Käufliche Wissenschaft
Wie das Risiko von Gentechnik und Atomenergie einzuschätzen ist oder ob ein Arzneimittel wirkt: Wissenschaftliche Erkenntnisse bilden für viele politische Entscheidungen die Grundlage. Doch wirtschaftliche Interessengruppen nehmen auf Forschungsergebnisse massiv Einfluss.
Der Stand der Wissenschaft ist die Basis für viele richtungsweisende und lebenswichtige Entscheidungen in aller Welt. Politiker, die die gesetzlichen Abgasgrenzwerte oder die Meldepflicht für Krankheiten regeln, Richter, die ein Gutachten einholen, um über Schadenersatz oder Schuld zu entscheiden, Industriemanager, die wissen wollen, welche Folgen ein Produkt für die Umwelt haben könnte, Ärzte, die sich vor der Behandlung mit einem Medikament über dessen Nebenwirkungen informieren wollen oder Ernährungsberater, die wissen müssen, welche gesicherten Empfehlungen sie ihren Patienten geben können: Für sie alle ist es wichtig, den wissenschaftlichen Grundlagen ihrer Entscheidungen trauen zu können. Wissenschaft schafft und pflegt Wissen als gesellschaftliches Kommunikationsmedium.
Unverfälscht und vollständig
Wissen erscheint dann vertrauenswürdig, wenn seine Entstehung transparent und nachvollziehbar dokumentiert wird. Es muss anderen Wissenschaftlern offen zur Verfügung stehen und überprüfbar sein. Wenn wissenschaftliche Ergebnisse unveröffentlicht bleiben, weil sie den Forschern, den Geldgebern oder den Mächtigen nicht gefallen, dann ist das nicht nur eine Verschwendung von Ressourcen, sondern oft auch gefährlich. Ganz zu schweigen von Manipulation und Fälschungen. In der Medizin, der Energie- und Klimaforschung, der Risikoforschung und in anderen relevanten Bereichen gibt es dafür viele Beispiele. So wurde etwa eine unabhängige Risikoforschung bei gentechnisch hergestellten Pflanzen durch große Saatgutkonzerne wie Monsanto systematisch verhindert, indem die Verwendung der Saaten für Forschungszwecke von der Zustimmung der Konzerne abhängig gemacht wurde. Besonders aber die Pharmaindustrie ist wegen zahlreicher Fälle von Wissenschaftsbetrug, Datenunterdrückung und Ergebnisfälschungen einschlägig vorbestraft.
Transparency International Deutschland hat sich in einer Berliner Erklärung gemeinsam mit internationalen Wissenschaftlern für eine vollständige Veröffentlichung aller klinischen Forschungsdaten eingesetzt. Da auch viele wissenschaftliche Zeitschriften und Foren nicht frei von der Einflussnahme von Sponsoren sind, begrüßt Transparency besonders die Entscheidung einiger Verlage, keine Artikel mehr zu veröffentlichen, wenn nicht der Rückgriff auf die zugrunde liegenden Rohdaten der wissenschaftlichen Prüfung offen steht.
Wer bestimmt, was erforscht wird?
Doch was nützen Publikationspflichten, wenn um den heißen Brei herumgeforscht wird? Wer kümmert sich um solche für die Allgemeinheit wichtigen Fragen, die keinen Sponsor finden, weil man mit ihnen kein Geld verdienen kann? Müssten da nicht zumindest öffentliche Mittel diese Bereiche besonders fördern? In Deutschland ist solche kompensatorische, ergänzende Forschung in öffentlichem Interesse stark unterentwickelt. Hier werden öffentliche Forschungsgelder zumeist auch noch dorthin vergeben, wo man sich besonders erfolgreich den Sponsoren aus der Wirtschaft angedient hat.
Ein wichtiges Kriterium für die Anerkennung von Universitäten ist die Summe der von der Wirtschaft akquirierten Sponsorengelder und Drittmittel. Auch die Mittelverteilung an den Universitäten richtet sich inzwischen weitgehend nach dem zu erwartenden wirtschaftlichen Ergebnis. So entstehen blinde Flecken, wie bei der Präventions- und Rehabilitationsforschung, bei der Erforschung regenerativer Energien oder nachhaltiger Lebensmittelproduktion. Im Vergleich mit den öffentlichen Mitteln für Projekte, die im Interesse der Pharma-, Energie- oder Agrarindustrie direkt oder indirekt gefördert werden, wirkt das staatliche Engagement hier sehr dürftig. „Wissen ist Macht“, heißt es schon lange. Seit sich die Wirtschaft um Forschung kümmert, weiß man dort aber auch: „Wissen ist Geld.“ Konsequent und systematisch durchstreifen deshalb sogenannte Angel Investors die wissenschaftliche Landschaft nach verwertbaren Forschungsansätzen. Wissenschaftsfelder mit volkswirtschaftlicher Bedeutung sind ihr bevorzugtes Revier. Die Wirtschaft profitiert von einer chronischen Unterfinanzierung der Forschung aus öffentlichen Geldern. Wer forschen will, braucht Sponsoren aus der Wirtschaft.
Besonders brutal gehen Großkonzerne in der Agrarforschung mit Wissenschaftlern um. Sie beherrschen oder beeinflussen mit ihrem Geld Wissenschaftler, Fakultäten, Institute und Publikationsorgane. Mit ihrem oftmals kriminellen Marketing jagen sie bäuerliche Kleinbetriebe überall auf der Welt vom Acker und schaffen Abhängigkeit von ihren Monopolen. Kritische Wissenschaftler haben es schwer, werden gezielt verdrängt und diffamiert.
Negativ-Ergebnisse unter Verschluss
Die Gesundheitsindustrie schafft durch ein kriminelles Marketing mit Fälschung von Ergebnissen, Korruption von Meinungsführern und Ärzten neue Krankheiten und Abhängigkeiten und macht sich dabei die Weißkittel in den Labors und Kliniken seit Jahrzehnten zu Diensten. Die Literatur hierzu füllt Regale und war erst kürzlich in Freiburg Gegenstand einer großen Konferenz. Wissenschaftler aus aller Welt und insbesondere Vertreter des Cochrane Netzwerkes, die sich für die Verbreitung überprüfbarer Studienergebnisse einsetzen, untermauerten dort diese bedenkliche Entwicklung mit zahlreichen Studien und Vorträgen.
Der Mediziner und Leiter des nordischen Cochrane Centers in Kopenhagen, Professor Peter C. Gøtzsche, vergleicht in seinem sehr eindrucksvollen Buch über diese Praktiken die großen Pharmakonzerne mit Netzwerken der organisierten Kriminalität. Seine Beispiele und gut belegten Zahlen sind erschreckend und stellen unseren medizinischen Alltag gründlich in Frage. Mit Hilfe unterdrückter oder gefälschter Forschungsergebnisse werden riesige Umsätze erschwindelt. Wegen solcher Delikte sind viele große Pharma-Multis schon zu milliardenschweren Straf- und Entschädigungssummen verurteilt worden. Doch diese Strafen kann Big Pharma durch hohe Arzneimittelpreise leicht wieder ausgleichen.
Auch in staatlichen Hochschulen werden nicht nur Projekte, sondern auch Infrastruktur und Personal in zunehmendem Maße mit Geldern aus der Wirtschaft finanziert. 2011 waren es 1,3 Milliarden Euro und damit 100 Millionen Euro mehr als im Vorjahr (siehe Kasten). Eine Hochschule gilt heute als Leuchtturm, wenn sie bei der Einwerbung von Sponsorengeldern besonders erfolgreich anschaffen geht. Und damit das nicht nach Korruption von unabhängiger Wissenschaft aussieht, ließ die Kultusministerkonferenz der Bundesländer schon vor Jahren verlauten, „dass Drittmittelforschung und damit die Einwerbung und Entgegennahme von Drittmitteln zu den Aufgaben der Hochschullehrer zählen und dass dies hochschulpolitisch in besonderer Weise gewollt ist. Ziel einer solchen hochschulrechtlichen Regelung wäre es, (...) klarzustellen, dass bei rechtlich gestatteter Drittmittelannahme bzw. -zuwendung kein strafbares Verhalten vorliegt (was rechtlich gestattet ist, kann nicht strafbar sein).“
Unabhängige Forschung aus öffentlichen Mitteln ist aber ähnlich notwendig, wie Eigenmittel für ein solides Finanzsystem unabdingbar sind. Geld und Wissen sind Medien, auf die wir uns verlassen müssen. Damit wir das können, dürfen sie nicht den egoistischen Spielern der Wirtschaft als Spekulationsfeld überlassen werden. Produktentwicklung ist Wirtschaftsangelegenheit, wissenschaftliche Wahrheitssuche ist öffentliche Notwendigkeit. Daher muss sie auch öffentlich finanziert werden. Medizin, Nahrung, Bildung, Energie, Verkehr sind Bereiche gesellschaftlicher Daseinsvorsorge. Hier muss wirtschaftliches Interesse zweitrangig bleiben und durch Transparenzregeln und ordnungspolitische Maßnahmen in die Schranken gewiesen werden.
Interessenkonflikte ausschließen
Neben einer Pflicht zur Registrierung und Veröffentlichung aller Studien bei einer öffentlichen Stelle sind auch die Sponsoren und Geldgeber von Forschungsvorhaben zu registrieren. Die vier Prinzipien, die der Bundesgerichtshof (BGH) vorgeschlagen hat, umfassen das Prinzip der Trennung, der Transparenz, der Dokumentation und der Genehmigung. Diese Kriterien sind eine gute Richtschnur auf dem Wege zur Verbesserung von Transparenz und Integrität an unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Analoge Regeln sollte es für normensetzende Organe geben, die Leitlinien, Grenzwerte, Definitionen oder andere bindende Regelwerke entwerfen oder sogar beschließen. Im Bereich Ernährung müssten solche Regeln etwa für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) definiert werden, die mit ihren Leitlinien, Empfehlungen und dem Ernährungsbericht im Auftrag der Bundesregierung wesentlichen Einfluss auf politische Entscheidungen im Ernährungs- und Gesundheitsbereich nimmt.
Auch die Selbstverwaltungsorgane der Wissenschaft in Deutschland und die dort auftretenden Interessenkonflikte und Abhängigkeiten sind nicht ausreichend durchschaubar. Transparency International Deutschland hat eine eigene Arbeitsgruppe gegründet, die sich dieser und weiterer Fragen zur Wiederherstellung der Vertrauenswürdigkeit von Wissenschaft annimmt. Wir denken, dass Entscheidungen, Prozesse und Ergebnisse im wissenschaffenden System durch öffentlichen Zugang jederzeit der wissenschaftlichen und juristischen Prüfung zugänglich gehalten werden müssen. Ein Transparenzgesetz Wissenschaft tut not.
Quelle: Wodarg W. UGB-Forum 2/14, S. 65-67
Foto: Zerbor/Fotolia.com
Gøtzsche PC. Deadly Medicines and Organised Crime. 2013, Redclff Publishing Ltd. London
Lotter D. The Genetic Engineering of Food and the Failure of Science – Part 2: Academic Capitalism and the Loss o Scientific Integrity, Int. Jrnl. of Soc. of Agr. & Food, Vol. 16, No. 1, pp. 50-68, 2008
Wodarg W. Transparenz in Forschung und Lehre. Angermüller J. u.a. (Hrsg). Solidarische Bildung. S. 169-184, VSA Hamburg 2009