Gesunde Mehrwertsteuer: Burger und Schokolade teurer machen?
Süßes und Fettiges teurer machen, Gemüse und Obst dagegen günstiger – so lautet die Idee der gesunden Mehrwertsteuer. Lässt sich über unterschiedliche Steuersätze die Lebensmittelauswahl tatsächlich verbessern?
© Katarzyna Białasiewicz/123RF.comDie ständige Verfügbarkeit von Süßem, Fettem und Salzigem macht viele dick und krank. Etwa jeder zweite Bundesbürger ist mittlerweile übergewichtig und jeder vierte adipös. Die Zunahme an Übergewicht zeigt: Gute Vorsätze und Wissen um gesunde Ernährung reichen nicht aus, um ungünstige Gewohnheiten zu ändern. Organisationen wie die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordern daher schon seit längerem von der Politik, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für gesundes Verhalten zu verbessern. Dazu zählt auch, über die Höhe der Mehrwertsteuern eine gesünder Lebensmittelauswahl zu fördern. Eine Studie der Universität Hamburg hat nun im Auftrag mehrerer Gesundheitsorganisationen untersucht, wie sich das Einkaufsverhalten verändert, wenn durch Steueranpassungen Obst und Gemüse billiger, fett-, zucker- und salzreiche Lebensmittel dagegen teurer werden.
Anreiz für Gesundes schaffen
Bisher gilt für die meisten Lebensmittel der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent; Fruchtsäfte und Softdrinks wie Cola, Fanta und Co. werden dagegen mit 19 Prozent besteuert. Wie sich das Konsumverhalten durch abweichende Beiträge ändern könnte, rechnete der Hamburger Ökonom Dr. Tobias Effertz in vier unterschiedlichen Steuermodellen durch. Dazu hat er die Lebensmittel nach ihrem Fett-, Zucker und Salzgehalt in verschiedene Mehrwertsteuer-Kategorien eingeteilt. Erfolg verspricht unter anderem das Modell „Ampel plus“. Dabei bleiben Gemüse und Obst als grüne Kategorie ohne Steuer, 7 Prozent Mehrwertsteuer gilt weiterhin für normale Lebensmittel wie Nudeln, Milch oder Fleisch – sie zählen zur gelben Kategorie. Als rot werden Produkte mit reichlich Zucker, Salz oder Fett, also Süßigkeiten, Fertiggerichte, Chips kategorisiert und mit 19 Prozent besteuert. Dabei nutzt Effertz für die Einteilung den Ampelentwurf der Verbraucherzentralen, die Lebensmittel mit mehr als 20 Prozent Fett, 5 Prozent gesättigten Fettsäuren, 12,5 Prozent Zucker oder 1,5 Prozent Kochsalz als rot einstufen. Als zusätzliche Maßnahme schlägt der Ökonom in diesem Szenario eine Erhöhung des Steuersatzes für Softdrinks auf 29 Prozent vor. Denn zuckersüße Erfrischungsgetränke gelten als besonders gesundheitsschädlich.
Weniger Übergewichtige
Die Häufigkeit von Adipositas ließe sich nach Effertz Schätzungen bei der Umsetzung all seiner Modelle reduzieren. Außerdem könnten die Krankheitskosten, die durch Übergewicht entstehen, im günstigsten Fall bereits nach einem Jahr um 13 Prozent sinken. Das entspräche einer Einsparung von etwa 3,8 Milliarden Euro. Selbst das am einfachsten umzusetzende Szenario brächte laut Effertz bereits einen erheblichen Effekt auf die Kalorienzufuhr. Bei diesem Modell würden alle Lebensmittel mit 19 Prozent besteuert, nur Gemüse und Obst blieben steuerfrei. Das höhere Steueraufkommen ließe sich beispielweise zur Finanzierung der Steuerfreiheit von Gemüse und Obst nutzen. Der Ökonom betont, dass seine Steuervorschläge im Vergleich zu in anderen Ländern erhobenen Steuern deutlich niedriger ausfallen; er hält seine Szenarien dadurch aber für politisch eher realisierbar.
Am Geldbeutel ansetzen
Ernährungsmediziner Prof. Hans Hauner von der Technischen Universität München ist überzeugt, „dass die Bürger durchaus mehr gesunde Lebensmittel kaufen wollen, bisher aber auch am Preis scheitern“. Das trifft vor allem auf einkommensschwächere Haushalte zu. Würden die Steuern für ungünstig zusammengesetzte Lebensmittel erhöht, erwartet der Wissenschaftler auch eine Reaktion der Hersteller. Sie bekämen den Anreiz, ihre Rezepturen zu ändern und weniger Zucker, Salz und Fett einzusetzen. So könnten ihre Produkte einer höheren Steuer entgehen. Viele Länder haben das Instrument der Steuer bereits erkannt. Besonders erfolgreich war die Steuereinführung für Softdrinks in der Stadt Berkley im US-Staat Kalifornien: Der Absatz sank um 21 Prozent. Auch die Franzosen, Finnen und Ungarn haben seit der Einführung einer Steuer auf süße Getränke weniger Limonaden konsumiert. Dass sich dadurch ihre Gesundheit verbesserte, konnte aber bislang nicht nachgewiesen werden.
Vertreter der Lebensmittelindustrie reagieren auf die vorgeschlagenen Steuerveränderungen mit harscher Kritik. Die Aktion gesunde Mehrwertsteuer leugne den mündigen Verbraucher und sei eine reine Bevormundung vor allem sozial benachteiligter Menschen, bemängelt Christoph Minhoff, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Die meisten Menschen würden weiterhin Softdrinks und Fertiglebensmittel kaufen – nur eben etwas mehr dafür bezahlen. Auch sei die Lenkung des Einkaufsverhaltens vielschichtiger. So kauften zum Beispiel die Dänen unter der Fettsteuer zwar weniger gesättigtes Fett und mehr Gemüse, dafür aber mehr salzige Produkte.
Lenkungschance nutzen
Richtig ist, dass überflüssige Kilos nicht alleine durch eine schlechte Ernährung entstehen. Schuld an Übergewicht sind auch wenig Bewegung, Stress und erbliche Faktoren. Doch Dr. Dietrich Garlichs von der Deutschen Diabetes Gesellschaft ist überzeugt, dass die Verantwortung für eine gesunde Ernährung nicht länger allein beim einzelnen Verbraucher liegen dürfe. Vielmehr muss auch die Politik handeln, um die dramatische Zunahme von Übergewicht, Diabetes und anderen ernährungsabhängigen Erkrankungen aufzuhalten. Schließlich lautet auch die Empfehlung der WHO „Make the healthier choice the easier choice“ – macht die gesündere Entscheidung zur leichteren.
Bewusst ist allen Beteiligten, dass die Studie zur gesunden Mehrwertsteuer lediglich Möglichkeiten aufzeigt, was eine veränderte Steuer mit sich bringen könnte. Wie sich die Menschen tatsächlich verhalten, ist schwer abzuschätzen. Dass Steuern wirken, zeigte allerdings vor einigen Jahren das Beispiel der Alcopops. Nach der deutlichen Verteuerung brach die Nachfrage nach den süßen alkohohaltigen Trendgetränken ein. Die Steuer je nach Qualität der Lebensmittel anzupassen, kann im Kampf gegen die überflüssigen Pfunde daher ein Schritt in die richtige Richtung sein. Günstige Preise erleichtern es dem Verbraucher ohne Frage, gesunde Produkte auszuwählen. Und anders als die Industrie moniert, bleibt es trotzdem die freie Entscheidung jedes Verbrauchers, was in seinem Einkaufskorb landet.
Literatur:
Effertz E (2017). Die Auswirkungen der Besteuerung von Lebensmitteln auf Ernährungsverhalten, Körpergewicht und Gesundheitskosten in Deutschland. Universität Hamburg
Quelle: Horvat F, UGBforum 2/18, S. 98-99