Verbraucherrechte: Konsumenten tappen im Dunkeln

Heike Graf, Barbara F. Hohl

Deutschland is(s)t unmündig. Hinter welchen Lebensmitteln Gentechnik steckt oder welcher Supermarkt Gammelfleisch verkauft, erfahren die Verbraucher nicht. Die fehlende Transparenz liegt im System begründet.

Verbraucherschutz - fehlende Transparenz

Verbraucher in Deutschland müssen nicht nur einen guten Magen, sondern auch gute Nerven haben. Beispiele für Missstände gibt es viele: Verdorbenes oder tiefgefrorenes Fleisch wird zu frischer Ware umdeklariert oder verbotenerweise mit Wasser aufgespritzt, um es schwerer zu machen. Doch auch für Vegetarier ist nicht immer alles im grünen Bereich. In den Regalen stehen Milchprodukte von Kühen, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, acryl-amidbelastete Bioprodukte oder pestizidreicher Rucolasalat. Man weiß in Deutschland nicht, was auf den Tisch kommt.

Verbraucherschutz : Hersteller lassen Kunden im Ungewissen

Handelt es sich bei den Fleisch-Betrügern wirklich nur um einzelne schwarze Schafe, wie die Fleischindustrie und Bundesverbraucherminister Horst Seehofer behaupten? Weit gefehlt! Allein in Bayern beanstandete das Landesamt 2003 durchschnittlich jede dritte Lebensmittelprobe von Frischfleisch. Keinen Deut besser sieht es beim Umgang mit Risikosubstanzen aus, zum Beispiel bei Lebensmitteln, die Acrylamid enthalten, das beim Braten und Frittieren stärkehaltiger Produkte entsteht. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) weist in seinem letzten Jahresbericht auf ein "großes gesundheitliches Risiko für den Verbraucher" durch das krebsverdächtige Acrylamid hin und drängt, die Belastung zu senken. Doch die Acrylamidwerte stehen nicht auf den Verpackungen, so dass die Verbraucher einem unnötigen Risiko ausgesetzt werden. Lebensmittel- und Fleischskandale sind die Konsequenz eines falschen Systems. Es gibt zu wenig Informationen für die Verbraucher und keinen transparenten Handel.

Verbraucherrechte: Wollen Sie ess-wissen?

Den genauen Wortlaut des foodwatch-Gesetzentwurfs gibt es bei foodwatch
in der Rubrik "Verbrauchergesetz". Um den Politikern zu zeigen, dass die Verbraucher ihr Grundrecht auf Information einfordern, hat foodwatch die Mitmach-Aktion www.ess-wissen.de gestartet. Dort kann jeder Bürger eine vorbereitete Petition an die Politiker schicken und sagen: "Ich will ess-wissen!"


Eigentlich sollten die Bürger erwarten, dass das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit durch den Staat geschützt wird. Doch die Konsumenten erfahren über die Missstände bei Lebensmitteln in der Regel gar nichts oder erst zuallerletzt. Und wie sollen Verbraucher souverän entscheiden, welche Nudelsorte sie kaufen? Sie erfahren ja noch nicht einmal, ob die Eier darin aus Käfighaltung stammen, so wie es bei den meisten verarbeiteten Produkten der Fall ist. Bei Lebensmitteln wird geschwiegen, wenn Panschereien passieren. Als die Firma Berger-Wild in Bayern Anfang 2006 mit ungenießbarem und umetikettiertem Wildfleisch in die Schlagzeilen geriet, waren den Behörden Unregelmäßigkeiten und Hygienemängel schon Jahre vorher bekannt. Doch wir Verbraucher erfahren davon nichts. Warum nicht? Weil es keine rechtliche Grundlage für eine solche Information gibt.

Betriebsgeheimnis geht vor Verbraucherschutz

Was Verbraucher in Deutschland über ihre täglichen Lebensmittel wissen dürfen, wollte foodwatch als Verbraucherorganisation herausfinden. Doch die Nachfrage bei Behörden über Fleischabfälle in Brühwürfeln oder laufende Ermittlungen gegen betrügerische Unternehmer, endeten in einer Sackgasse. "Diese Information fällt unter das Betriebsgeheimnis", ist eine beliebte Antwort der Behörden. Selbst wenn nach dem Verzehr der Produkte Menschen sterben, wie beispielsweise 2004 in Dänemark nach dem Genuss von mit Salmonellen kontaminiertem Putenfleisch aus Deutschland. Trotz der Todesfälle wollten die Behörden den Namen des beteiligten deutschen Betriebes nicht herausrücken. Verkehrte Welt: Betriebliche Geheimnisse der Firmen sind dem Staat wichtiger als das Grundrecht der Verbraucher auf körperliche Unversehrtheit. Diese Geheimniskrämerei öffnet Betrügern und schlampigen Herstellern Tür und Tor. Auch weniger brisante Anfragen bei den Firmen bleiben unbeantwortet. So wollte foodwatch beispielsweise von der internationalen Molkerei Campina wissen, was mit dem Hinweis "von ausgesuchten Höfen" gemeint ist, mit dem das Unternehmen die Markenmilch Landliebe bewirbt. Die Molkerei blieb eine Antwort bis heute schuldig.Dabei ist das Recht auf Information ein elementares Bürgerrecht. Und Transparenz im System wäre der beste Schutz gegen Lebensmittelskandale: Sie wirkt vorbeugend. Denn Hersteller, die die Herkunft der Rohstoffe und Kontrollergebnisse veröffentlichen müssen, werden Schlampereien tunlichst vermeiden, um ihre Kunden nicht zu verprellen.

Verbraucherpolitisches Entwicklungsland

Für die nötige Transparenz im Lebensmitteldschungel soll schon seit BSE-Zeiten ein Verbraucherinformationsgesetz (VIG) sorgen. Doch der damalige Entwurf der rot-grünen Bundesregierung wurde vom CDU/CSU-dominierten Bundesrat abgewiesen. Nach den Skandalen um Gammelfleisch 2005 hat Minister Seehofer das Thema zur Chefsache gemacht und zum Jahreswechsel 2006 einen eigenen Entwurf vorgestellt. Doch nach diesem Gesetzentwurf würde kaum eine Verbesserung für die Verbraucher entstehen. Wenn Hersteller oder Händler es nicht wollen, werden Konsumenten weiterhin keine Informationen erhalten. Behörden müssen keine Kontrollergebnisse veröffentlichen und können jede Informationsanfrage der Bürger zurückweisen, hinauszögern oder mit hohen Gebühren belegen. Selbst bei Gefahren haben Amtsgeheimnisse Vorrang vor öffentlichem Interesse und dem Schutz der Bürger. So bleibt Deutschland weiter verbraucherpolitisches Entwicklungsland.

Dass Transparenz funktioniert, zeigt ein Blick in andere Länder. In Dänemark beispielsweise müssen Restaurants, Imbisse, Supermärkte und Lebensmittelhändler ihre Kontrollergebnisse für jedermann zugänglich aushängen. Ein Symbol mit einem mehr oder weniger lächelnden Smiley zeigt öffentlich und auf einen Blick, ob es Beanstandungen gab oder nicht. Der Konsument kann so selbst entscheiden, ob er dort essen oder einkaufen will. Doch Deutschland enthält seinen Bürgern solche Informationen vor.

Verbraucherschutz: Gesetz muss für Transparenz sorgen

Bürger können nur dann als souveräne Marktteilnehmer handeln, wenn elementare Verbraucherrechte wie Transparenz, Wahlfreiheit und Schutz vor Betrug oder Gesundheitsgefahren sichergestellt sind. Weil Horst Seehofers Entwurf für ein Verbraucherinformationsgesetz dies nicht leistet, hat foodwatch einen Gegenentwurf ausgearbeitet. Dieser fordert, dass die Behörden verpflichtet sind, alle bei ihnen vorhandenen Informationen Verbrauchern zugänglich zu machen. Tagesaktuell sollten Ergebnisse von Kontrollen, Verstöße gegen das Lebensmittelrecht und die Gesundheit beeinträchtigende Produkte veröffentlicht werden. Die Geheimhaltung von Informationen muss dabei gerechtfertigt werden, nicht deren Veröffentlichung. Für Unternehmen ist es zumutbar, über ihre Produkte und die Produktionskette Auskunft zu geben. Grundsätzlich muss bei Gefahrenabwehr das öffentliche Interesse überwiegen.

Quelle: Graf, F. und Hohl, B.: UGB-Forum 3/06 S. 152-153