Neue Gentechnik - Manipulation durch die Hintertür
Mit Hilfe neuer gentechnischer Verfahren wie CRISPR/Cas lässt sich das Erbgut in bisher nie dagewesener Weise verändern. Die Befürworter versprechen enorme Fortschritte bei der Tier- und Pflanzenzüchtung. Die Gegner warnen vor nicht vorhersehbaren Risiken.
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Unter den Begriffen neue gentechnische Verfahren oder Genome-Editing werden mehrere gentechnische Methoden zusammengefasst. Sie ermöglichen relativ einfach gezielte Eingriffe in das Erbgut von Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren. Das wichtigste Instrument dafür sind Enzyme, die als Gen-Scheren Genabschnitte aufspalten können. Diese als Nukleasen bezeichneten Enzyme sind in der Lage, an bestimmten Stellen der DNA, dem Träger des Erbguts, anzudocken und dort den DNA-Strang zu zerschneiden. Die Zelle versucht, diesen Schnitt zu reparieren. Dabei kann die DNA-Struktur verändert werden, je nachdem, welche zusätzlichen Erbgutinformationen mit der Nuklease transportiert werden. So lassen sich bestimmte Gene ausschalten oder verändern. Es kann auch zusätzliche, im Labor künstlich hergestellte DNA in das Erbgut der Zellen eingebaut werden.
Die bekannteste dieser Gen-Scheren ist das 2012 erstmals beschriebene CRISPR/Cas-System. Die Abkürzung CRISPR steht für „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“. Grundlage des Verfahrens ist das Enzym Cas9, das mit Hilfe eines kurzen RNA-Stückes an die gewünschte DNA-Stelle geleitet wird und den Doppelstrang dort aufschneidet. Bestimmte Bausteine können so zielgenau eingefügt werden. Früher entwickelte Gen-Scheren wie die Zinkfinger-Nuklease oder TALEN hat das neue Verfahren verdrängt, weil es vielseitiger und kostengünstiger anwendbar ist.
Gen-Scheren im Einsatz
Weltweit arbeiten zahlreiche Wissenschaftler daran, Nahrungspflanzen mit Hilfe von CRISPR/Cas resistent gegen bestimmte Viren oder Pilze zu machen oder ihren Nährstoffgehalt zu erhöhen. In den USA testen Forscher bereits in Freilandversuchen Sojabohnen mit veränderter Fettsäurezusammensetzung, Mehltau- resistenten Weizen oder Mais, der besser an Trockenheit angepasst ist.
Wissenschaftler an der Universität Gießen arbeiten an einer Mehltau-resistenten Gerste. Angesichts dieser Möglichkeiten hat sich Prof. Dr. Urs Niggli, Leiter des renommierten Forschungsinstituts für Biologischen Landbau (FiBL), für eine „differenzierte Beurteilung der Gentechnik“ ausgesprochen und sieht auch Chancen für die Biobranche. Eine Position, mit der er innerhalb der Bio-Bewegung allerdings ziemlich alleine dasteht.
Obwohl sich das Verfahren sehr kompliziert anhört, ist es technisch relativ einfach umzusetzen. In den USA bieten Internetfirmen bereits Do-It-Yourself-Baukästen an, mit denen gentechnisch interessierte Laien das Erbgut von Organismen wie etwa E. coli-Darmbakterien verändern können. Die einfachen Versionen solcher CRISPR-Baukästen kosten 150 US-Dollar, umfangreichere Sets bis zu 1000 Dollar. Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) erhofft sich von diesem Werkzeug, dass Pflanzen „schnell und effizient ertragreicher und widerstandsfähiger gegen Krankheiten, Schädlinge, Hitze und Wassermangel werden. Sie sollen Nährstoffe besser aufnehmen und verarbeiten, um ein nachhaltiges und produktives Landwirtschaften zu ermöglichen.“
Unerwünschte Nebeneffekte
Mit Gen-Scheren könne das Erbgut zielsicher verändert werden, argumentieren die Befürworter dieser Technologie. Sie sprechen gerne von Punktmutationen und vergleichen die Technik mit einem präzisen chirurgischen Eingriff. „Doch in der Realität sind ungewollte Veränderungen sehr häufig“, sagt Christoph Then, Geschäftsführer von Testbiotech, einem Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie. „Alle derzeit verfügbaren Verfahren können zu Nebenwirkungen führen, die auch mit Risiken für Mensch und Umwelt einhergehen“, warnt Then. So könnten Pflanzen beispielsweise mehr Allergene produzieren, anfälliger für Pflanzenkrankheiten werden oder sich rascher in der Umwelt ausbreiten. Besondere Risiken birgt die Entwicklung sogenannter Gene Drives. Dabei wird die Veranlagung für die Gen-Schere CRISPR-Cas im Erbgut eines Tieres oder einer Pflanze verankert. Dadurch wiederholt sich die gentechnische Veränderung in der nächsten Generation automatisch und kann sich binnen kurzer Zeit in ganzen Populationen ausbreiten. So könnten etwa Mücken dezimiert oder Unkräuter empfindlicher für Pestizide gemacht werden. Was auf den ersten Blick vorteilhaft klingt, könne einmal freigesetzt schwere Schäden an den Ökosystemen verursachen, fürchtet Then.
Streit um Zulassung
Zwar ist unbestritten, dass es sich bei CRISPR und anderen Gen-Scheren um gentechnische Verfahren handelt. Doch ist ungeklärt, ob diese Verfahren auch unter das europäische Gentechnikrecht fallen. Die einschlägige Freisetzungsrichtline 2001/18 der EU gilt nicht für Mutagenese. Gemeint ist damit jenes herkömmliche Züchtungsverfahren, bei denen mit Hilfe von radioaktiver Strahlung oder Chemikalien zufällige Mutationen, also Veränderungen in der Erbsubstanz des Saatguts, hervorgerufen werden und die Züchter anschließend nach Pflanzen mit neuen positiven Eigenschaften suchen.
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So lange mit Hilfe der Gen-Scheren nur genetisches Material kreuzbarer Arten eingebaut werde, sollten die so erzeugten Pflanzen nicht dem Gentechnikrecht unterliegen, fordert etwa der Verband der Pflanzenzüchter. Das für Gentechnik-Genehmigungen zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit teilt diese Argumentation. Doch die Entscheidung fällt auf europäischer Ebene. Die EU-Kommission hat die Frage jahrelang vor sich her geschoben. Im Moment wartet sie auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt, ob der Einsatz von Gentechnik-Scheren als Mutagenese einzustufen ist oder nicht.
Eingriffe in Erbgut unkalkulierbar
Umwelt- und Bioverbände treten dafür ein, neue Gentechnik-Verfahren strikt nach dem Gentechnikrecht zu regulieren. „Die Verfahren und die Produkte der neuen Gentechniken sind folglich einer Risikobewertung, einem Zulassungsverfahren, einer Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit sowie einem Monitoring zu unterziehen“, lautet ihre gemeinsame Position. Würden diese Verfahren aus dem Gentechnikrecht ausgenommen, könnten Transparenz und Wahlfreiheit für Verbraucher sowie der Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion nicht gewahrt werden, fürchtet der Verband Lebensmittel Ohne Gentechnik. Kurz gesagt: Bei der anstehenden Entscheidung geht es darum, ob künftig Gentechnik durch die Hintertür doch noch auf den Tisch kommt.
Quelle: Frühschütz L. UGBforum 6/17, S. 306-307