Antibiotika - gefährliche Entwicklung

In der modernen Medizin gelten sie seit über 80 Jahren als Wunderwaffe gegen Bakterien. Doch der leichtsinnige Umgang mit Antibiotika in der Massentierhaltung und der vorschnelle Einsatz in der Humanmedizin lässt gefährliche Keime entstehen.

Drei Viertel aller in Deutschland verabreichten Antiobiotika erhalten Nutztiere. Nur ein Viertel werden von Menschen eingenommen. Foto: www.blitzrechner.de/fleisch

Scharlach, Lungenentzündung, eitrige Wunden oder operative Eingriffe sind in der heutigen Zeit kein Problem mehr. So dachte man zumindest noch bis vor wenigen Jahren. Inzwischen sterben in Deutschland jährlich 15.000 Menschen an Infektionen, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Weltweit gehen Experten derzeit von 700.000 Todesfällen aus, Prognosen zufolge könnten es 2050 bereits zehn Millionen Opfer sein.

Zu häufiger und teilweise unbegründeter Einsatz in der Humanmedizin oder eine zu früh beendete Antibiotikaeinnahme – das gibt Keimen die Chance, sich gegen die Medikamente zu wappnen und Resistenzen zu entwickeln. Das heißt, sie werden immun und lassen sich nicht mehr bekämpfen. Umweltschützer und Ärzteorganisationen machen aber vor allem den sorglosen Einsatz der Medikamente in der Tierhaltung verantwortlich für die weite Verbreitung resistenter Erreger. Erkrankt ein Schwein oder Huhn, werden gleich alle anderen Tiere im Stall mitbehandelt. Somit ist der Großteil der Tiere, die Antibiotika erhalten, eigentlich gesund. In Spanien und Deutschland, wo die Gruppenbehandlung gestattet ist, werden bis zu 100-mal mehr Antibiotika pro Nutztiereinheit verabreicht als in Norwegen oder Schweden, wo diese Praxis verboten ist. Meist erkranken die Tiere, weil sie in den modernen Produktionsbetrieben auf viel zu engem Raum zusammengepfercht stehen und kaum Umweltreizen ausgesetzt sind. Hinzu kommt, dass die auf Fleisch-, Milch- und Eierproduktion getrimmten Rassen überzüchtete Tiere mit schwacher Immunabwehr hervorbringen.

Antibiotika im Fresstrog

Ausgehend von einem extrem hohen Niveau von 1700 Tonnen pro Jahr hat sich der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zwischen 2011 und 2015 halbiert. Die Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das die Daten erhebt, sieht darin nicht zwingend einen Rückgang der Therapien mit Antibiotika. Möglicherweise sei dafür auch der Wechsel zu Wirkstoffen verantwortlich, die in 10- bis 15-fach niedrigerer Dosierung verabreicht werden als bisher angewandte. Bei einzelnen Reserveantibiotika, die eigentlich für die lebensrettende Behandlung von schwer kranken Patienten vorbehalten bleiben sollten, ist der Verbrauch sogar angestiegen. Inzwischen erhalten weltweit mehr Nutztiere als Menschen Antibiotika zur Behandlung von Krankheiten.

Der Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung hat direkte Konsequenzen für die Verbraucher. So fanden staatliche Kontrollbehörden auf 66 Prozent des in deutschen Supermärkten angebotenen Hühnerfleisches Keime mit Antibiotikaresistenzen. Über die Nahrung aufgenommen können diese die Wirksamkeit von Antiobiotika in der Therapie einschränken. Rund ein Drittel der hiesigen Fleischproduktion geht ins Ausland, darunter auch Staaten, in denen die Industrienationen eigentlich den Kampf gegen Infektionen unterstützen wollen, kritisiert Reinhild Benning von der Umweltschutzorganisation germanwatch. So würden mit der Billigfleischproduktion resistente Keime global gestreut.

Mehr als 80 Prozent der Antibiotika, die in Deutschland verarbeitet werden, stammen aus Nicht-EU-Staaten, vor allem aus China und Indien. Unlängst entdeckten Recherchen des NDR in Abwässern indischer Pharmafabriken und im Abfluss von Kläranlagen in 14 von 16 Proben Antibiotika und Pilzmedikamente. In neun Proben befand sich unter anderem das Reserveantibiotikum Moxifloxacin mit bis zum 2.235-fachen des zulässigen Grenzwertes.

Vom Feld in die Nahrungskette

Auch bei uns gelangen Wirkstoffe und Erreger in die Umwelt. In einem Gülle-Test von Greenpeace im April 2017 wiesen 13 von 19 Proben aus Schweinemastanlagen multiresistente Erreger auf. Diese Keime sind besonders heimtückisch, weil sie gleichzeitig gegen verschiedene Medikamente unempfindlich sind und in Krankenhäusern zunehmend zum Problem werden. In 15 Proben fanden die Umweltschützer zudem Rückstände von Antibiotika, da die Tiere nur einen Bruchteil der Medikamente aufnehmen und sie zu großen Teilen unverändert wieder ausscheiden. Manche Wirkstoffe werden relativ rasch abgebaut, andere wie Tetracycline und Fluorchinolone verbleiben Monate und mitunter Jahre im Boden. Studien belegen, dass Getreide und Gemüse die Antibiotika und Keime aus Böden und Grundwasser aufnehmen, sie also auch auf diesem Weg in die menschliche Nahrungskette gelangen.

Kein Interesse an neuen Entwicklungen

Für die Pharmaforschung wird es immer schwieriger, mit der Entwicklung resistenter Erreger mitzuhalten und neue Wirkstoffe zur Verfügung zu stellen. Zugleich haben die Unternehmen wenig Interesse daran, neue Wirkstoffe zu entwickeln. Wenn sie die Medikamente anschließend als Reserveantibiotika zurückhalten müssen, fällt ihr Profit geringer aus oder sie bleiben möglicherweise sogar auf den Entwicklungskosten sitzen. Vor 30 Jahren erforschten noch rund 16 Pharmaunternehmen moderne Antibiotika. Heute sind davon gerade noch vier übrig geblieben. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen sieht in der Forschungslücke das „Symptom eines eklatanten Marktversagens.“ Sie fordert die Regierungen der Industrienationen auf, dafür zu sorgen, die Forschungskosten vom letztlichen Produktpreis zu entkoppeln. Nur so sei gewährleistet, dass dringend benötigte Forschung und Entwicklung zu neuen Antibiotika auch dann stattfinden, wenn es keine Aussichten auf hohe Profite gebe.

Um den Verbrauch von Antibiotika einzudämmen, ist von Ärzten ein sensibler Einsatz gefordert, von Patienten eine konsequente Einnahme und in der Massentierhaltung ein generelles Umdenken. Reserveantibiotika müssen in der Tierhaltung verboten werden. Und statt Schweinen, Hühnern und Milchkühen ein Maximum an Leistung abzuringen, sollte der Weg in Richtung einer artgerechten Haltung und Züchtung widerstandsfähiger Rassen gehen, wie ihn die Betriebe in der ökologischen Landwirtschaft beschreiten. Hier ist der präventive Einsatz von Antibiotika verboten und im Krankheitsfall sehr viel strenger geregelt.

Quelle: Weigt S. UGBforum 5/17, S. 254-255