Essen aus Abfall
Apfelschalen, Traubenkerne oder Oliventrester bei der Verarbeitung von Nahrungsmitteln fallen jede Menge Reste an. Forschung und Industrie arbeiten daran, die nährstoffreichen Abfälle zu nutzen. Ob Verbraucher davon profitieren, bleibt fraglich.
Sieben Millionen Tonnen Reststoffe entstehen allein in Deutschland jedes Jahr in der pflanzenverarbeitenden Nahrungsmittelindustrie; in Europa sind es 30 Millionen Tonnen. Diese Frucht- oder Gemüsereste sind für die menschliche Ernährung gesehen Ausschuss. Sie werden hauptsächlich als Viehfutter oder Dünger verwendet oder landen einfach auf dem Müll. Doch die riesigen Abfallberge stellen für die Industrie ein Entsorgungsproblem dar, denn sie fallen je nach Erntezeit saisonal an und verderben schnell. Bestimmte Pflanzenreste machen zudem Probleme, weil sie nur schwer kompostierbar sind. In all diesem Biomüll steckt ein enormes Potenzial an Nährstoffen, das Forscher in Deutschland und Europa nutzen wollen.
Vom Abfall zum wertvollen Rohstoff
Egal ob Reste aus der Apfel-, Karotten- oder Tomatensaftproduktion, Rübenbestandteile aus der Zuckerherstellung, Traubenkerne und -schalen aus der Weinherstellung oder Rückstände aus der Olivenölpressung – in diesen pflanzlichen Reststoffen finden sich wertvolle Bestandteile wie Ballaststoffe, Proteine, Kohlenhydrate, Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe. Letztere stecken in besonders hohen Mengen direkt unter der Schale, da sie die Pflanzen vor UV-Licht und Schädlingen schützen. Aber gerade die Schalen werden meistens im Zuge der Verarbeitung entfernt. „Das Schlechte wird zum Lebensmittel, das Gute schmeißen wir weg“, fasst Professor Benno Kunz, Lebensmitteltechnologe an der Uni Bonn, diese Praxis ein wenig überzogen zusammen. In Bonn und an anderen deutschen Universitäten und Forschungsinstituten wie dem Technologie-Transfer-Zentrum (ttz) Bremerhaven wird zur Zeit intensiv nach weiteren Einsatzmöglichkeiten für den Biomüll geforscht. Er könnte als Rohstoff für Nahrungsergänzungsmittel, Lebensmittelzusatzstoffe wie Vitamine oder Farbstoffe und natürliche Konservierungsmittel dienen. Upgrading von Reststoffen nennt man den Fachbereich. Das Prinzip dieser Technologie ist es, die Reststoffe erst aufzuwerten, um sie dann weiter zu verwenden.
Ein Beispiel dafür sind Backhilfsmittel aus Zuckerrübenabfall. Jedes Jahr werden in Deutschland 20 Millionen Tonnen Zuckerrüben verarbeitet. Wenn der Zucker extrahiert ist, bleiben tonnenweise Rübenreste übrig. Die werden zum größten Teil an Vieh verfüttert. Ob die Reste nicht auch für den menschlichen Nahrungsmittelmarkt nutzbar sind, untersuchten Lebensmitteltechnologen von der Uni Bonn. Sie extrahierten aus den Zuckerrübenschnitzeln die Ballaststoffe, die sehr gut Wasser speichern können. Mit Hilfe von Enzymen konnten die Wissenschaftler die Struktur der Ballaststoffe aus den Zuckerrübenresten so verändern, dass die Wasserbindungskapazität anstieg. Diese modifizierten Zuckerrübenbestandteile wurden zum Beispiel als Zusatz in Brot eingebacken. Die Lebensmitteltechnologen waren mit dem Ergebnis zufrieden: Das Brot blieb länger frisch.
Polyphenole aus Pflanzenschalen
Als Polyphenole werden die verschiedenen sekundären Pflanzenstoffe bezeichnet, die als Farb- und Geschmacksstoffe und als Gerbsäuren hauptsächlich in den Randschichten der Pflanzen vorkommen. Die gesundheitsfördernde Wirkung der Polyphenole ist durch zahlreiche Studien belegt. Sie können vorbeugend gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Entzündungen und Infektionen wirken. Gerade deswegen stehen diese Pflanzenstoffe im Zentrum vieler Forschungsprojekte. Die Lebensmitteltechnologin Nadine Schulze von der Uni Bonn befasst sich mit den Polyphenolen aus Olivenresten. Dieser Olivenabfall ist bei dem steigenden Konsum an Olivenöl längst zum Umweltproblem geworden. Denn wenn das Öl ausgepresst ist, bleiben neben Olivenwasser auch stark polyphenolhaltige Schalen und Kerne zurück. Die antibakterielle Wirkung der Polyphenole hält aber die zur Kompostierung notwendigen Bakterien und Pilze fern. So brauchen die Olivenreste viele Jahre, bis sie verrottet sind. Besonders unangenehm für die Anwohner ist dabei der extreme Geruch des Olivenmülls.
Nadine Schulze ist es gelungen, die Polyphenole aus den Olivenresten zu lösen. Jetzt sucht sie im Auftrag verschiedener Firmen nach Möglichkeiten, sie als gesundheitsförderliche Zusätze in Lebensmittel einzubringen. Die Polyphenole aus den Olivenresten schmecken würzig und sind daher eher für herzhafte Produkte wie Fleisch- und Wurstwaren geeignet. Um sie in Milchprodukten oder Säften einzusetzen, müsste ihr Geschmack erst maskiert werden. „Dann aber“, sagt Lebensmitteltechnologin Nadine Schulze, „ist der Fantasie keine Grenze gesetzt.“ Schon bald, so vermutet die Wissenschaftlerin, werden viele mit Polyphenolen angereicherte Lebensmittel im Handel erhältlich sein. Auch in Apfeltrester sind Polyphenole enthalten. An der Uni Hohenheim hat Lebensmitteltechnologe Dr. Andreas Schieber mit den antibakteriell wirkenden Apfelextrakten die Haltbarkeit von Pizzasalami erhöht. Die Salami wurde nicht so schnell ranzig. Reststoffe aus der Apfel- und Zitrussaftproduktion werden seit vielen Jahren schon zur Pektingewinnung genutzt. Dieser Ballaststoff wird als Verdickungsmittel in Marmelade, Joghurt- und Quarkzubereitungen genutzt. Doch neuere Verfahren in der Apfelsaftherstellung verbessern zwar die Apfelsaftausbeute, zerstören aber die Pektine. Als neue Quelle für Pektine könnten daher Mangoschalen interessant werden. Auch hier forscht die Uni Hohenheim mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Nicht alles was geht, ist sinnvoll
Gesundheitsfördernde Zusätze in Lebensmitteln liegen im Trend. Probiotische Joghurts verzeichnen nach wie vor starke Umsatzsteigerungen. Und polyphenolhaltige Lebensmittel werden nach Einschätzung vieler Wissenschaftler bald auf den Markt kommen. Diese und andere Nährstoffe aus Abfällen zu gewinnen, mag aus ökonomischen und ökologischen Gründen nachvollziehbar sein. Mit natürlichen Lebensmitteln haben Produkte, die solche isolierten Zusätze enthalten, aber nichts mehr zu tun. Zudem sollten die Wirkungen von funktionellen Lebensmitteln wissenschaftlich belegt sein, ehe sie auf den Markt kommen. Denn längst nicht alles, was technisch machbar ist und womit sich Geld verdienen lässt, muss sinnvoll sein.