Wieviele Nährstoffe brauchen wir?

Benötigen wir heute mehr Nährstoffe als früher, oder reicht es aus, nährstoffreiche Lebensmittel zu essen? Wir fragten den Ernährungswissenschaftler Dr. Andreas Hahn, was er von Vitamintabletten und Mineralstoffpräparaten hält.

Frage: Häufig wird behauptet, die Nährstoffe in unseren Lebensmitteln reichten für eine optimale Zufuhr nicht mehr aus. Stimmt das?

Antwort: Das ist sehr schwer zu beurteilen. Es gibt beispielsweise eine Untersuchung des Schwarzwald Sanatoriums Obertal, die aufzeigt, daß einige Lebensmittel heute weniger Nährstoffe enthalten als noch vor etwa 10 Jahren. Wie aussagekräftig diese Daten sind, kann man im Moment noch nicht beurteilen. Um der Behauptung nachzugehen, wären systematische Untersuchungen erforderlich. Derzeit ist das Argument weder zu bestätigen noch zu entkräften.

Frage: Brauchen wir durch unsere heutigen Lebensbedingungen mehr Nährstoffe als früher?

Antwort: Es gibt sicherlich Situationen, in denen der Nährstoffbedarf erhöht ist. Man muß bedenken, daß die Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr für Gesunde konzipiert sind. Das heißt, sie berücksichtigen nicht besondere körperliche Belastungen, chronische Erkrankungen oder die Einnahme von Medikamenten, die den Nährstoffbedarf erhöhen. Menschen, die an entzündlichen Erkrankungen wie Rheuma leiden, benötigen beispielsweise mehr Antioxidantien. Für bestimmte Personen könnte eine erhöhte Nährstoffaufnahme auch aus präventiver Sicht sinnvoll sein. Dies betrifft zum Beispiel Menschen mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebs. Aber auch Personen, die starkem oxidativem Streß ausgesetzt sind, wie Leistungssportler und Flugpersonal, zählen zu dieser Gruppe. Solche Menschen sollten mehr antioxidative Vitamine wie Vitamin E, Vitamin C und Beta-Carotin zu sich nehmen. Zusätzliche Vitamine besitzen gewisse vorbeugende Effekte, die man sich zunutzen machen kann. Sie ersetzen aber keine vernünftige Lebensführung und sind auch kein "Muß" für jeden Menschen.

Frage: Ist es möglich, sich über Nahrungsmittel ausreichend mit allen Nährstoffen zu versorgen?

Antwort: Grundsätzlich ist es natürlich möglich, sich über die Nahrung mit allen Nährstoffen zu versorgen. Allerdings müssen dafür die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung oder die Empfehlungen der Vollwert-Ernährung eingehalten werden. Das bedeutet in jedem Fall eine Abkehr von der durchschnittlich fettreichen und ballaststoffarmen Ernährung hin zu einer Kost mit reichlich pflanzlichen Lebensmitteln. Nur mit einer pflanzenbetonten Nahrung können ausreichend Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe aufgenommen werden.

Frage: Wann können einzelne Nährstoffe knapp werden?

Antwort: Bestimmte Gruppen wie Schwangere, Stillende oder Leistungssportler haben einen erhöhten Nährstoffbedarf. Auch Senioren nehmen durch körperliche Veränderungen und psychosoziale Faktoren häufig nicht ausreichend Nährstoffe auf. Man weiß heute beispielsweise, daß eine mangelhafte Zinkversorgung den Geruchs- und Geschmackssinn beeinträchtigt. Die Gabe von Zink kann bei Senioren den Appetit wieder steigern. Auch Personen, die chronisch krank sind, z. B. Epileptiker und Diabetiker, oder Frauen, die die Pille einnehmen, benötigen teilweise mehr Nährstoffe.

Frage: Werden Vitamine im Naturverband besser genutzt als synthetisch hergestellte?

Antwort: Nein, synthetische Vitamine sind ebensogut zu nutzen wie Vitamine aus Lebensmitteln. Die Substanzen sind absolut identisch, und es gibt von daher keine Unterschiede zu Vitaminen oder Mineralstoffen im Nahrungsverband. Da über Nahrungsergänzungsmittel relativ hohe Mengen an Nährstoffen auf einmal eingenommen werden, ist die relative Verfügbarkeit natürlich geringer, als wenn die Nährstoffe über den Tag verteilt in kleinen Mengen verzehrt werden, wie es bei Lebensmitteln der Fall ist. In der Regel wird dies von den Herstellern jedoch berücksichtigt, so daß unterm Strich ausreichend Nährstoffe im Körper ankommen.

Frage: Können Nahrungsergänzungsmittel auch schaden?

Antwort: Es ist keine Gefahr gegeben, wenn man die Produkte entsprechend den Empfehlungen auf der Packung einnimmt. Bei den meisten Vitaminen treten unerwünschte Nebeneffekte erst auf, wenn die Dosierung deutlich überschritten wird. Von Vitamin C sind selbst mehrere Gramm am Tag unbedenklich. ähnliches gilt auch für die anderen Vitamine. Lediglich bei Vitamin A und D kann eine überhöhte Zufuhr zu toxischen Nebenwirkungen führen. Die einzige Empfehlung, die man heute etwas einschränken sollte, ist die für Beta-Carotin. Es gibt Hinweise, daß mehr als 25 Milligramm Beta-Carotin pro Tag bei Rauchern das Lungenkrebsrisiko erhöhen. Daher sollten Raucher Präparate bevorzugen, die nicht mehr als 10-20 Milligramm Beta-Carotin in der Tagesdosis enthalten. Generell ist es günstiger, immer das gesamte Spektrum an Antioxidantien aufzunehmen, also Vitamin E, Vitamin C, Carotinoide und Selen.

Frage: Ist zu befürchten, daß sich durch Nahrungsergänzungsmittel Nährstoffe in der Aufnahme behindern?

Antwort: Es gibt natürlich Wechselwirkungen zwischen den Nährstoffen, wie dies auch bei jeder Mahlzeit auftritt. Ganz wichtig ist, daß das Verhältnis der einzelnen Nährstoffe zueinander stimmt. Man weiß zum Beispiel, daß eine sehr hohe Calciumzufuhr die Aufnahme von Eisen verschlechtert. Es muß also ein gewisses Gleichgewicht vorhanden sein. In der Regel wird dies bei seriösen Produkten gewährleistet. Bei einzelnen Präparaten, insbesondere aus dem Ausland, kann es jedoch vorkommen, daß sie unphysiologische Dosierungen enthalten.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Quelle: UGB-Forum 2/98, S. 80-81

Foto: Bernd Kasper / pixelio.de


Dieser Beitrag ist dem UGB-Archiv entnommen.

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