Supermarktmacht: Wer zahlt den Preis?
Der Einzelhandel wird von einer immer kleiner werdenden Zahl von Supermarktketten dominiert. Das führt zu unfairen Machtverhältnissen. Die Folge: miserable Arbeitsbedingungen und Löhne für die Verkäuferinnen, Existenzbedrohung für Kleinbauern und Ausbeutung der Arbeiter in den Produktionsländern.
Die sechs größten Lebensmitteleinzelhändler Edeka, Rewe, Lidl, Aldi, Metro und Tengelmann verfügen heute bereits über einen Anteil von ca. 90 Prozent am inländischen Marktvolumen. Ein Ende des Konzentrationsprozesses ist noch nicht in Sicht. Der deutsche Markt gilt schon heute als einer der härtest umkämpften Märkte der Welt, mit einem außerordentlich niedrigen Preisniveau. Dies ist unter anderem der Durchschlagskraft der Discounter mit ihrer aggressiven Preispolitik geschuldet. So gewinnt der Discount-Sektor Jahr für Jahr Marktanteile hinzu, 2008 bereits 44 Prozent des Umsatzes im Lebensmitteleinzelhandel. Die Discounter gehören aber nicht nur bei Lebensmitteln zu den größten Händlern, sondern auch bei Textilien. Je höher der Marktanteil der verbleibenden Supermarktketten, desto mehr wird die Marktkonzentration beim Wareneinkauf verschärft und die Abhängigkeit der Lieferanten einschließlich der Erzeuger vergrößert. Gleichzeitig wird der Einkauf zunehmend zentralisiert, die Lieferkette verkürzt und die Anzahl der Lieferanten reduziert. Aufträge von wenigen großen Supermarktketten oder deren Importeuren, dafür aber mit einem großen Volumen, machen die Lieferanten hier und in den Entwicklungsländern extrem abhängig.
Missbrauch von Einkaufsmacht
Um zusätzliche Marktanteile zu gewinnen, werden Lieferanten und Erzeuger von den Supermarktketten im Preis gedrückt, Vertragskonditionen diktiert. Den Lieferanten bleibt häufig nichts anderes übrig, als die Preis-, Qualitäts- und Liefervorgaben des Einzelhandels zu akzeptieren. Kleinbauern sind aufgrund dieser Vorgaben kaum mehr in der Lage, ihre Produkte bei Supermärkten abzusetzen.
Viele kleine Lieferanten werden nach und nach vom Markt verdrängt, weil sie bei den niedrigen Preisen, den kurzen Lieferfristen oder den Volumenanforderungen nicht mithalten können. Der Konzentrationsprozess der Unternehmen wird beschleunigt und bedeutet gleichzeitig Machtzuwachs. Diese primär am Renditeerfolg der Investoren orientierte Wirtschaftspraxis bleibt nicht ohne Folgen für die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Lieferkette und im Handel. Viel stärker als in anderen Branchen leidet zudem die Qualität der Arbeitsbedingungen im Einzelhandel unter der andauernden politischen Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. So wurden Leistungen für Arbeitslose gekürzt und durch Fehlanreize prekäre Beschäftigungen in Leiharbeit und Minijobs ausgeweitet. Die Konkurrenz um niedrige Verkaufspreise und um Marktsegmente wird zum einen auf dem Rücken der Beschäftigten bei den Lieferanten ausgetragen. Zum anderen drückt sie auch die Personalkosten und geht damit zu Lasten der Beschäftigten im Einzelhandel. So wie die Kunden mit Niedrigpreisen gelockt werden, so werden die Beschäftigten mit Niedriglöhnen abgespeist.
Löhne sinken – Arbeitsbelastung steigt
Die Gewerkschaft ver.di sieht durch die Supermarktmacht zahlreiche konkrete Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer im Einzelhandel: So liegt das Tarifeinkommen in dieser Branche 20 Prozent unter dem Durchschnitt der Wirtschaft. Der Einzelhandel ist damit die größte Niedriglohnbranche in Deutschland. Zwölf Prozent der Beschäftigten erhielten 2008 weniger als fünf Euro Bruttostundenlohn. Im Lebensmitteleinzelhandel sind zwei von drei Angestellten teilzeitbeschäftigt, die meisten davon in Minijobs. 87 Prozent der geringfügig Beschäftigten erhalten Niedriglöhne. Gleichzeitig nimmt die Arbeitsbelastung zu: Die für einen Mitarbeiter zu betreuende Fläche wuchs seit 2000 um elf Prozent.
In den Supermärkten und Discountern ist ein nichtkooperativer Führungsstil verbreitet, geprägt von Kommando und Überwachung. Leistung und Einsatz werden nicht nur schlecht bezahlt, sondern auch kaum mit Wertschätzung bedacht. Das Recht auf freie gewerkschaftliche Betätigung wird durch Einschüchterungen behindert und die Bildung von Betriebsräten offen oder verdeckt behindert. Besonders Frauen sind Opfer der schlechten Arbeitsbedingungen, denn 70 Prozent der Beschäftigten sind Frauen. Der niedrige Verdienst bedeutet für sie später eine geringe Rente, ein Leben in Altersarmut droht.
Das Prinzip Schlecker ...
... oder wie Discounter die Deregulierung des Arbeitsmarktes zur Ausbeutung ihrer Arbeitnehmer ausnutzen: Der Firmengründer und Milliardär Anton Schlecker hat sein altes Geschäftsmodell aufgegeben. Er probt den Neustart mit Einkaufsflair in XL-Märkten, mit Hungerlöhnen und Leiharbeit. Bis Ende 2009 wurden 4000 kleine Filialen schrittweise geschlossen. Dafür wird eine neue GmbH mit 1000 neuen größeren XL-Märkten eröffnet – ohne Tarifverträge, Kündigungsschutz und Betriebsräte. Der Trick dabei: Der Kündigungsschutz ist ausgehebelt, weil das neue Unternehmen die alten Mitarbeiter nicht übernehmen muss. Außerdem gelten für die neuen Großmärkte nicht mehr die bisherigen Tarifverträge des Einzelhandels. Denn Schlecker will die Mitarbeiter von der hauseigenen Verleihfirma MENIAR ausleihen. Dort erhalten sie ausschließlich befristete Arbeitsverträge, Bruttolöhne von kläglichen 6,50 bis 7 Euro, statt vorher 12,71 Euro. Urlaubstage werden um sechs Tage gekürzt, Urlaubs- und Weihnachtsgeld gibt es nicht. Die Unternehmensführung nimmt dabei billigend in Kauf, dass Beschäftigte ihre Hungerlöhne durch Steuermittel aus Hartz-IV aufstocken müssen. Somit wird das Lohndumping bei Schlecker durch den Steuerzahler subventioniert. Auch das ist ein Ergebnis der missbräuchlichen Ausuferung der Leiharbeit.
Die Gewerkschaft ver.di und die Supermarktinitiative setzen sich gegen die von den großen Supermarktketten verursachten Missstände im Einzelhandel ein. Sie fordern die Konzerne auf, die gesetzlichen Rechte ihrer Beschäftigten zu gewährleisten, insbesondere das Recht der Beschäftigten, Betriebsräte zu wählen. Betriebsräte müssen geachtet werden und dürfen nicht in ihrer Arbeit behindert werden. Die Supermarktketten müssen sich verpflichten, ihren Beschäftigten die ortsüblichen tariflichen Löhne für alle geleisteten Arbeitsstunden zu bezahlen.
Gewinne auf Kosten der Produzenten
Es geht aber nicht nur um die Arbeitsbedingungen im Handel in Deutschland oder der EU. Einkaufsmacht verschlechtert die Arbeitssituation auch in den Entwicklungsländern. Der Preis- und Kostendruck der Supermarktketten wird entlang der Lieferkette von Importunternehmen und multinationalen Konzernen nach unten weitergegeben. Die Lieferanten reduzieren ihre Kosten auf dem Rücken der Arbeiter, die in Entwicklungsländern die Güter produzieren. Für die Arbeitnehmer bedeutet dies: mehr Überstunden und Niedrig- oder Mindestlöhne, die häufig nicht ausreichen, um grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen. Arbeitsverträge werden oft nur für zwei bis drei Monate abgeschlossen, zumeist in Form von Leiharbeit. Frauen und Migranten werden gering entlohnt und diskriminiert. In den meisten Fällen wird auch in den Produktionsländern die gewerkschaftliche Organisation behindert.
Auch die Qualität der Waren leidet
In der Bekleidungssparte werden zudem unzulässige Chemikalien eingesetzt, die die Gesundheit der Arbeiter gefährden. In der Landwirtschaft wird über den teilweise massiven Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln die industrielle Massenproduktion vorangetrieben. Darunter leiden nicht nur die Arbeiter und Anwohner, die lebensgefährlichen Pestiziden ausgesetzt sind, sondern auch die Umwelt: Boden und Grundwasser werden verschmutzt und die Artenvielfalt beeinträchtigt.
Verbraucher haben vielfältige Erwartungen an den Einzelhandel. Preise sind nicht das einzige und auch nicht immer das ausschlaggebende Einkaufskriterium. Eine wohnortnahe Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs, das Angebot von qualitativ hochwertiger Ware, Servicequalität und fachliche Beratung werden heute wieder zunehmend geschätzt. Regionale und fair gehandelte Produkte sind gefragt, da immer mehr Verbraucher erkennen, dass sie auf diese Weise Landwirte in Nord und Süd unterstützen können.
Doch der Großteil der Verbraucher trifft seine Kaufentscheidung weiterhin nach dem Preis. So führt der aggressive Preiswettbewerb im Kampf um Marktanteile dazu, dass die Qualität entsprechend den Preisberechnungen der Supermarktketten festgelegt wird und die Kosten auf die Lieferanten abgewälzt werden. Dieses verschleierte Dumping führt dazu, dass kaum Bemühen um differenzierte Qualitätsaussagen stattfindet. So können Verbraucher immer weniger einschätzen, zu welchen Preisen eine Erzeugung überhaupt möglich ist. Dadurch droht die Gefahr, dass sich die Qualität der Lebensmittel weiter verschlechtert.
Arbeits- und Verbraucherrechte stärken
Angesichts der besorgniserregenden Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel gehört das Thema Einkaufsmacht auf die politische Tagesordnung. Der Missbrauch muss unterbunden werden. Unfaire Einkaufspraktiken führen zu hohen ökologischen Folgekosten und sozialen Missständen. Sie stehen im Widerspruch zu fundamentalen Arbeits- und Menschenrechten. Die Trägerorganisationen der Supermarktinitiative setzen sich deswegen dafür ein, dass die Marktmacht der Supermärkte beschränkt wird und verbindliche Regeln zur Einhaltung sozialer Menschenrechte und ökologischer Standards in der gesamten Lieferkette eingeführt werden. Die Einhaltung der Standards muss bis in die Länder des Südens gesichert und Nichteinhaltung sanktioniert werden. Auf gesetzlicher Grundlage sind standardisierte Publikationspflichten der Supermarktketten zu den Arbeitsbedingungen in Deutschland und innerhalb der Lieferkette zu schaffen. Die Rechte der Verbraucher müssen gestärkt werden: Herkunft und Qualität von Produkten – einschließlich der sozialen Menschenrechte und ökologischen Herstellungsbedingungen – müssen als Grundlage für die Kaufentscheidung nachvollzogen und beurteilt werden können. Doch ohne starke Gewerkschaften, kritische Verbraucherorganisationen und aktive Menschenrechtsgruppen wird es keinen politischen Erfolg geben.
Supermarktinitiative
Die Supermarktinitiative ist ein Zusammenschluss von 23 Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, die sich dafür einsetzen, dass der Missbrauch von Einkaufsmacht aufgedeckt und begrenzt wird. Die Initiative fordert die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards in der gesamten Lieferkette. Dabei geht es vor allem darum, strukturell etwas zu verändern, das heißt bessere Sozial- und Umweltstandards in der gesamten Lieferkette der Supermärkte durchzusetzen, in Deutschland, innerhalb der EU und in den Produktionsländern. Weitere Informationen zur Supermarktmacht finden Sie hier.
Onlineversion des Beitrags:
Supermarktmacht: Wer zahlt den Preis? Wötzel, U., UGB-Forum 2/2010, S. 58-61