Ökobilanz für Lebensmittel: Regional nur zweite Wahl?
Regionale Produkte haben ökologisch gesehen die Nase klar vorn. Das dachten jedenfalls bisher alle umweltbewussten Verbraucher. Eine Studie der Universität Gießen behauptet nun, dass regionale Lebensmittel oft energieintensiver hergestellt werden.
Die Herstellung und der Transport von Apfelsaft aus der Region können bis zu achtmal mehr Energie verbrauchen als Fruchtsäfte, deren Rohstoffe rund 10.000 Kilometer weit transportiert werden. Heimisches Lammfleisch kann einschließlich aller regionalen Transporte dreimal mehr Energie erfordern als Lammfleisch aus Neuseeland, das per Schiff und LKW rund 14.000 Kilometer zurückgelegt hat, bis es in unsere Läden kommt. Das jedenfalls sind die Ergebnisse einer Studie, die Professor Elmar Schlich am Institut für Landtechnik der Justus-Liebig-Universität in Gießen durchführte. Die Nachricht machte in fast allen Medien die Runde. Schlagzeilen wie "Transport in der Region verbraucht mehr Energie" oder "Es darf auch mal exotischer sein" verunsicherten die Konsumenten. Die vorliegenden Daten zeigen nach Ansicht des Gießener Wissenschaftlers, dass die Transportentfernungen selbst praktisch keinen Einfluss auf die Energiebilanz haben. Eine wesentlich größere Rolle spielt, wie die Produktions- und Transportmittel ausgelastet sind. Große, hochtechnisierte Anlagen und eine durchorganisierte Transportlogistik sind oft effizienter als kleine Produktionsanlagen, die Rohstoffe und Produkte zwar über kurze Wege, aber nur in kleinen Mengen bewegen. Moderne, energiesparende Techniken leisten sich aus Kostengründen aber oft nur große Betriebe. Daher könnten regionale Klein- und Kleinstbetriebe energetisch bei weitem nicht mit größeren Firmen konkurrieren, fasst der Gießener Prozessingenieur Schlich die Studienergebnisse zusammen.
Darf es exotischer sein?
Professor Alois Heißenhuber und der Geograph Martin Demmeler von der Technischen Universität München bestätigen zwar in der Studie "Nachhaltigkeit durch regionale Vernetzung", dass es in punkto Energieverbrauch auf eine bestimmte Betriebsgröße ankommt. Die Münchener Wissenschaftler fanden aber auch heraus, dass Regionalität sehr wohl effizient und energiesparend sein kann (siehe auch UGB-Forum 4/03). Eine Ökobilanz bei einer süddeutschen Lebensmittelkette, die seit fünf Jahren neben ihren konventionellen Waren ein großes Sortiment regionaler Produkte vermarktet, konnte dies belegen. Beim Vergleich eines regionalen mit einem überregionalen Warenkorb stellte sich heraus, dass die regionale Variante beim Transport nur ein Drittel der Energie benötigte. Die Lärmbelastung war um mehr als die Hälfte geringer und die Straßen wurden um zwei Drittel weniger beansprucht.Ein bis zu achtmal höherer Energieaufwand bei regionalen Apfelsäften im Vergleich zu Großbetrieben wie sie in der Gießener Studie festgestellt wurden, sind in den Untersuchungen der Münchner Forscher nicht aufgetreten. Zudem merkt Demmeler an, dass diese Extreme nur in wenigen Fällen bei ineffizient arbeitenden Hobbymostereien auftreten. Der Durchschnittswert aller Hobbymoster liegt beim 1,4-fachen Energieverbrauch. Ziehe man die privaten Mostereien ab, sei die Energiebilanz für regionale und überregionale Apfelsäfte nahezu gleich.
Auch der Kassler Verkehrswissenschaftler Professor Helmut Holzapfel bemängelt die Gießener Studie. Er kritisiert ebenfalls, dass Betriebe verglichen wurden, die nicht gleich wirtschaftlich arbeiten. Wird ein regionaler Apfelsaft beispielsweise in einer veralteten Sterilisierungsanlage verarbeitet, fällt die Energiebilanz natürlich schlechter aus als bei Orangensaft von einem modernen Konzern aus Brasilien. Vergleiche man aber gleich effizient arbeitende Betriebe, würden die Regionalprodukte deutlich besser abschneiden.
Zusatznutzen berücksichtigen
Heißenhuber und Demmler weisen zudem ausdrücklich darauf hin, dass Lebensmittel nicht nur Träger eines "Energierucksackes" sind. Wird die Umweltverträglichkeit insgesamt betrachtet, spielen weitere Aspekte wie Naturschutz, Aufwand für Pflanzenschutzmittel, Lärmbelastung, Schadstoffausstoß oder Straßenbeanspruchung eine Rolle. Viele kleine regionale Initiativen verfolgen mit ihrer Wirtschaftsweise zudem ganz spezielle Ziele: beispielsweise den Erhalt von bestimmten Landschaftsbiotopen, Kulturpflanzenarten und Nutztierrassen oder auch die Einbeziehung gesellschaftlicher Randgruppen in die Produktion. Sie produzieren daher weit mehr als nur Schaffleisch oder Äpfel. Sie sorgen auch für eine für Bewohner und Touristen attraktive Landschaft, einen hohen Erlebniswert und eine Belebung der heimischen Wirtschaft.Der Aufwand, Lebensmittel zu transportieren, hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren verdoppelt, obwohl die Menge an verzehrten Lebensmitteln weitgehend gleich geblieben ist. Der Transport verursacht in Deutschland - vor allem durch Lärm und Straßenbeanspruchung - Folgekosten in Höhe von mehr als 4,5 Mrd. Euro jährlich. Selbst das Umweltbundesamt kommt zu dem Fazit, dass "aus Umweltsicht unser Nahrungsmittelproduktions- und -vermarktungssystem einschließlich unserer Konsumgewohnheiten mit dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung nicht vereinbar" sind. Regionale Lebensmittel erreichen dagegen in vielen Fällen - in Einzelbeispielen mag das anders sein - ein hohes Maß an Nachhaltigkeit im umfassenden Sinne.
Regionales hat die Nase vorn
Tatsächlich könnten kleine Initiativen vielfach in der Verarbeitung und im Handel noch deutlich effizienter arbeiten. Eine Möglichkeit ist, dass sich die regionalen Anbieter stärker vernetzen und existierende Handelsstrukturen nutzen. Sinnvoll für die vielen kleinen Betriebe wäre auch ein gemeinsames Marketing, um den Anteil an regionalen Lebensmitteln zu steigern. Derzeit wird in Deutschland beim Lebensmitteleinkauf nicht einmal ein Prozent für Waren aus der Region ausgegeben. Prognosen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sagen für die kommenden fünfzehn Jahre einen weiteren Anstieg des Straßengüterverkehrs von 70 Prozent voraus, mit dem größten Wachstum im Bereich der Lebensmitteltransporte. Um hier gegenzusteuern, müssen für den Großhandel, der mehr als 95 Prozent des Lebensmittelhandels ausmacht, die Entfernungen wesentlich reduziert werden. Die "Lagerhaltung auf der Straße" sollte ebenso wie die vielen überflüssigen Transporte verringert werden. So ist das Pulen von Nordseekrabben in Marokko, um sie auf dem Hamburger Fischmarkt zu verkaufen, ökologisch alles andere als sinnvoll. Als Fazit bleibt: Lebensmittel aus der Region sind nach wie vor die bessere Alternative für einen nachhaltigen Konsum. In einigen Bereichen sind die Produktionsbedingungen und die Transportlogistik regionaler Hersteller sicherlich verbesserungsfähig. Hier sind erhebliche Potenziale vorhanden, die in Zukunft gezielt genutzt werden sollten.Quelle: Becker, U.: UGB-Forum 1/04, S.48-49