Melatonin: Der Traum von Jugend und Glück
Hormonpillen machen jung, schön und glücklich - angeblich. Als Verjüngungspillen oder Anti-Aging-Hormone sind Melatonin oder Dehydroepiandrosteron (DHEA) in den USA bereits Verkaufsschlager. Lässt sich das Altern tatsächlich aufhalten und ewige Jugend produzieren?
Hormone sind Botenstoffe des Körpers. Zusammen mit dem vegetativen Nervensystem hat das Hormonsystem das übergeordnete Ziel, den menschlichen Körper kontinuierlich an die wechselnden Belastungen der Umwelt anzupassen. Eine große Zahl an körperlichen Funktionen steht unter der komplexen Kontrolle von Hormonen. Dazu zählen z. B. die Verdauung, der Stoffwechsel, das Wachstum, die Entwicklung und Reifung sowie die Fortpflanzung. Hormone beeinflussen aber auch unser Verhalten und psychische Prozesse wie beispielsweise Stimmung, Wohlbefinden und Gedächtnisfunktionen. Das Forschungsfeld, das sich intensiv mit dem Zusammenspiel von Hormonen und psychischen Prozessen auseinandersetzt, ist die Psychoneuroendokrinologie, ein im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen relativ junges Forschungsgebiet.
Hoffnung auf eine Glückspille
Mit fortschreitendem Lebensalter stellen sich verschiedene und zum Teil sehr gravierende Veränderungen im Hormonhaushalt ein. Aufgrund dieser Beobachtung vermuten Experten, dass die eine oder andere altersbedingte körperliche oder psychische Beeinträchtigung mit den hormonellen Veränderungen in Zusammenhang steht. Hormone wie das Dehydroepiandrosteron oder Melatonin werden dabei sogar als "hormoneller Jungbrunnen" oder im englischsprachigen Raum als "anti-aging hormone" bezeichnet.
Dehydroepiandrosteron, das Hormon mit dem schwer auszusprechenden Namen, ist lange Zeit von Wissenschaftlern wenig beachtet worden und steht eigentlich erst seit den 90er Jahren im Fokus der psychoendokrinologischen Forschung. Bisher war nur bekannt, dass diese Vorstufe der Geschlechtshormone etwa ab dem 50. Lebensjahr kontinuierlich absinkt. Weitreichendes Interesse kam jedoch auf, als vor rund zehn Jahren verhaltensbezogene Tierstudien mit DHEA durchgeführt wurden. In zahlreichen Studien stellte sich heraus, dass die Substanz bei typischen Labortieren wie Ratten und Mäusen die Lernfähigkeit und Gedächtniskapazität deutlich steigern konnte. Außerdem schien das Hormon als Anti-Stress-Mittel zu wirken. Labortiere, denen zuvor DHEA injiziert wurde, schütteten in verschiedenen Stress-Situationen deutlich weniger Stresshormone wie Cortisol oder ACTH aus. Darüber hinaus schützte eine DHEA-Behandlung vor bestimmten Krankheiten und verlängerte das Leben der Tiere.
Eine erste Untersuchung mit Menschen, bei der 30 Männer und Frauen über drei Monate hinweg DHEA einnahmen, steigerte die Hoffnung, eine hormonelle "Psycho-Pille" gefunden zu haben: Nach Aussage der Autoren nahm bei 67 Prozent der männlichen und 84 Prozent der weiblichen Studienteilnehmer das psychische Wohlbefinden deutlich zu. So verwundert es nicht, dass in den USA über 6 Milliarden Dollar im Jahr für so genannte "health supplements", das heißt für Vitamine, Mineralien und auch Hormone ausgegeben werden, und der Markt jährlich um weitere 20 Prozent wächst. Amerikanische Reformhausbesitzer kommen angeblich gar nicht nach, ihre Warenregale mit DHEA-haltigen Produkten aufzufüllen.
Wirkung lässt zu wünschen übrig
Bei diesem Boom für die vermeintlichen Glückspillen verschweigen Marketingexperten jedoch, dass die Berichte über die positiven Hormonwirkungen überwiegend aus Tierstudien stammen. Aber Labortiere wie Ratten und Mäuse produzieren erstens von Natur aus kaum DHEA, und zweitens wurden sie in den Experimenten mit extrem hohen Dosen behandelt. Völlig unerforscht ist, was eine hochdosierte DHEA-Behandlung langfristig für Folgen beim Menschen haben kann. Möglicherweise beeinträchtigt eine lange oder hochdosierte Einnahme die Fähigkeit des Körpers, selbst DHEA und/oder andere körpereigene Hormone zu produzieren und auszuschütten. Bei einer Langzeiteinnahme sind vielmehr ähnliche Nebenwirkungen wie bei einer Dauertherapie mit cortisonhaltigen Medikamenten zu erwarten; dazu zählen Vollmondgesicht, Schwellungen, Bluthochdruck, Osteoporose, Potenzstörungen oder Diabetes.
Wissenschaftliche Studien zu den Auswirkungen von DHEA auf Gedächtnisleistungen und psychisches Wohlbefinden beim Menschen gibt es bislang kaum. Auch die Durchführung der oben erwähnten Untersuchung lässt zu wünschen übrig. Denn aussagekräftige Arbeiten beinhalten unter anderem eine streng kontrollierte Vergleichsgruppe und wenden die so genannte Doppelverblindung an. Um Verfälschungen der Ergebnisse zu vermeiden, wissen dabei weder Untersuchungsteilnehmer noch Testleiter, ob gerade die interessierende Wirksubstanz oder lediglich ein Placebo (= Leerpräparat) gegeben wird.
Die wenigen wissenschaftlich sorgfältig durchgeführten Studien demontieren das Bild von DHEA als "Verjüngungs-Wohlfühl-Wunder-Pille": Weder bei jüngeren noch bei älteren Menschen konnten Gedächtnisverbesserungen nachgewiesen werden. Auch die erwünschten Stimmungssteigerungen stellten sich trotz der ersten vielversprechenden Hinweise nicht ein. Als Anti-Stress-Mittel hat sich DHEA beim Menschen ebenfalls nicht bewährt.
Melatonin: Jugendhormon mit Nebenwirkungen
Melatonin ist ein Hormon, das in der Zirbeldrüse produziert und in Abhängigkeit vom Hell-Dunkel-Rhythmus ausgeschüttet wird. Aufgrund der Beobachtung, dass es beim Menschen in hohen Konzentrationen lediglich zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr vorhanden ist und dann bis zum Erwachsenenalter um bis zu 80 Prozent abnimmt, wurde es als "Jugendhormon" bezeichnet. Dass Melatonin die biologische Alterung beim Menschen verzögert, konnte jedoch wissenschaftlich ebenso wenig nachgewiesen werden wie bei DHEA.
Die derzeitigen Kenntnisse lassen vermuten, dass eine Melatonin-Einnahme lediglich bei bestimmten chronischen Schlafstörungen sowie bei Jetlag von Nutzen sein kann. Letzteres ist eine Störung der normalen tagesrhythmischen Schwankungen von Körperfunktionen, die vor allem nach Flugreisen über mehrere Zeitzonen auftritt. Ausreichende Belege für die Wirksamkeit liegen jedoch bislang nicht vor. Als Nebenwirkungen einer Zufuhr von Melatonin sind dagegen Bauchkrämpfe, Kopfschmerzen, Müdigkeit und wahrscheinlich wachstumsfördernde Wirkungen auf bösartige Hautveränderungen nicht auszuschließen. Während in Deutschland, England und Kanada Melatonin rezeptpflichtig ist, kann das Hormon in den USA jeder kaufen.
Wer seinen körpereigenen Melatoninspiegel auf natürliche Art steigern möchte, sollte tagsüber möglichst viel Sonnenlicht tanken, am Abend helles Licht jedoch vermeiden. Förderlich ist zudem, nicht zu rauchen, den Alkoholkonsum zu minimieren sowie Fernreisen, Nacht- und Schichtarbeit gering zu halten.
Glücklich durch Östrogene?
Weitaus positiver fallen die Forschungsergebnisse für das Sexualsteroid Östrogen aus, das als weibliches Geschlechtshormon bekannt ist. Es liegen zahlreiche wissenschaftliche Hinweise dafür vor, dass dieses Hormon an der Regulation von Stimmung und Wohlbefinden beteiligt ist. So scheint sich die Stimmung bei Frauen in den Tagen um den Eisprung herum zu verbessern, was dem höheren Östrogenspiegel zu diesem Zeitpunkt des Zyklus zugeschrieben wird. Werden Wechseljahrsbeschwerden mit einem Östrogenersatz behandelt, können die zugeführten Hormone häufig depressive Symptome verbessern und das subjektive Wohlbefinden steigern.
Die stimmungsverbessernde Wirkung des Östrogens schreiben Wissenschaftler unter anderem seinem günstigen Einfluss auf den Neurotransmitter Serotonin zu, einem Überträgerstoff des Nervensystems. Ein Mangel an Serotonin wird als wichtiger Faktor bei der Entstehung einer Depression diskutiert. Östrogen führt zum einen dazu, dass die Anzahl der Serotonin-Rezeptoren an der Zellmembran ansteigt und die Signalübertragung verbessert wird. Zum anderen bewirkt es die Hemmung des Serotonin abbauenden Enzyms Monoaminooxidase (MAO) und verlängert damit die Lebens- und Wirkzeit von einzelnen Serotonin-Molekülen. Neben diesem Einfluss auf das Serotonin vermuten Wissenschaftler noch weitere Mechanismen, durch die Östrogene für bessere Laune sorgen.
Das Männerhormon
Das so genannte männliche Geschlechtshormon Testosteron wird in der klinischen Praxis ebenfalls mit psychischen Faktoren wie Depressionen oder Wohlbefinden in Verbindung gebracht. Die wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse fallen hier aber weniger eindeutig aus als beim Östrogen. Bedeutsame Stimmungssteigerungen zeigten sich fast ausschließlich bei so genannten hypogonadalen Männern, also solchen Männern, die aus den verschiedensten Gründen ein Defizit an körpereigenem Testosteron aufwiesen. Nach einer Behandlung mit Testosteron verbesserte sich ihre Stimmungslage und die depressiven Symptome. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass nicht das Testosteron direkt für die verbesserte Stimmung verantwortlich ist, sondern dass das verabreichte Testosteron im Körper in wirksame Östrogene umgewandelt wird.
Der ewige Jungbrunnen bleibt Illusion
Der Traum von Hormonen, die uns jung und glücklich machen, geht leider nicht in Erfüllung. Jedenfalls was DHEA und Melatonin betrifft haben sich die Hoffnungen auf ewige Jugend und dauerndes Glück zerschlagen. Das Hormon Östrogen dagegen scheint durchaus positive Auswirkungen auf die menschliche Psyche auszuüben. Ob das für das männliche Geschlechtshormon Testosteron im gleichen Maße gilt, muss die Forschung noch zeigen.
Quelle: Kudielka, B. M.: UGB-Forum 6/00, S. 296-298