Knochenmasse die Menge des Knochenmaterials in Milligramm bezeichnet, stellt die Knochendichte (mg pro cm3) eine nahezu alters- und muskelunabhängige Materialkonstante dar. Das macht auch Sinn, denn die Knochendichte ist mehr oder weniger eine Naturkonstante. Genau wie Wasser oder Aluminium eine Dichte haben, besitzt auch das Material Knochen eine bestimmte Dichte. Nimmt während der kindlichen Entwicklung die Muskelmasse zu, erhöht sich die Knochenmasse, nicht aber seine Dichte. Obwohl hinter den Begriffen etwas unterschiedliches steht, wird der Begriff Knochendichte fälschlicherweise häufig synonym für Knochenfestigkeit oder -masse verwendet.
Knochen und Muskeln - eine funktionelle Einheit
Wenn Kräfte auf den Knochen einwirken, wird mehr Gewebe gebildet. Der Durchmesser von Kortikalis sowie Bälkchen steigt. Das lässt sich mit dem Kölner Dom und einer kleinen Kirche daneben vergleichen. Die Maurer benutzten für beide Bauwerke die gleichen Steine mit der gleichen Dichte. Im Unterschied zur Kirche bestehen die Wände des Doms insgesamt aus mehr Steinen und sind deshalb dicker und stabiler. Genauso verhält es sich mit den Knochen. Die Osteoblasten nehmen für alle Knochen das selbe Material. Stabile Knochen haben eine dickere Rinde (Kortikalis) und im Inneren dickere Bälkchen. Damit steigen Knochenmasse und -festigkeit. Die Dortmunder Studie belegt, dass als "Fahrer" die Muskulatur und nicht das Alter bestimmt, wie stabil das Skelettsystem ist. Muskel und Knochen bilden also eine funktionelle Einheit, die bei Skelettuntersuchungen nicht außer Acht gelassen werden darf. Zur Zeit ist es üblich, die Knochenmasse ausschließlich auf das Alter zu beziehen. Da aber nicht alle Kinder im selben Alter gleich groß sind, hat dies wenig Sinn. Denn die Größe entscheidet über die Muskel- und damit die Knochenmasse.
Muskelschwund macht Knochen spröde
Wenn Mediziner die Muskel-Knochen-Einheit ernst nehmen, dürfen Abweichungen im Knochenaufbau nie isoliert betrachtet werden. Bei der Diagnose von Skeletterkrankungen ist also immer auch die Muskulatur zu berücksichtigen. Dafür sollte zuerst abgeklärt werden, ob die vorhandene Muskelmasse der Körpergröße entspricht. Bei einer normalen Muskelentwicklung, aber gleichzeitig unzureichender Knochenfestigkeit, handelt es sich um eine primäre Ske-letterkrankung. Das heißt, die Ursache der Veränderung liegt im Knochen selber. Dies ist zum Beispiel bei der angeborenen Glasknochenkrankheit der Fall.Bei einer sekundären Skeletterkrankung liegt die Schuld jedoch beim Muskel. Denn der Knochen ist eigentlich gesund, auch wenn er zu wenig Substanz aufweist. Die geringe Knochenmasse ist also auf eine verminderte Muskelmasse (Sakropenie) zurückzuführen. In diesem Fall muss abgeklärt werden, welche Ursache der Muskelmangel hat. Dieser sollte dann auch entsprechend behandelt werden, beispielsweise durch Krankengymnastik oder allgemein mehr Bewegung. Sekundäre Skeletterkrankungen können durch einen Muskelschwund nach Cortisonbehandlung beispielsweise bei Rheuma oder Transplantationen auftreten. Auch chronische Krankheiten wie Mukoviszidose und Nierenerkrankungen können den Verlust von Muskelmasse hervorrufen. Besondere Bedeutung kommt mittlerweile dem zunehmenden Bewegungsmangel zu, der auch Muskeln und Knochen schwinden lässt. Auch für die Diagnose der Osteoporose nach den Wechseljahren wäre interessant, ob die Abbauprozesse eher muskel- oder rein knochenbedingt sind. Hier stehen Untersuchungen noch aus.
Mehr bewegte Kinder
Berücksichtigt man die Muskel-Knochen-Einheit, wird deutlich, dass die körperliche Aktivität im Kindes- und Jugendalter unterschätzt wird. Bewegung ist aber für den Aufbau einer möglichst großen Knochenmasse unentbehrlich. Bisher wird jedoch die Muskulatur zu wenig beachtet, wenn es darum geht, die kindliche Entwicklung zu beurteilen. Bei chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter fehlen außerdem konkrete Empfehlungen. Es ist beispielsweise unklar, welche Arten von Bewegung wie oft helfen würden, einen Muskelmangel und damit Folgeschäden am Knochen vorzubeugen. Möglicherweise besitzt auch bei der altersbedingten Knochenabnahme die Muskulatur eine zentrale Rolle. Daraus würden sich vollständig neue Ansätze für Prävention und Früherkennung der Osteoporose sowie ihrer Therapie ergeben. Die geschilderten Zusammenhänge zeigen, dass eine optimale Entwicklung des Muskels, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, zukünftig einen weitaus größeren Stellenwert erhalten muss. Hier ist auch die Gesundheitspolitik gefordert. Sie müsste beispielsweise schon in Schulen und Kindergärten mehr Bewegung ermöglichen.
Quelle: Schönau, E.: UGB-FORUM 4/05, S. 166-169
Weitere Informationen finden Sie hier:
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