Lebensstil: Veränderung braucht Ziele
Jeder hat die Freiheit, sich zu ändern. Wer unzufrieden mit sich und seinem Lebensstil ist, sollte sich seine Wünsche und Ziele klar vor Augen führen. Dann gelingt auch die Veränderung.
Mit einem Seufzer lässt sich Frau Schlau in den Sessel fallen. Tage, wie diese, kosten ihre ganze Kraft: Erst der Stress im Büro, dann der hektische Einkauf und das Treppesteigen mit den schweren Tüten und den quengelnden Kindern an der Hand. Nach dem fünften Keks aus der bunten Packung fühlt sie sich erholter. Aber zufrieden ist sie nicht. Immer diese Hektik und nie Zeit für sich - das kann doch nicht gesund sein.
Was ist eigentlich Gesundheit? Oder reicht schon die Abwesenheit von Krankheit, um gesund zu sein? Eine Antwort bietet der amerikanisch-israelische Medizinsoziologe und Begründer der Salutogenese Aaron Antonovsky mit dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum. Ein Mensch ist demnach nicht entweder gesund oder krank, sondern bewegt sich eher zum gesunden oder zum kranken Pol. Ausschlaggebend ist der persönliche Lebensstil, den Gewohnheiten prägen. Diese sind durch Veranlagung, Erziehung und Vorbilder entstanden und steuern uns in Richtung Krankheit oder Gesundheit.
Ob ein Mensch sein Potenzial nutzt, um Gesundheit und Wohlbefinden zu bewahren, wird offensichtlich von seiner Lebenseinstellung bestimmt. Wer Risikofaktoren wie Stress gut auffangen kann, erkrankt weniger oder gesundet schneller. In diesem Sinne bedeutet Gesundheitsförderung, Menschen zu unterstützen, die eigenen Kräfte kennen zu lernen, zu nutzen und auszubauen. Antonovsky nennt das den Kohärenzsinn stärken. Wer davon ausgeht, dass es sich lohnt, Aufgaben zu bewältigen und sein Schicksal in die Hand zu nehmen, besitzt einen starken Kohärenzsinn. Dies spiegelt sich in seiner Lebensführung wider.
Festgefahrenes ändern
Verträumt schaut Frau Schlau in den Garten. Gerne würde sie fitter und schlanker sein. Sie weiß, dass sie sich mehr bewegen und gesünder ernähren müsste. Dafür hat sie schon Diäten und Jogging ausprobiert. Aber nach kurzer Zeit war immer wieder alles beim Alten. Schließlich folgte unweigerlich der Gedanke: "Ich schaffe es doch nicht". Enttäuscht suchte sie dann Trost bei einem Stück Schokolade. Wie soll sich denn je etwas ändern?Verhaltensweisen sind veränderbar - von jedem, der es wirklich will. Schlechte Gewohnheiten, ungeeignete Vorbilder oder eine schwere Kindheit hinterlassen zwar Spuren, legen uns aber nicht ein Leben lang auf ein bestimmtes Verhalten fest. Denn der Menschen hat die Freiheit, sich in allen Lebensbereichen zu verändern und Neues zu lernen: beispielsweise im Umgang mit sich und anderen oder bei Ess-, Trink- und Sportgewohnheiten. Wer seine Aufmerksamkeit schult und die eigenen Gewohnheiten bewusst wahrnimmt, lernt sich besser kennen. Sich selbst und die Welt mit realistischem Optimismus zu betrachten hilft, ungünstige Gewohnheiten zu ändern.
Auf einem Vortrag über Wege zur Verhaltensänderung erfährt Frau Schlau, wie wichtig das realistische Einschätzen der eigenen Fähigkeiten ist. Sie überlegt: Wenn ich es geschafft habe, einen Beruf zu lernen und Kinder zu erziehen, dann kann ich auch lernen, mit mir selbst sorgfältiger umzugehen. Nur weil ich früher keinen Sport mochte, muss das nicht so bleiben. Ich frage meine Freundin, wie sie es geschafft hat, regelmäßig ins Fitness-Studio zu gehen.
Positive Gefühle motivieren
Um Energie für eine Verhaltensänderung aufzubringen, ist Selbstmotivation erforderlich. Voraussetzung dafür ist die feste Überzeugung, dass sich etwas ändern muss und auch die Einsicht, selbst die Verantwortung für den eigenen Lebensstil zu tragen. Hilfreich ist, sich die Vorteile der Verhaltensänderung und die Nachteile, wenn alles beim Alten bleibt, bewusst zu machen. Die Gedanken dazu sollte man sich aufschreiben. Doch das allein reicht nicht aus. Wenn man sich das Neue vorstellt, sollte dies immer mit positiven Gefühlen verknüpft geschehen. Denn alles, was wir lernen und erleben, speichern wir mit den dazu empfundenen Gefühlen ab. Freude drängt darauf, das Gelernte zu wiederholen; Schmerz führt zum Vermeiden. Vor einer Verhaltensänderung ist es also wichtig, sich die Zeit zur Selbstmotivation zu nehmen. Denn sonst bleiben alle Bemühungen nur gute Vorsätze oder Versuche, die auf Dauer nicht zum Erfolg führen.Klare Ziele helfen weiter
In den folgenden Tagen denkt Frau Schlau immer wieder nach, was sie durch eine Umgestaltung ihres Lebens gewinnt: "Wenn ich weiter ungesund esse und mich wenig bewege, könnte ich ernsthaft erkranken - mein Vater hatte schon zwei Herzinfarkte. Ich könnte dann nicht mehr unbeschwert mit meinen Kindern spielen und verliere möglicherweise meinen Job. Wenn ich etwas ändere, würde ich mich besser fühlen. Dann traue ich mir endlich den lang ersehnten Wanderurlaub in den Bergen mit meiner Familie zu. Ja, ich bin für mein Leben selbst verantwortlich und ich kann mich ändern."Genauso wichtig wie die Selbstmotivation ist es, sich über seine Ziele klar zu werden. Denn diese bestimmen die Zukunft. Ohne Anhaltspunkte, was erreicht werden soll, lenken andere Menschen den eigenen Lebensweg. Schon der römische Philosoph Seneca wusste: "Wer den Hafen nicht kennt, für den ist kein Wind der richtige." Hat man sich als Kapitän seines Lebens für den nächsten Hafen entschieden, muss man mit all seinen Kräften auf dieses Ziel hinarbeiten. Damit gute Vorsätze zu Zielen werden, hilft es, sich seine Wünsche und Träume bewusst zu machen. Auch das soziale Umfeld ist zu berücksichtigen. Wer kann mir helfen? Lassen sich meine Ziele mit der Familie vereinbaren? Es ist sinnvoll, die drei wichtigsten Ziele mit Vor- und Nachteilen zu formulieren und schriftlich festzuhalten. Denn ein nicht eindeutig formuliertes Ziel, bleibt ein Vorsatz, der sich je nach Stimmung schnell ändert.
Der Weg zum Ziel
- Lernen Sie sich besser kennen und nehmen Sie Ihre Gewohnheiten bewusst wahr.
- Gehen Sie mit realistischem Optimismus an die Veränderung heran. Was können Sie ändern? Welches Ziel ist erreichbar?
- Notieren Sie die Vorteile, die Sie in einer Veränderung sehen, und die Nachteile, die auftreten, wenn alles beim Alten bleibt. Mit Emotionen verknüpft steigert das die Selbstmotivation.
- Formulieren Sie Ihr Ziel klar, eindeutig und positiv. Am besten schreiben Sie es auf und hängen den Zettel an einen Platz in Ihrer Wohnung, an dem er Ihnen oft ins Auge fällt.
- Veränderungen verlaufen nicht kontinuierlich. Auch ein erreichtes Plateau ist ein Erfolg. Haben Sie Geduld und lernen Sie aus Rückschlägen - diese gehören zum Leben.
Frau Schlau träumt davon, die Treppen im Laufschritt zu nehmen, ohne aus der Puste zu kommen. Gerne würde sie selbstbewusst in die Zukunft schauen. Ach ja, die Bergtour wünscht sie sich schon lange. Und später könnte sie sich beruflich verändern. Sie überlegt: Wo will ich beginnen? Mehr Bewegung im Alltag könnte beim Abnehmen helfen und Stress abbauen. Ihr Ziel steht fest: "Ich will in Zukunft nicht mehr so bequem sein und mich mehr bewegen." Frau Schlau lässt den Satz auf sich wirken, aber er ist kraftlos.
Verhaltensänderung braucht klare Ziele. Damit auch die unbewussten Kräfte, die deutlich wirksamer sind als die bewussten, in die gewünschte Richtung mitarbeiten, sollte der Zielsatz die Sprache des Unterbewusstseins treffen. Das bedeutet, das Ziel wird kurz, prägnant und in der Gegenwart formuliert. Außerdem ist ein Zielsatz immer positiv zu formulieren, das heißt ohne die Worte nicht, kein oder ohne.
Fortschritte brauchen Geduld
Frau Schlau erzählt einer Freundin entmutigt, dass sie sich nicht stark genug fühlt, um ihr Ziel zu erreichen. Die Freundin empfiehlt, den Satz positiv zu formulieren und in ein konkretes Bild zu bringen. Gemeinsam korrigieren sie den Satz: "Ich bin fit und leistungsfähig." Frau Schlau heftet ihr Ziel an den Kühlschrank. Ihr inneres Bild begeistert sie: Von einem Berggipfel schaut sie in die Weite. Sie hat es geschafft, sich aus ihrer einengenden Bequemlichkeit zu befreien.Wenn die Motivation geklärt und das Ziel gehirngerecht formuliert ist, sind die ersten wesentlichen Schritte getan. Nach der Entscheidung für das Ziel ist es nötig, sich zum Handeln aufzuschwingen. Dabei muss die Bereitschaft bestehen, aus Fehlern zu lernen und Methoden oder Strategien so lange zu ändern, bis das Ziel erreicht ist. Für Verhaltensänderungen ist immer Geduld mit sich selbst erforderlich. Der 80-jährige Aikido-Meister George Leonard empfiehlt: "Sagen Sie auch zu den unspektakulären Abschnitten Ihres Lebens Ja. Sie gehören zum Wachstum und machen den Großteil aller Lern- und Entwicklungsvorgänge aus." Das Lernen von Fertigkeiten verläuft nach der "Kurve der Meisterschaft": Zuerst kommt eine kurze Phase des Fortschritts, dann folgt ein Rückfall auf ein etwas niedrigeres Niveau. Auf diesem bleiben wir oft lange Zeit, mit dem Gefühl, auf der Stelle zu treten. Doch ständiges Üben ist Voraussetzung für weiteren Fortschritt. Wo andere frustriert aufgeben, machen erfolgreiche Menschen weiter. Nach Misserfolgen oder Rückschlägen versuchen sie es noch einmal. So festigt sich die neue Gewohnheit. Wer erfolgreich sein Verhalten ändert, zeichnet sich also nicht nur durch Fortschritte aus, sondern auch durch den Umgang mit Rückschritten. Bei dem Gefühl, es geht nicht weiter, kann man sich sagen: "Wieder ein Plateau, ich mache konzentriert und geduldig weiter, irgendwann kommt der Sprung zum nächsten Plateau."
Erfolge beflügeln
Voller Elan beginnt Frau Schlau zweimal in der Woche zu laufen. Nach einiger Zeit gelingt es ihr nur noch selten. Sie überlegt: Ist das Ziel falsch? Nein, ihr inneres Bild hat weiterhin Kraft. Sie horcht in sich hinein. Mit einer Walking-Gruppe würde es ihr leichter fallen. Die regelmäßigen Termine, die Gemeinschaft in der Gruppe und die geringere Belastung helfen ihr, Unlust und Müdigkeit zu überwinden. Als nach einigen Monaten die Planung des Sommerurlaubs ansteht, fühlt sie sich trainiert und will endlich auf ihren Berg steigen. Die Familie ist begeistert. Nach der gelungenen Bergtour setzt sich Frau Schlau neue Ziele. Sie will selbstsicherer werden und überlegt, wie sie das neue Ziel am besten erreichen kann.Jeder, der durch eigenen Einsatz seine Ziele verwirklicht, erlebt, wie Erfolge beflügeln. Wer sein Leben selbst in die Hand nimmt und bewusst gestaltet, stärkt sein Wohlbefinden und verbessert letztendlich die Lebensqualität.
Onlineversion von:
Rutz, G. UGB-FORUM 5/05, S. 221-223