Zöliakie - Essen ohne Gluten
Noch vor zwanzig Jahren galt Zöliakie bzw. Glutenunverträglichkeit als ausheilbare Kinderkrankheit. Heute wird die Unverträglichkeit für Gluten immer häufiger auch bei Erwachsenen festgestellt. Nur mit einer konsequenten Ernährung können Betroffene ein beschwerdefreies Leben führen.
Gluten-Unverträglichkeit - etwa jeder 800. Deutsche leidet an Zöliakie
Die ersten Anzeichen treten in der Regel beim Kleinkind auf, wenn es von Muttermilch auf glutenhaltige Beikost umgestellt wird. Klassische Symptome sind Durchfall, Gewichtsabnahme, verstärkte Blähungen und andere Missempfindungen im Bauchraum, Blässe, erhöhte Infektanfälligkeit, ein aufgedunsener Bauch und verzögertes Wachstum. Hin und wieder klagen Betroffene anstelle des Durchfalls auch über Verstopfung. Immer häufiger wird die Gluten-Unverträglichkeit erst bei älteren Kindern bzw. Jugendlichen erkannt. Die Symptome sind dann weniger stark ausgeprägt. Meist wird die Zöliakie erst diagnostiziert, wenn die Betroffenen hinter der Entwicklung von Gleichaltrigen zurückbleiben. Generell beobachten Experten, dass schwache Formen der Zöliakie mit untypischen Beschwerden zunehmen.
Zöliakie: Erkrankung wird häufig nicht erkannt
Auch immer mehr Erwachsene tragen die Erkrankung jahrelang mit sich herum, ohne davon zu wissen. Schätzungsweise ist jeder 300. in Deutschland von einer unentdeckten Gluten-Unverträglichkeit betroffen. Bei mehr als der Hälfte der neu erkrankten Erwachsenen zeigen sich unspezifische Symptome wie Knochen- und Gelenkschmerzen, die häufig falsch interpretiert und als psychische Probleme abgetan werden. Aufgrund der oft unklaren Symptome bezeichnen Mediziner die Zöliakie im Erwachsenenalter auch als Chamäleon unter den Krankheiten.
Gluten-Unverträglichkeit: Eindeutige Diagnose durch Gewebeprobe
Eine rechtzeitige Diagnose und Therapie ist entscheidend, um negative Auswirkungen von Mangel-Erkrankungen wie Anämie oder Osteoporose zu vermeiden. Zudem steigt sowohl unter normaler als auch unter glutenreduzierter Kost das Risiko für Krebs des Dünndarms oder der Speiseröhre um das Zehn- bzw. Fünffache. Eine streng glutenfreie Ernährung kann das Krebsrisiko jedoch entscheidend verringern. Wird die Diät nach der ersten Diagnose über fünf Jahre strikt eingehalten, ist das Krebsrisiko nicht höher als bei Gesunden.Für die eindeutige Diagnose entnehmen Ärzte bei einer Biopsie eine Gewebeprobe der Dünndarmschleimhaut. Dabei wird unter örtlicher Betäubung ähnlich wie bei einer Magenspiegelung ein Schlauch mit Zange oder Saugkapsel in den Dünndarm eingeführt und ein Stückchen von der Oberfläche der Darmschleimhaut entnommen. Dieses Schleimhautstück wird genauestens auf das Aussehen der Zotten untersucht. Die Schleimhaut eines Zöliakie-Patienten zeigt deutlich weniger Zotten, vertiefte Krypten und vermehrt Entzündungszellen. Eine Biopsie ist zwar unangenehm, jedoch sind Komplikationen und falsche Ergebnisse relativ selten. Bei einem ersten Verdacht auf Zöliakie setzt sich immer mehr die Bestimmung spezieller Antikörper durch. Dabei untersucht ein Labor Antikörper gegen Gluten, gegen Endomysium (Gewebe, das die Muskelzellen verbindet) und gegen das Enzym Transglutaminase, das Gluten spaltet. Im Gegensatz zu einer Allergie sind nicht die Immunglobuline E (IgE), sondern die Antikörper der Klassen A und G (IgA und IgG) an der Reaktion beteiligt. Das Labor muss daher genau wissen, welche Antikörper zu prüfen sind. Sowohl die Biopsie als auch die spezielle Antikörpertestung zählen nicht zu den Standarduntersuchungen in der Praxis eines Arztes. Es dauert daher auch heute noch relativ lange vom ersten Symptom bis zur Feststellung der Erkrankung; dabei können unter Umständen mehrere Jahre vergehen. Trotzdem sollte sich jeder bei Verdacht auf Zöliakie zunächst eingehend untersuchen lassen und nicht probeweise auf Gluten verzichten. Es erschwert die Diagnose erheblich, wenn sich jemand bereits glutenfrei ernährt, weil sich die Anzeichen für die Krankheit zurückbilden. Meist ist dann nur mit erneuter Glutenzufuhr ein korrektes Ergebnis zu erreichen.
Was ist Zöliakie bzw. Gluten-Unverträglichkeit?
Zöliakie ist eine chronische Erkrankung des Dünndarmes. Das Verdauungsorgan besitzt zur Aufnahme der Nährstoffe zahlreiche Zotten, das sind fingerförmige Ausstülpungen der Darmschleimhaut. Bei Zöliakiekranken werden diese Darmzotten geschädigt, wenn Gluten, ein Getreideeiweiß aufgenommen wird. Als Folge kommt es zu gravierenden Störungen in der Nährstoffaufnahme. Die eigentliche Ursache für das Auftreten einer Zöliakie - die im Erwachsenenalter auch einheimische Sprue genannt wird - ist noch unklar. Mehrere Faktoren sind an der Erkrankung beteiligt. Bekannt ist eine genetische Komponente: Rund 10-20 Prozent der engsten Verwandten sind ebenfalls betroffen. Die Krankheit hat aber auch einen allergischen Anteil: Im Blut können Antikörper gegen das schädigende Eiweiß nachgewiesen werden. Es gibt zudem Hinweise auf einen Autoimmun-Defekt, da die Betroffenen Antikörper gegen eigenes Gewebe (die Zotten) bilden. Zöliakie tritt zudem gehäuft bei anderen Autoimmun- und atopischen Krankheiten wie Diabetes mellitus, rheumatoide Arthritis, Asthma oder Down-Syndrom auf.
Glutenfreie Ernährung in der Praxis
Die einzig mögliche Behandlung der Zöliakie ist der konsequente Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel. Schon nach kurzer Zeit bessern sich die Schäden an der Darmschleimhaut, so dass alle Nährstoffe wieder vollständig resorbiert werden können. Für die Betroffenen heißt das: konsequente und nach heutigen Erkenntnissen lebenslange glutenfreie Ernährung. Da Gluten nicht lebensnotwendig ist, sind durch die Diät keinerlei Nebenwirkungen oder Mangelerscheinungen zu befürchten.Gluten ist der Oberbegriff für bestimmte Eiweißbestandteile im Getreide.
Unverträglich sind die Glutene aus Weizen und seinen Verwandten wie Dinkel, Kammut oder Einkorn sowie Roggen, Gerste und Hafer. Auch bestimmte Wildreisarten, die botanisch mit Hafer verwandt sind, enthalten das schädigende Eiweiß. Praktisch bedeutet das für die Betroffenen: Lebensmittel, die Bestandteile der oben genannten Getreidearten enthalten, sind tabu. Leider handelt es sich hier nicht nur um Brot, Back- und Teigwaren oder Müsli, sondern um eine Vielzahl von Fertig- und Halbfertigprodukten, die nicht im Entferntesten vermuten lassen, dass sie Getreide enthalten. Die Lebensmittelindustrie setzt das Klebereiweiß auch isoliert zur Stabilisierung, Emulgierung und vor allem als Trägerstoff von Gewürzen und Aromen ein. So kommt es, dass sowohl Kartoffelchips als auch Popcorn Gluten enthalten können. Große Probleme bereiten auch Wurstwaren und sogar aromatisierte Tees.Gluten muß nicht ausgewiesen werden
Der tägliche Einkauf entwickelt sich so zu einem echten Hindernislauf. Viele Produkte enthalten Gluten, ohne dass dies auf der Zutatenliste erkennbar ist. Betroffene benötigen daher spezielle Auskünfte der Hersteller über den Glutengehalt von ganz normalen Lebensmitteln wie Fruchtjoghurt, Tomatenketchup und Brotaufstrichen, aber auch über die Zusammensetzung von Medikamenten und Kosmetika wie Zahnpasta und Lippenstifte. Eine Neuerung gibt es für die Betroffenen im Laufe dieses Jahres. Dann müssen die Hersteller die Herkunft von Stärke und modifizierter Stärke auf der Zutatenliste angeben, wenn es sich um glutenhaltige Stärke handelt. Problematisch sind aber vor allem die nicht kennzeichnungspflichtigen technologischen Hilfsstoffe. Auch wenn ein Produkt glutenfreie Maisstärke enthält und entsprechend gekennzeichnet ist, kann es trotzdem Gluten enthalten. Daher bringt die neue Stärkekennzeichnung für Betroffene nur wenig Klarheit.
Spezialprodukte sind sehr teuer
Haben die Betroffenen erst einmal ihre Diagnose und den Schock verdaut, jetzt auf ganz alltägliche Dinge wie normales Brot und Gebäck verzichten zu müssen, benötigen sie dringend eine ausführliche Beratung, wie eine glutenfreie Ernährung im täglichen Leben umzusetzen ist. Als Alternative zu herkömmlichen Brot- und Backwaren gibt es mittlerweile zahlreiche spezielle Produkte aus glutenfreien Getreidearten wie Mais, Reis, Buchweizen oder Hirse sowie aus Kartoffelmehl. Diese diätetischen Lebensmittel sollten in speziellen Betrieben hergestellt sein. In herkömmlichen Bäckereien reicht bereits der Mehlstaub von glutenhaltigem Getreide aus, um die Schleimhaut erneut zu schädigen. Es muss daher eine sehr genaue Trennung der Produktion erfolgen, eigenes Arbeitsmaterial, andere Schürzen, getrennte Lagerung etc. Für eine normale Bäckerei lohnt ein solcher Aufwand in der Regel nicht. Betriebe, die sich auf die Herstellung glutenfreier Produkte spezialisiert haben, führen zudem genaue Analysen durch - ein glutenfreies Lebensmittel darf maximal bis zu 20 mg Gluten pro 100 g Produkt enthalten. Betroffene haben auch die Möglichkeit, aus speziellen Mischungen oder Mehlarten wie Buchweizen oder Hirse glutenfreie Backwaren selbst herzustellen. Kurse, die den Umgang mit den Spezial-Mehlen lehren, sind ratsam. Auch zu Hause müssen glutenhaltige Waren sorgfältig von glutenfreien Produkten getrennt werden.
Wer auf glutenfreie Spezialprodukte zurückgreift, muss mit einigen Mehrkosten rechnen. Leider wird dieser finanzielle Aufwand von den deutschen Krankenkassen in keiner Weise unterstützt. In der Schweiz dagegen zahlt die staatliche Versicherung bis zum Alter von 18 Jahren einen Zuschuss zur täglichen Ernährung. Eine Möglichkeit, um die Mehrkosten zu reduzieren ist es, statt der speziellen glutenfreien Diäterzeugnisse ausschließlich unverarbeitete Rohware zu verwenden sowie Brot und Gebäck selbst zu backen.
Gluten-Unverträglichkeit: Ohne Symptome heißt nicht gesund
Wenn Beschwerden über lange Zeit ausbleiben, setzen auch heute noch viele Ärzte die Diät versuchsweise ab. Die Hoffnung auf Ausheilung ist jedoch trügerisch. Nicht jeder reagiert auf Diätfehler gleich mit den bekannten Symptomen. Bei einigen Betroffenen tritt die Reaktion sofort ein, auch bei unbeabsichtigten Diätfehlern. Starke Durchfälle, Bauchschmerzen und Übelkeit sind die unangenehmen Folgen. Manche reagieren erst, wenn sie über einen längeren Zeitraum glutenhaltige Lebensmittel essen. Wieder andere scheinen symptomfrei, auch wenn jahrelange Diätpausen eingelegt werden. Besonders Jugendliche reagieren auf Diätfehler selten mit deutlichen Symptomen. Zeichen einer verminderten Nährstoffaufnahme wie Vitamin- oder Eisenmangel sind häufig nicht gleich zu spüren. Jahre später, wenn es etwa zu einer besonderen Belastung kommt, z. B. eine Schwangerschaft oder Operation, kehren die bekannten Beschwerden wie aus heiterem Himmel wieder. Während Ärzte früher davon ausgingen, dass die im Kindesalter festgestellte Zöliakie ausheilt und ihre erwachsenen Patienten als gesund entließen, weiß man heute, dass Symptomfreiheit nicht das Ausheilen der Erkrankung bedeutet. Spätschäden lassen sich nur vermeiden, wenn die Betroffenen die Erkrankung nach der eindeutigen Diagnose lebenslang akzeptieren.
Zöliakie: Selbsthilfe-Organisationen sind hilfreich
Wertvolle Hilfe und eine riesige Arbeitserleichterung bei der Zusammenstellung der täglichen Ernährung bieten Selbsthilfevereinigungen der Betroffenen. Die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V. ist sehr professionell organisiert und hilft mit Einkaufsführern, Backkursen und regionalen Ansprechpartnern weiter. Informationsveranstaltungen und Gesprächstreffen geben neuen Mut und motivieren, die notwendige Ernährungsumstellung in Angriff zu nehmen und auch auf Reisen durchzuhalten.
Die Umstellung auf eine glutenfreie Ernährung ist nicht ganz einfach. Immer wieder gibt es auch einmal Rückschläge, ärgerliche Erfahrungen mit dummen Mitmenschen oder Durchhänger bei der Einhaltung der Ernährung. Dennoch ist die Zöliakie eine Erkrankung, mit der es sich sehr gut leben lässt. Die glutenfreie Ernährung hat keine Nebenwirkungen, verursacht keinen Mangel an irgendwelchen Nähr- oder Wirkstoffen und kann ebenso gut schmecken wie normale Kost. Der Zöliakiekranke wird meist aufmerksamer gegenüber dem, was er isst und verringert unbewusst die Aufnahme von vielen Zusatzstoffen. Nehmen Sie als Betroffener die Herausforderung an: Leben Sie glutenfrei. Ernährungsberater, die dem Patienten die glutenfreie Diät näher bringen, sollten diese selbst einmal eine Zeit lang ausprobieren. Das schafft mehr Verständnis im Dialog mit den Betroffenen, für die es heißt: Glutenfrei - ein Leben lang.
Quelle: Hiller, A.: UGB-Forum 2/00, S. 91-94
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