Zufrieden arbeiten – wie geht das?
Die meisten von uns verbringen einen großen Teil ihrer Lebenszeit im Beruf. Das Erleben der Arbeit beeinflusst daher ohne Frage unsere Lebensqualität. Welche Faktoren für die Arbeitszufriedenheit eine Rolle spielen, haben wir UGB-Dozentin Gisela Rutz gefragt. Für die UGB-Akademie hat sie sich intensiv mit den Themen Persönlichkeitsbildung und Burnout-Prävention beschäftigt.
Frau Rutz, Was macht Menschen eigentlich zufrieden?
Die sogenannte Glücksforschung befragt weltweit seit vielen Jahren Menschen, um die Faktoren, die zufrieden machen, herauszufinden. Jedoch sind die Vorstellungen von Glück zu verschieden, um aus den Antworten allgemeingültige Rezepte zum Glück abzuleiten. Ich möchte die Frage, was Menschen zufrieden macht, daher von einer anderen Seite beleuchten. Winston Churchill soll gesagt haben: „Erfolg heißt, einmal mehr aufstehen, als hinfallen!“ Menschen, die in diesem Sinne erfolgreich sind, haben die Fähigkeit, sich den Gegebenheiten gut anzupassen, flexibel zu reagieren. Sie kommen daher auch mit sehr schwierigen Situationen zurecht, ohne dauerhaft Schaden zu nehmen. Die Psychologie nennt diese Eigenschaft Resilienz, also Widerstandskraft.
Lässt sich diese Widerstandskraft trainieren?
Resilienz ist erlernbar: Wer aktiv ist, Veränderungen mitgestaltet, sich seiner eigenen Werte und Einstellungen bewusst ist und an verlässlichen Beziehungen mitwirkt, der baut seine Widerstandsfähigkeit aus und erarbeitet sich immer wieder den Nährboden für das eigene Glück.
Welche Rolle spielt dabei die Arbeit?
Diese innere Widerstandskraft spielt für die Lebenszufriedenheit und auch für das Erleben der eigenen Arbeit eine wichtige Rolle. Von Arbeitszufriedenheit spricht man, wenn ein Beschäftigter positive Gefühle und Einstellungen gegenüber seiner Arbeit hat. Aber wie bei der Glücksforschung sind eindeutige Zusammenhänge, die Handlungsempfehlungen für Unternehmen ermöglichen, sehr umstritten. Ich halte es trotzdem für wichtig, sich mit den Bedingungen für Arbeitszufriedenheit zu beschäftigen. Und das nicht nur bei erwerbswirtschaftlicher Arbeit, sondern ebenso bei Aktivitäten im häuslichen Bereich und in Ehrenämtern.
Welcher Beruf letztendlich ausgeübt wird, stimmt nicht immer mit den ursprünglichen Wünschen und Interessen überein. Wie entscheidend ist die richtige Berufswahl?
Wenn ein junger Mensch einen zu lernenden Beruf wählt, sollte dieser weitgehend den eigenen Interessen und Begabungen entsprechen – soweit sie zu diesem Zeitpunkt bekannt sind. In unserer Zeit wird ein einmal gelernter Beruf häufig nicht mehr bis zur Rente ausgeübt. Lebenslanges Lernen ist angesagt und ich sehe darin eine große Chance. Wir entwickeln uns im Laufe des Lebens, wir lernen uns selbst anders kennen. Manchmal passen die früheren Entscheidungen dann nicht mehr, wir suchen neue Herausforderungen oder andere Arbeitsbedingungen.
Und was dann?
Ob ich in solch einem Prozess an meinem Arbeitsplatz bleibe oder gehe, ist meine eigene Entscheidung. Ich muss mit den jeweiligen Konsequenzen leben, zahle also immer einen Preis, so oder so. Entscheide ich mich für eine berufliche Veränderung, so kann das größere persönliche Freiheit bedeuten, aber zunächst auch finanzielle Einbußen. Möglicherweise zahle ich den Preis nicht alleine, sondern Familienangehörige sind betroffen, so dass ich die Entscheidung mit anderen gemeinsam fällen sollte. Wenn ich bleibe, aber mit meiner Arbeit sehr unzufrieden bin, könnte der Preis, den ich zahle, eine Erkrankung sein – aber das ist nicht zwingend. Denn vielleicht gelingt es mir, in der Nicht-Arbeits-Zeit einen Ausgleich zu finden, durch ehrenamtliche Tätigkeit oder berufliche Weiterbildung, der mich so erfüllt, dass ich die Arbeitssituation in Kauf nehme.
Wichtig ist es, sich bewusst mit den Gegebenheiten und Möglichkeiten auseinanderzusetzen und sich für das eine oder andere zu entscheiden. Denn sonst entscheiden andere Menschen über mich oder die Umstände, und ich bleibe in der Opferrolle.
Ein Zuviel an Arbeit ist ja bei vielen – gerade Selbstständigen – oftmals selbst gewählt und verschafft auch Erfolg und Zufriedenheit. Andererseits ist die Arbeitsbelastung so hoch, dass sie kaum zu bewältigen ist. Wie findet man da die richtige Balance?
Ein sehr erfolgreicher Selbstständiger, Prof. Dr. Lothar Seiwert, meint, seine Arbeitswoche habe 7 x 24 Stunden. Damit will er verdeutlichen, dass es nicht sinnvoll sei, Leben und Arbeit so voneinander zu trennen, als schlössen sie sich gegenseitig aus, wie der Begriff work-life-balance es suggerieren könnte. Trotzdem braucht das Leben eine Balance. Eine große Arbeitszufriedenheit und Lebensglück ist nach Seiwerts Auffassung durch ein hohes Maß an Selbstbestimmung gegeben. Autonomie und innere Freiheit sind für ihn der Schlüssel zu einem erfüllten Leben in Balance.
Gerade für kritische Situationen ist es wichtig, dass das Leben auf mehreren Säulen ruht, die man in guten Zeiten baut und stärkt: Wenn es also beruflich mal nicht so läuft, ist es gut, sich auf Freunde verlassen zu können oder ein erfüllendes Hobby zu praktizieren und regelmäßig Sport zu machen. So lässt sich der körperliche und seelische Energietank füllen. Weitere Tipps, die Balance zu unterstützen, sind eine gute Struktur des Lebens-Arbeits-Alltags, sich dem Anspruch der ständigen Erreichbarkeit widersetzen, Zeiten der Selbstbesinnung einplanen, beispielsweise einen festen „Termin mit mir selbst“ pro Woche initiieren. Wer sich dann noch von Zeit zu Zeit die eigenen Werte und Ziele bewusst macht und überprüft, ob sie mit der Lebens- und Arbeitsgestaltung übereinstimmen, gerät nicht so leicht aus der Balance.
Auch Unterforderung kann unzufrieden machen. So leiden Arbeitslose an einem großen Verlust an Lebensqualität, weil das Selbstwertgefühl sinkt und die Gefahr besteht, soziale Isolation zu erleben. Wie lässt sich damit am besten umgehen?
Jeder Mensch will das eigene Leben als sinnvoll, als wertvoll erleben. Viele Berufstätige erfahren das durch ihre Arbeit: ich werde gebraucht. Arbeitslose, Kranke oder Rentner finden dieses Erfolgserlebnis nicht im Erwerbsleben. Aber ist deren Leben deswegen wertlos, sinnlos? Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, meint, dass der Mensch zutiefst von der Suche nach Sinn motiviert sei. Bereits als Student half er verzweifelten, meist arbeitslosen jungen Menschen. Er organisierte für sie nicht nur psychologische Beratung, sondern übertrug ihnen Aufgaben. Frankl stelle fest, dass selbst durch unbezahlte Tätigkeiten das vorher diagnostizierte Sinnlosigkeitsgefühl deutlich geringer wurde.
Laut Frankl stehen dem Menschen drei Möglichkeiten zur Verfügung, eine Situation für sich als sinnvoll zu erleben: Erstens das Handeln, also die körperliche oder geistige Aktivität, zum Beispiel im Beruf. Zweitens das Erleben, darunter zählt er beispielsweise das Staunen über die Schönheit der Schöpfung oder die Freude darüber, lieben zu können und geliebt zu werden. Und drittens die menschliche Fähigkeit, die eigene Einstellung zu verändern, insbesondere gegenüber einer Situation, die nicht beeinflusst werden kann. Dieses Wissen angewandt auf die Situation von Arbeitslosen, könnte die obengenannten Folgewirkungen zumindest verringern und möglicherweise sogar die Chance auf eine neue Tätigkeit erhöhen. Die genannten Möglichkeiten stellen keine moralische Forderung im Sinne von „reiß dich mal zusammen“ dar, sondern ein Angebot zu größerer Lebensqualität angesichts großer Lebensprobleme. Je nach Person und Situation kann eine Unterstützung durch Freunde, Berater oder Therapeuten bei der Suche nach dem individuellen Sinn erforderlich sein.
Welchen Einfluss haben Vorgesetzte auf die Arbeitszufriedenheit?
Vorgesetzte formulieren Anforderungen und beurteilen Ergebnisse. Sie gestalten die Rahmenbedingungen für ihre Mitarbeiter. Wenn es gelingt, Aufgaben so zu formulieren, dass Mitarbeiter den Spielraum haben, im gewissen Rahmen selbstbestimmt zu handeln, so scheint das für viele Mitarbeiter eine gute Voraussetzung für Arbeitszufriedenheit zu sein. Manche Menschen mögen allerdings lieber konkrete Anweisungen, enge Grenzen, also weniger Selbstbestimmung.
Wie wichtig sind Rückmeldungen wie Lob und Tadel für die Mitarbeiter?
Lob ist wichtig, wenn es authentisch, ehrlich und angemessen ist und nicht als Masche zur Leistungssteigerung dient. Konstruktive Kritik, die den Menschen als Person würdigt, aber bestimmtes Verhalten geändert sehen will, hilft allen Beteiligten und steigert den Erfolg eines Unternehmen. Im beruflichen Miteinander ist wie überall, wo Menschen sich begegnen, ein respektvoller Umgang geboten. Lob und Kritik beinhalten immer auch die Chance der persönlichen Weiterentwicklung.
Ein gutes Arbeitsklima spielt sicher auch eine Rolle für die Arbeitszufriedenheit. Wie lässt sich die Zusammenarbeit so gestalten, dass ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander im Vordergrund steht?
Auch hier ist die Führungskraft gefragt. Jeder Vorgesetze sollte sich seiner Vorbildfunktion im Umgang mit Menschen bewusst sein und sein Verhalten daran messen. Wertschätzendes Miteinander ermöglicht konstruktives Zusammenarbeiten. Wer sich selbst mag, seine eigenen Schwächen kennt und akzeptiert, also mit sich selbst im Einklang ist, dem fällt es leichter, auch andere Menschen so sein zu lassen, wie sie sind. Der muss nicht mit gleicher Münze heimzahlen, wenn er angegriffen wird, der kann auch Grenzüberschreitungen sachlich beim Namen nennen. Er wirkt deeskalierend.
Wer in sich selbst ruht, muss seinen Wert nicht an der Leistung anderer messen, sondern kann fremde Leistung anerkennen. Konkurrenz heißt eigentlich: zusammenlaufen, um die Wette laufen. Als Kollegen können wir uns auch gegenseitig anspornen, statt uns auszustechen, wir können einander den Erfolg gönnen, statt ihn zu neiden. Was hindert uns, voneinander zu lernen? Wertschätzung und Vertrauen ist eine Chance für alle Beteiligten und eine gute Basis für erfolgreiches Wirtschaften. Kooperation siegt immer.
Was kann man selbst tun, um eine hohe Zufriedenheit am Arbeitsplatz zu erlangen? Gibt es so etwas wie den idealen Arbeitsplatz?
Eine optimale Arbeitssituation besteht dann, wenn die Anforderungen der Tätigkeit mit den Fähigkeiten des Arbeitenden übereinstimmen, dann entsteht der Flow, das Glücksgefühl, ganz im Hier und Jetzt, in der Tätigkeit aufgehen zu können. Aber das ist kein Dauerzustand, wir können es nicht direkt anstreben. Bei aller Eigenverantwortung und Selbstbestimmung bleibt der Flow ein Nebenprodukt, ein Geschenk. Hoffentlich bemerken wir es dankbar und können uns darüber freuen.
Ansonsten ist es hilfreich, einen realistischen Optimismus zu pflegen, mir selbst und meinen Mitmenschen wohlwollend zu begegnen, meine Einstellung zur Arbeit und dem derzeitigen Arbeitsplatz anzuschauen und gegebenenfalls etwas zu verändern. Dabei kann ich meine Handlungsmöglichkeiten nutzen, mich also aktiv am Prozess beteiligen. Wichtig ist zudem Humor, Durststrecken auch mal auszuhalten und nicht alles so verbissen zu sehen.
Sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit?
Ich bin sehr dankbar für die vielen Möglichkeiten, meine Begabungen sinnvoll einsetzen zu dürfen. Über viele Jahre war mein Schwerpunkt das Führen unseres Acht-Personen-Haushalts und die Erziehung unserer Kinder. Mit dem Erwachsenwerden der Kinder bieten sich mir jetzt neue zusätzliche Chancen. Neben der Arbeit beim UGB werde ich für weitere Institutionen Seminare anbieten und auch meine logotherapeutische Beratungsarbeit intensivieren. Ich lerne gern dazu, habe Freude an innerem Wachstum bei mir und bei anderen Menschen.
Liebe Frau Rutz, vielen Dank für das Gespräch!Quelle: Rutz G: UGB-Forum 5/12, S. 241-244
Foto: R. Kneschke/Fotolia.com