Gut ernährt im Alter
Nicht jeder, der das 70. Lebensjahr überschreitet, leidet unter Ernährungsproblemen. Dennoch verändert sich mit zunehmendem Alter, was und wie viel gegessen wird. Während gesunde, mobile Senioren mit Nährstoffen meist recht gut versorgt sind, treten Mangel- beziehungsweise Unterernährung bei gebrechlichen Personen, Pflegebedürftigen oder Heimbewohnern häufiger auf.
Mit steigendem Alter nimmt die Leistungsfähigkeit vieler Organe ab. Das schlägt sich auch auf die Ernährung nieder: Beispielsweise verringern sich Appetit und Verzehrsmenge, weil alte Menschen weniger Hunger verspüren. Dies liegt unter anderem daran, dass Muskelmasse und Bewegung abnehmen und so ein 75-Jähriger etwa 25 Prozent weniger Energie benötigt als ein 25-Jähriger. Der Nährstoffbedarf bleibt dagegen weitgehend unverändert. Für Calcium und die Vitamine D, B6, B12 und C sowie für Protein ist er möglicherweise sogar erhöht. Das heißt, das Essen muss ingesamt eine höhere Nährstoffdichte aufweisen. Aber "hohes Alter stellt nicht per se einen Risikofaktor dar", betont Helmut Heseker, Professor für Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz an der Universität Paderborn. Beispielsweise sind noch 70 Prozent der 80- bis 90-Jährigen und rund ein Drittel der über 100-Jährigen in der Lage, sich selbst zu versorgen.
Wer im Alter sowohl körperlich als auch geistig fit ist und sich seine Selbstständigkeit bewahrt hat, weist nur selten Defizite auf. Dies zeigte eine Umfrage der Universität Bonn, an der rund 360 gesunde, mobile Senioren aus Euskirchen teilnahmen. Nur wenige der im Durchschnitt 75 Jahre alten Befragten gaben an, unter altersbedingten Schwierigkeiten beim Essen zu leiden. Die Meisten nahmen täglich drei Mahlzeiten ein, wobei ihre Energiezufuhr im Bereich der Empfehlungen lag. Auch der Vitamin- und Mineralstoffbedarf war überwiegend gedeckt. Allerdings lag die Aufnahme von Vitamin D und Folsäure deutlich unter den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Insgesamt kommen die Bonner Forscher zu dem Schluss, dass sich gesunde, mobile Senioren unabhängig von ihrem Alter ähnlich wie Erwachsene im Berufsleben ernähren. Bei alten Menschen, die Hilfe im Alltag benötigen, oder bei Heimbewohnern sind Defizite hingegen häufiger anzutreffen.
Resorption mit zunehmenden Alter verändert
Nur die Verzehrsmenge zu beachten, reicht jedoch nicht aus, um die Nährstoffversorgung zu beurteilen. Das belegt die VERA-Studie, die Verbundstudie Ernährungserhebung und Risikofaktoranalyse. 12,5 Prozent der Ende der 80er Jahre untersuchten Senioren wiesen sehr niedrige Vitamin-B12-Spiegel im Blut auf, obwohl die Zufuhr über den Empfehlungen lag.
Zurückzuführen ist das auf die altersbedingte, geringere Produktion von Magensäure, Verdauungsenzymen und dem von der Magenschleimhaut gebildeten Intrinsic Faktor, der die Aufnahme von Vitamin B12 ermöglicht. Hierdurch sinkt die Verwertbarkeit von Vitamin B12, das vorwiegend in Fleisch, Fisch, Eiern oder Milch enthalten ist. Außerdem leiden schätzungsweise 20-50 Prozent der Senioren an einer chronisch atrophischen Gastritis, die die Funktion der Magenschleimhaut weiter eingeschränkt. Erkrankung und Medikamenteneinnahme verschlechtern zusätzlich den Vitamin-B12-Status. Laut Studien sind bis zu 43 Prozent der Senioren mit Vitamin B12 unterversorgt. Zwar kommt ein ausgeprägter Mangel selten vor, doch schon leichte Defizite können kognitive Störungen, Depressionen oder Demenz begünstigen. Denn eine Unterversorgung kann zu einem hohen Homocysteinspiegel führen, der offenbar Gehirn und Nerven schädigt. Eine Extraportion Vitamin B12 hält die DGE jedoch nur bei diagnostizierter atrophischer Gastritis für angezeigt. Da allerdings viele Betroffene nichts von ihrer Erkrankung wissen, rät Prof. Andreas Hahn von der Universität Hannover jedem über 60 täglich mehr als 50 µg Vitamin B12 in Tabletten- oder Kapselform einzunehmen. Dieses ist im Gegensatz zu dem Vitamin aus der Nahrung bei atrophischer Gastritis besser verwertbar.
Nahrungsergänzung kann sinnvoll sein
Die nachlassende Magensäureproduktion führt vermutlich auch bei Calcium und Vitamin B6 zu einer schlechteren Aufnahme. Außerdem sehen Ernährungsexperten im Alter einen erhöhten Bedarf an Vitamin D und möglicherweise an Proteinen. Während sich US-amerikanische Ernährungsempfehlungen daher für die zusätzliche Einnahme von Calcium, Vitamin D und B12 bei über 70-Jährigen aussprechen, empfiehlt die DGE Personen über 65 Jahren nur bei Vitamin D mit 10 µg eine doppelt so hohe Zufuhr wie für Jüngere. Denn die Hautsynthese von Vitamin D nimmt mit dem Alter deutlich ab. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass für über 70-Jährige möglicherweise sogar eine noch höhere Zufuhr von mehr als 15 µg sinnvoll sein könnte. Solche Mengen sind über die körpereigene Produktion durch Sonnenbestrahlung oder Vitamin-D-reiche Lebensmittel wie fette Fische, Leber oder Eigelb nicht zu erreichen.
Bereits heute greift jeder dritte bis fünfte Senior zu Vitamin- und Mineralstoffpräparaten. Doch scheinbar setzen die wenigsten dabei auf die Nährstoffe, die sie tatsächlich brauchen. Das legt eine Langzeitstudie mit Gießener Senioren nahe. Magnesium lag bei den eingenommenen Präparaten an der Spitze, gefolgt von Vitamin E und C, Calcium, Vitamin D und B6. Dabei ergab die Auswertung der Ernährungsprotokolle, dass die befragten Personen im Durchschnitt mit ihren Mahlzeiten bis auf Vitamin D und Calcium die supplementierten Nährstoffe in ausreichender Menge aufnahmen. Kritisch war hingegen die Versorgung mit Folat. Die durchschnittliche Aufnahme aus der Nahrung lag mit 250 µg weit unter den DGE-Empfehlungen von 400 µg täglich. Obwohl sie Präparate einnahmen, erreichten nur ein Drittel der Frauen und weniger als die Hälfte der Männer die empfohlene Tagesdosis. Da Folat gemeinsam mit Vitamin B6 und B12 am Abbau von Homocystein beteiligt ist, kann eine unzureichende Aufnahme ebenfalls Gehirn und Nerven schädigen. Eine aktuelle Studie aus Amerika konnte zudem zeigen, dass ein niedriger Folatspiegel unabhängig vom Vitamin B6- und B12-Spiegel mit einem erhöhten Risiko für Alzheimer einhergeht.
Mangel vermeiden
Oft essen alte Menschen wenig nährstoffreiche Lebensmittel wie Vollkornprodukte, Obst oder Gemüse. Sei es, weil sie diese nicht gut kauen können, der Einkauf von frischen Lebensmitteln schwierig ist oder es ihnen einfach nicht schmeckt. Teilweise kommt auch die Eiweißaufnahme zu kurz. "Wer immer seltener Fleisch oder andere Eiweißträger wie Milchprodukte zu sich nimmt, verstärkt Muskelabbau und Sturzrisiko. Es ist dann sinnvoll, Proteinpulver oder Trinknahrung zuzusetzen", empfiehlt Dr. Ralf-Joachim Schulz, Gastroenterologe und Geriater am Berliner Charité-Krankenhaus. Das gelte auch, wenn wegen Kauproblemen Fleisch, Wurst oder Käse nicht mehr auf dem Speiseplan stünden. Eine aktuelle Übersichtsarbeit aus Kanada kommt zu dem Ergebnis, dass ältere Personen einen höheren Bedarf an Proteinen haben, weil ihr Körper sie weniger effektiv verwertet. Während bei jüngeren Menschen die Empfehlung von täglich 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht gilt, schlagen die Forscher für ältere, insbesondere für gebrechliche Senioren eine Aufnahme von 1-1,3 Gramm Protein vor. Außerdem liefern mittlerweile einige Studien Hinweise dafür, dass eine proteinreiche Kost den altersbedingten Muskelschwund vermindern kann.
Kritische Nährstoffe
- Vitamin B6 : verringerte Resorption: Vollkornprodukte, Fleisch, Fisch, Nüsse essen
- Vitamin B12: verringerte Aufnahme: Fleisch, Fisch, Eier, Milch, evtl. Supplemente sinnvoll
- Vitamin C: Bedarf eventuell erhöht: täglich mehrere Portionen Gemüse und Obst, evtl. als Mus, püriert oder als Saft
- Vitamin D: verringerte Hautsynthese: nur in fettem Fisch und Eigelb, evtl. Supplemente sinnvoll
- Folsäure: zu geringe Aufnahme: grüne Gemüse, Orangen, Tomaten, Vollkornprodukte
- Calcium: verringerte Resorption: regelmäßig Milchprodukte, calciumreiches Mineralwasser
- Protein: höherer Bedarf möglich: ausreichend Milchprodukte, mageres Fleisch, Hülsenfrüchte oder Sojaprodukte essen
Medikamente beachten
Doch nicht nur körperliche Veränderungen, sondern auch die Einnahme von Medikamenten beeinflusst, wie viel Senioren essen und in welchem Umfang Nährstoffe verwertet werden. Nicht selten nehmen alte Menschen aufgrund von verschiedenen Beschwerden oder Erkrankungen schon am Morgen bis zu zehn Tabletten ein. "Über fehlenden Appetit beim Frühstück muss man sich dann nicht wundern," meint Dr. Schulz. "Die häufig verordneten Herzglykoside wie Digoxin gegen Herzschwäche können als Nebenwirkung Übelkeit oder Appetitlosigkeit auslösen. Seditativa, die Senioren bei Schlafstörungen einnehmen, führen oft zu Antriebslosigkeit, Appetitmangel oder Verstopfungen," erklärt der Mediziner. Und Abführmittel schädigen die Darmzotten, so dass weniger Nährstoffe aufgenommen würden. Antirheumatika können im Magen-Darm-Trakt zu chronischen Entzündungen führen und dadurch den Appetit stark senken. Und schließlich spülen harntreibende Mittel (Diuretika) Mineralien aus dem Körper. Gerade der Verlust von Magnesium und Kalium wirkt sich wiederum negativ auf den Appetit aus.
Wie stark Medikamente die Ernährung beeinflussen, hängt von der Dosierung ab und ist individuell verschieden. Wer feststellt, dass Appetit oder sogar Gewicht abnehmen, sollte mit seinem Arzt reden. Denn wird zu wenig gegessen, führt dies zwangsläufig zu einer Mangelernährung. Die Betroffenen selbst, Angehörige, Pflegepersonal und Ärzte übersehen diese jedoch häufig. Da mehr als zwei Drittel der pflegebedürftigen Senioren zu Hause lebt, ist Mangelernährung nicht allein ein Problem der Alten- und Pflegeheime. Knapp zehn Prozent der in den eigenen vier Wänden lebenden Senioren sind untergewichtig, ermittelte die Paderborner Seniorenstudie. Zu den ersten Anzeichen zählen Antriebslosigkeit, Schwäche oder der Verlust an Lebensfreude. Daher ist es sinnvoll, gerade Hochbetagte und Pflegebedürftige regelmäßig zu wiegen.
Mangelernährung hat meist mehrere Ursachen. Organische Veränderungen wie verlangsamte Magendehnung, länger anhaltende Wirkung von Sättigungshormonen oder auch abnehmende Geschmacks- und Geruchsempfindungen können die Nahrungsmenge einschränken. Neben einschneidenden Lebensereignissen - wie schwere Erkrankungen, der Tod des Partners oder der Einzug in ein Altenheim - können auch Kau- und Schluckbeschwerden das Essen erschweren.
Kaubeschwerden häufig
Unter schlecht sitzenden Zahnprothesen, Zahnschmerzen, Mundtrockenheit oder einer verringerten Speichelbildung leiden viele alte Menschen. Häufig essen Betroffene einfach weniger oder greifen nur noch zu weichen Speisen. Vor allem Gemüse und Obst, aber auch Vollkornprodukte und Fleisch stehen dann seltener auf dem Speiseplan, so dass sich die Energie- und Nährstoffversorgung verschlechtern. Die Folgen einer Mangelernährung reichen von nachlassender Muskelkraft und erhöhter Infektanfälligkeit über Herzschwäche bis hin zu neurologischen Störungen.
Mundtrockenheit, Schluckbeschwerden oder Demenz erschweren auch das Trinken. Die Angst vor Inkontinenz oder Prostatabeschwerden führt ebenfalls dazu, dass alte Menschen zu wenig Flüssigkeit aufnehmen. Hinzu kommt ein verringertes Durstempfinden, weil die hormonelle Regulation aus der Balance gerät. Eine Befragung in einem Paderborner Altenheim zeigte, dass nur 50 Prozent der Bewohner die empfohlene Menge von 1,5 bis 2 Litern trinken. Doch Flüssigkeitsdefizite schränken körperliche und geistige Leistungen erheblich ein. Haut und Schleimhäute trocknen aus und es kann zu Kreislauf- und Nierenversagen kommen. Auch Verwirrtheit beruht oft auf Flüssigkeitsmangel. Damit es nicht so weit kommt, sollten immer Getränke in Sichtweite stehen. Hilfreich können spezielle Trinkgefäße wie Becher mit zwei Griffen sowie ein Trinkprotokoll sein.
Lebensqualität: Alt ist nicht gleich alt
Unabhängig vom Alter entscheiden in erster Linie die körperliche und geistige Verfassung, wie gut Senioren mit Energie und Nährstoffen versorgt sind. Wer sich auch im Alter abwechslungsreich ernährt, kann Defizite vermeiden. Individuelle Schwierigkeiten beim Essen müssen berücksichtigt und nach Möglichkeit beseitigt werden. Denn neben Bewegung, sozialen Kontakten und Ausgeglichenheit sorgt eine gesunde Ernährung in jedem Alter für optimale Lebensqualität.
Quelle: UGB-FORUM 2/07, S. 61-64
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Gut ernährt im Alter und bei Demenz