Nonylphenol: Industriegift in Lebensmitteln
Ob Tomaten, Äpfel, Bier oder Wurst: In Deutschland sind Lebensmittel und Muttermilch erheblich mit Nonylphenol belastet. Die Industriechemikalie kann Allergien auslösen und das Hormonsystem beeinträchtigen.
Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich schlagen Alarm: In einer am 15. April 2002 vorgestellten Studie untersuchten sie erstmals Lebensmittel auf Nonylphenol. Die Forschergruppe um Professor Klaus Günther prüfte 60 Lebensmittel, die typisch sind für die deutschen Konsumgewohnheiten. In allen Lebensmitteln fanden sie das Gift. Die Werte lagen zwischen 0,1 und 19,4 Mikrogramm pro Kilogramm. Die Substanz belastet vor allem Äpfel, Tomaten, Butter, Milchschokolade, Wurst und Schmalz. Auch in Babynahrung, Käse, Marmelade, Tunfisch und Zucker wurde das Labor fündig. In Muttermilch wiesen die Jülicher Forscher 0,3 Mikrogramm pro kg nach. Den Ergebnissen zufolge nehmen die Bundesbürger mit der Nahrung jeden Tag im Durchschnitt 7,5 Mikrogramm pro kg Körpergewicht auf. Kleinkinder kommen über die Muttermilch bzw. Kindernahrung täglich auf 0,2 bzw. 1,4 Mikrogramm pro kg am Tag. Auf einen Grenzwert für die tägliche Aufnahme, bis zu dem eine gesundheitliche Beeinträchtigung ausgeschlossen werden kann, wollten sich bis heute weder deutsche noch europäische Gesundheitsbehörden festlegen.
Nonylphenol: Substanzen stören das Hormonsystem
Nonylphenol ist ein Vorprodukt für Nonylphenolethoxylate (NPEs), der wichtigsten Untergruppe der Alkylphenolethoxylate (APEs), die vor allem als waschaktive Substanzen (Tenside) verwendet werden. In der Umwelt werden NPEs wieder zu giftigem Nonylphenol. APEs können in Pestiziden, Reinigungs- und Desinfektionsmitteln vorkommen ebenso wie in Verpackungen von Lebensmitteln, z. B. PVC-Folien. Auch in Druck- und Wandfarben oder Chemikalien zur Rohöl-Förderung sind sie enthalten. Sie werden zudem zur Herstellung von Kunststoffen, Textilien, Leder und Papier eingesetzt. Die EU-Länder produzieren jährlich rund 80.000 Tonnen NPE und 80.000 Tonnen Nonylphenol. Die giftige Verbindung ist schwer abbaubar und kann Allergien auslösen.
Ferner entdeckten Wissenschaftler 1991, dass die Chemikalie wie das Hormon Östrogen wirkt und dadurch das Sexualhormonsystem stört. Bei Forellen beobachteten sie Veränderungen der Geschlechtsmerkmale. Die Substanz reichert sich aber nicht nur in Fischen an. Heute ist Nonylphenol in vielen Lebensmitteln und in großen Teilen der Umwelt zu finden. Die langlebige Substanz und weitere Umwelthormone haben in den letzten Jahren zunehmend Sorge über die Auswirkungen auf Menschen und Tiere ausgelöst. Alle diese Chemikalien können vermutlich Krebs auslösen, das Immunsystem schädigen und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen.
Nonylphenol: Wie kommt das Gift in die Nahrung?
Beim Einsatz von Nonylphenol und NPEs achten weder Hersteller noch Verarbeiter auf die Folgen. Da sich die Stoffe in der Umwelt ausbreiten und damit auch Lebensmittel belasten, gelangen sie auch in den menschlichen Organismus. Viele Pflanzenschutzmittel enthalten NPEs als Emulgator. Sie sind vermutlich verantwortlich für die hohen Werte in Äpfeln und Tomaten. Bei der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln können zusätzlich NPEs in das Produkt gelangen, die aus Reinigungsmitteln für die Produktionsanlagen und Räume stammen. Die Zeitschrift Öko-Test fand Nonylphenol zudem in den Verschlüssen von Mineralwässern, wodurch die Wässer belastet waren. Eine japanische Untersuchung wies das Gift in vielen PVC-Verpackungen nach.
Nicht nur Nonylphenol außer Kontrolle
Versuche zur Lösung des Problems gab es bereits: Deutsche Industrieverbände haben ihren Mitgliedsunternehmen schon 1986 empfohlen, auf den Einsatz von APEs in bestimmten Haushaltsprodukten zu verzichten. Zudem forderten 1992 die 15 Staaten der OSPAR-Kommission, die sich mit dem Schutz des Nordost-Atlantiks und der Nordsee befasst, Nonylphenol und NPEs in Konsum- und Industrieprodukten nicht mehr einzusetzen. Keine dieser Vorgaben wurde bislang erfüllt. Die EU-Kommission gab 2001 in einer Risikobewertung für Nonyphenol und NPEs Empfehlungen zur Gefahrenbekämpfung, die bislang ebenfalls nicht umgesetzt wurden.Die Verbreitung von Nonylphenol zeigt, wie sehr die Chemie außer Kontrolle geraten ist. Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik versagen bislang. Die jetzt in der Jülicher Studie aufgedeckte Belastung unserer Lebensmittel ist nur ein Beispiel für den fahrlässigen Umgang mit Dauergiften in der EU, wie die Serie von Giftskandalen der letzten Jahre zeigt: Pestizide in Obst und Gemüse, Antibiotika in Honig und Shrimps oder zuletzt Nitrofen in Futtergetreide und Geflügelprodukten.
Während die Belastung mit älteren Giften wie DDT abnimmt, steigen die Konzentrationen neuer langlebiger Umweltchemikalien drastisch an. Oft hat die Chemieindustrie eine verbotene Substanz einfach durch eine neue ersetzt und so den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.
Nonylphenol: Politiker in Brüssel müssen handeln
Neben der mangelnden Selbstverantwortung der Chemieindustrie ist an den Missständen vor allem auch die bisherige Chemiepolitik der EU schuld: Selbst als gefährlich erkannte Substanzen dürfen ohne nennenswerte Auflagen vermarktet werden. Die meisten der etwa 30.000 in der EU vertriebenen Chemikalien wurden bisher nicht oder nur unzureichend auf ihre Gefährlichkeit untersucht. Greenpeace schlug 1999 Reformen des EU-Chemikalienrechts vor. Ein Entwurf der EU-Kommission für eine neue Chemikalienpolitik greift viele der Greenpeace-Vorschläge auf. Die Chemieindustrie und die Deutsche Industrie- und Handelskammer machen jedoch Front gegen das Vorhaben. Statt eine moderne Chemie zu entwickeln, die Umwelt und Verbraucher vor Nebenwirkungen schützt, wollen sie weitermachen wie bisher. Der Schutz der Verbraucher und der Umwelt vor Giftstoffen wie Nonylphenol wird allerdings nur gelingen, wenn die EU ihre Pläne für ein neues Chemikalienrecht umsetzen kann. Die Interessen der Chemieindustrie dürfen dem nicht im Wege stehen.Onlineversion von:
Krautter, M.: UGB-Forum 4/02, S. 220-221