Verbraucherschutz - Die Tricks der Industrie

Ob unzureichende Kennzeichnung von Lebensmitteln, irreführende Werbung oder die hygienischen Zustände in Restaurants – wenn es um ehrliche Informationen über unser Essen geht, haben Verbraucher oft das Nachsehen. Strengere gesetzliche Regelungen sind nötig.

verbrauchertaeuschung

Skandale um Pferde- und Gammelfleisch, dioxinbelastete Eier oder verkeimte Salatsprossen – alljährlich erhitzen Lebensmittelskandale die Gemüter. Nicht selten stecken Profitgier und kriminelle Machenschaften Einzelner hinter den schlagzeilenträchtigen Enthüllungen. Dabei findet der Betrug am Verbraucher täglich statt – nicht immer offensichtlich, sondern oft im Verborgenen und ganz legal.

Versteckte Bestandteile von Tieren

Sandra Herbst ernährt sich vegan. Sie begegnet Tieren lieber in der Natur als eingepfercht im Stall. Die Studentin isst deshalb weder Fleisch noch Käse. Auch Lebensmittel, die Milch, Eier oder Gelatine als Zutat enthalten, lässt sie im Regal liegen. Doch ob die Produkte ohne tierische Hilfsstoffe hergestellt wurden, ist oftmals nicht zu erkennen. So etwa bei Säften oder Wein, bei denen Gelatine aus Knochen zur Klärung verwendet wird. Auch Enzyme tierischer Herkunft, die als Mehlbehandlungsmittel dienen, müssen nicht auf der Zutatenliste erscheinen. Der Vegetarierbund Deutschland (VEBU) und die Verbraucherschützer des Bundesverband Verbraucherzentrale (vzbv) fordern deshalb rechtliche Vorgaben zur Kennzeichnung von veganen oder vegetarischen Produkten. Das hat die Bundesregierung Anfang des Jahres mit der fadenscheinigen Begründung abgelehnt, die Verbraucher könnten sich schon jetzt ausreichend informieren.

Verschleiern und Vertuschen

Ob Lebensmittel eine günstige Nährstoffzusammensetzung aufweisen oder eher Fett-, Zucker- oder Kalorienbomben sind, ist auf den ersten Blick oft nicht ersichtlich. Schon lange fordern Verbraucherverbände wie foodwatch oder die Verbraucherzentralen die Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln – bislang vergeblich. Selbst Schulkinder könnten anhand der Ampelfarben auf einen Blick erkennen, ob ein Produkt viel oder wenig Kalorien, Fett, Zucker oder Salz enthält. In Großbritannien hat sich diese verbraucherfreundliche Nährwertkennzeichnung längst durchgesetzt.

In Deutschland hat die Industrie die Einführung der Ampel bislang verhindert. Auf Limonaden, gesüßten Frühstückscerealien oder Joghurtdesserts geben die Hersteller stattdessen freiwillig Nährstoffgehalte bezogen auf die Portionsgröße und den Tagesbedarf an. Das klingt zunächst vernünftig, ist letztlich aber Augenwischerei. Denn was eine Portion ist, legen die Unternehmen selbst fest. Aber wer isst wirklich nur einen Minischokokuss aus einer Packung mit 32 Stück? Irreführend ist auch der Bezug auf den Tagesbedarf. Denn dieser ist für einen Erwachsenen berechnet. Während eine Portion Kartoffelchips mit nur 30 Gramm laut Herstellerangabe 16 Prozent des Richtwertes für die täglich Fettzufuhr eines Erwachsenen enthält, bedeutet das für ein Kind einen deutlich höheren Anteil.

Die Angaben sind nicht nur winzig klein gedruckt, die meisten Verbraucher sind mit den detaillierten Zahlen und Angaben schlicht überfordert. Und das Misstrauen wächst. Das belegt eine aktuelle Verbraucherstudie: 51 Prozent der 16- bis 29-Jährigen und sogar 67 Prozent der über 60-Jährigen sind misstrauisch, ob auch das drin ist, was draufsteht. Hier muss der Gesetzgeber für leicht verständliche und vor allem verbindliche Regelungen sorgen, denn nur dann haben Verbraucher wirklich eine Wahl.

Werbung bis auf den Schulhof

Die Ernährungsindustrie wehrt auch beim Thema Werbung erfolgreich gesetzliche Regulierungen durch ihre Lobbyarbeit ab. Um Beschränkungen zu verhindern, haben sich 23 der größten Lebensmittelkonzerne wie Coca Cola, Kellogg’s oder Danone im sogenannten EU-Pledge dazu verpflichtet, keine Werbung für unausgewogene Produkte an Kinder unter zwölf Jahren zu richten. Was unausgewogen ist, bestimmen die Hersteller allerdings selbst. Danach dürfen gesüßte Frühstückflocken von Kellogg’s oder Nestlé mit bis zu 30 Prozent Zucker weiter an Kinder beworben werden. Dass McDonald’s mit Spielzeugbeigaben für sein Happy Meal speziell Kinder anspricht, ist ebenfalls zulässig. Der Fastfoodriese hat zwar versprochen, in der Werbung immer auch eine Obst- oder Gemüsekomponente zu zeigen; das gilt aber nicht für das Angebot im Res­taurant. So verwundert es kaum, dass die salatfreie Kombination aus Pommes, Chicken Nuggets und Cola die meist bestellte Variante bei den kleinen Kunden ist.

Die Ernährungsindustrie macht mit ihrer Werbung selbst vor Schulen und Kindergärten nicht halt. Ganze Marketingagenturen haben sich auf das Education Marketing spezialisiert. Besonders perfide sind eigens erstellte Unterrichtsmaterialien, die überzuckerte Flocken und Süßgetränke als gesund verkaufen und über die Behandlung im Schulunterricht eine große Glaubwürdigkeit genießen. Dabei heißt es in den Verhaltensregeln des Deutschen Werberats, dass Werbung für Lebensmittel „dem Erlernen eines gesunden, aktiven Lebensstils durch Kinder nicht entgegenwirken soll.“ Eine Farce, wie die Realität täglich beweist.

Selbstregulierung funktioniert nicht

Dass Hersteller von Schokoriegeln, gezuckerten Cornflakes oder Kinderjoghurts die jungen Kunden mit ihrer Werbung ködern, muss ein Ende haben. Denn die meisten von der Industrie speziell für Kinder vermarkteten Produkte sind Zucker- oder Fettfallen, enthalten Aromen, Farb- und Süßstoffe oder gaukeln mit Vitaminzugaben ein positives Image vor. Ein Check der Verbraucherzentrale Hessen deckte auf, dass 21 von 25 begutachteten Kinderlebensmitteln „mit einer gesunden Kinderernährung nicht vereinbar“ sind. Die bisherigen Selbstverpflichtungen, sei es vom EU-Pledge oder vom Deutschen Werberat, funktionieren nicht. Nötig ist ein umfassendes und wirksames Verbot für die an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel, die einer gesunden Kinderernährung im Wege stehen. Es wird Zeit, dass der Gesetzgeber hier aktiv wird.

Schwarze Schafe beim Namen nennen

Fehlanzeige in punkto Transparenz auch beim Restaurantbesuch. Wer wüsste nicht gern, wie es in der Küche seines Lieblings­italieners aussieht? Wie erkennt man unterwegs die Qualität eines Lokals? Hier könnte ein offizieller Hinweis der Kontrollbehörden helfen, wie er in Dänemark seit Jahren angewendet wird. Betriebe, die in ihrer Küche sauber und ohne Beanstandung arbeiten, erhalten von den Überwachungsbehörden einen grinsenden, grünen Smiley. So wird Gästen schon beim Betreten signalisiert: Hier werden die Hygienestandards eingehalten. Beanstandete Betriebe sind durch einen weinenden, roten Smiley gleich erkennbar. Und die öffentliche Symbolik wirkt: Waren es bei der Einführung rund 70 Prozent der Lebensmittelbetriebe, Imbisse und Kantinen mit dem fröhlichsten Smiley, sind es inzwischen 84 Prozent. Der Anteil der schlechter bewerteten Betriebe hat sich damit praktisch halbiert.

Nachholbedarf im Verbraucherschutz

Auch in Deutschland ist mehr Transparenz dringend nötig. Hierzulande wird jeder vierte Lebensmittelbetrieb bei den amtlichen Kontrollen beanstandet. Darunter nicht nur Restaurants und Gaststätten, sondern auch Bäckereien, Metzgereien und andere Lebensmittel verarbeitende Betriebe. In einer Vorreiterrolle zeigt sich der Berliner Bezirk Pankow. Trotz Widerständen aus Politik und Wirtschaft konnte dort ein Smiley-System etabliert werden und seit 2009 veröffentlicht das Bezirksamt Pankow die amtlichen Kontrollergebnisse auch in Form einer Negativliste im Internet. Die Mängelbetriebe können ihre Missstände beheben und sich nachkontrollieren lassen. Sind die Auflagen erfüllt, verschwindet der Betrieb wieder von der Negativliste. Die Betriebe haben so einen viel höheren Anreiz, sauber und vorschriftsmäßig zu arbeiten. Im Rahmen eines Pilotprojekts hat die Verbraucherzentrale Nord­rhein-Westfalen jetzt zunächst für Duisburg und Bielefeld ein neues Kontrollbarometer entwickelt, das über eine Appetitlich-App per Handy oder im Internet (vz-nrw.de/appetitlich) über die hygienischen Verhältnisse von Restaurants, Schnellimbissen oder Eisdielen informiert.

Trotz der guten Vorbilder in Dänemark, Berlin und Nordrhein-Westfalen hat sich die Bundesregierung nicht dazu durchringen können, die Sicherheit der Verbraucher vor den Schutz der Unternehmen zu stellen. Die amtliche Lebensmittelüberwachung ist ohnehin überfordert. Aus dem letzten Jahresbericht zur Lebensmittelsicherheit des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit geht hervor, dass 2012 von den rund 1,22 Millionen Lebensmittelbetrieben nicht einmal jeder zweite kontrolliert wurde.

Politik muss Grenzen setzen

Der gerne von Industrie und Regierung zitierte mündige Verbraucher braucht gesetzlichen Schutz durch strengere Regeln, die die Unternehmen zu ehrlicher Information verpflichtet. Doch damit ist es nicht weit her. Unter dem Druck der Verbraucherverbände hat die ehemalige Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) 2011 das Internet-Portal lebensmittelklarheit.de ins Leben gerufen. Hier können sich Konsumenten beschweren, die sich durch Aufmachung und Kennzeichnungen von Lebensmitteln in die Irre geführt sehen. Mitarbeiter der Verbraucherzentralen sollen hier aufklären und bei berechtigten Klagen an die Hersteller herantreten. Diese haben dann die Möglichkeit, ihre Auffassung darzustellen und sich an der „Diskussion“ zu beteiligen. Bestenfalls korrigieren sie ihre Darstellungen auf dem Etikett. Bewirkt hat der Online-Kummerkasten im Internet an den Grundätzen wenig. Wenn der Gesetzgeber klare Richtlinien erlassen würde, könnte man sich das Portal getrost sparen. So lange es lediglich bei laschen Gesetzen, unwirksamen Selbstbeschränkungen der Industrie und elektronischen Beschwerdeforen bleibt, werden Verbraucherverbände und unabhängige Gesundheitsinstitutionen wie der UGB nicht müde werden, die Missstände anzuprangern. Neutrale und glaubwürdige Ernährungsinformationen brauchen unabhängige Einrichtungen.

Quelle: Weigt S. UGB-Forum 2/14, S. 58-60
Foto: Kadmy/Fotolia.com

Literatur:
Bezirksamt Pankow. Das Smiley Projekt im Bezirk Pankow. 2014, www.berlin.de/ba-pankow/verwaltung/ordnung/smiley.html
EU Pledge. Nutrition White Paper. www.eu-pledge.eu/sites/eu-pledge.eu/files/releases/EU_Pledge_Nutrition_White_Paper_Nov_2012.pdf
Foodwatch. Der Pledge – EU-Feigenblatt für Kinder-Werber in der Lebensmittelindustrie . 2013. www.foodwatch.org/uploads/media/2013-04-30_Faktenpapier_EU-Pledge_01.pdf
SGS-Germany GmbH (Hrsg). Vertrauen und Skepsis: Was leitet die Deustchen beim Lebensmitteleinkauf. SGS-Verbraucherstudie 2014
Verbraucherzentrale Hessen. Hersteller ködern Kids mit Zucker- und Fettfallen. März 2009. www.verbraucher.de/Hersteller-koedern-Kids-mit-Zucker-und-Fettfallen-1
Verbraucherzentrale NRW. Appetitlich-App macht Appetit auf Transparenz bei Restauranthygiene und Verbraucherinformation. Pressemitteilung vom 05.12.2013. www.vz-nrw.de/appetitlich
Verbraucherzentrale Bundesverband: www.lebensmittelklarheit.de