Near Water Getränke: Aufgepepptes, teures Wasser
Sie sehen aus wie Wasser, bestehen hauptsächlich aus Wasser, tragen aber meist eine Frucht und einen wohlklingenden Namen auf dem Etikett. Sogenannte Near Water - also "Fast wie Wasser" - Getränke füllen ganze Supermarktregale und die Kassen der Anbieter.
Wasser trinken ist gesund, das weiß jeder. Doch manchem ist das auf Dauer offensichtlich etwas langweilig. Near Water Getränke scheinen eine Lösung zu sein. Die schillernd beworbenen Modedrinks in zart-pastellener Tönung suggerieren Natürlichkeit und versprechen Fitness. Doch diesem Wohlfühlimage werden die wenigsten gerecht. Und teuer sind sie obendrein.
Near Water: Geschicktes Marketing
Basis aller Near Water Getränke ist - wie der Name schon sagt - Wasser: manchmal natürliches Mineralwasser, Quell- oder Tafelwasser, häufig aber auch schlichtes Leitungswasser. Für das Wellness-Image sorgen peppige Schlagwörter wie activ, fresh, vital, wellness, harmonie oder balance. Für jede Lebenslage scheint es das entsprechende Produkt zu geben: Mehr Fitness und Vitalität versprechen Produkte mit Sauerstoffzusatz und Carnitin, die mentale Fitness soll durch Coffein, Ginseng- oder Ginkgo-Extrakte gesteigert werden. In Form bleiben kann man angeblich mit Mate-Tee-Extrakt und Apfelessigzusätzen. Für die innere Balance sollen Pflanzenextrakte wie Orangenblütenöl, Hopfen, Ingwer oder Johanniskraut sorgen. Angeblich zum Wohlbefinden tragen Pflanzenzusätze wie Zitronengras, Ingwer, Aronia oder Aloe vera bei. Die Zusätze sind den Getränken allerdings in so geringen Konzentrationen von teilweise unter einem Prozent beigemischt, dass gesundheitlich wirksame Mengen nicht erreicht werden. Dennoch ist es grundsätzlich bedenklich, dass Stoffe mit Arznei-Charakter wie Gingko, Ginseng und Johanniskraut in frei verkäuflichen Getränken eingesetzt werden. Auch die vielfach zugesetzten Vitamine, wie B-Vitamine, Vitamin C oder Folsäure, sind oft so groß, dass mit einem Liter Getränk teilweise ein Vielfaches der empfohlenen Tagesdosis aufgenommen wird.
Werbung und Wirklichkeit bei Near Water Getränken
Gesundheit, Wellness und Leistungssteigerung sind die Werbeversprechen der Anbieter. Doch die Wirklichkeit ist ernüchternd. Für viele Getränke wird zwar mit Fruchtabbildungen oder Obstnamen geworben - doch den fruchtigen Geschmack nach Orange, Limette oder Physalis erzeugen überwiegend billige Aromazusätze und nicht natürliche Fruchtsäfte. Diese sind in den Getränken meist nur in äußerst geringen Mengen von 0,5 bis 5 Prozent zu finden. Geschickt formuliert heißt das beispielsweise bei Volvic: "schmeckt 100 Prozent natürlich nach erfrischender Himbeere" oder "Mineralwasser mit leckerem Erdbeergeschmack". Echte Früchte hat das Getränk allerdings nie gesehen, auch wenn das Etikett mit den schönen roten Himbeeren oder Erdbeeren ganz danach aussieht. Bei Gerolsteiner Linée liest man: "Leichtigkeit bei vollem Geschmack" und "Erleben Sie Frucht auf eine besonders leichte Weise". So schön klingt es, wenn Mineralwasser mit drei Prozent Fruchtsaft verhökert wird. Das kostet pro Flasche immerhin rund 30 Cent mehr als herkömmliches Mineralwasser der gleichen Marke.
"Natur pur" sieht anders aus
Da die Fruchtsaftgehalte viel zu niedrig sind, um für natürliche Süße zu sorgen, wird nachgeholfen. Gesüßt wird oft mit Trauben- und Fruchtzucker, da diese bei vielen Konsumenten noch immer ein gesundes Image haben. Gerade Fruchtzucker - von den Herstellern häufig beschönigend als "natürliche Fruchtsüße" beworben - ist als Süßungsmittel für Getränke jedoch hoch umstritten: Größere Mengen können zu Verdauungsstörungen führen und sich langfristig negativ auf den Stoffwechsel auswirken und zum Beispiel zur Entstehung einer Fettleber beitragen. Zudem wird vermutet, dass Fruchtzucker Übergewicht stärker fördert als Haushaltszucker.
Damit die süßen Getränke überhaupt nach etwas schmecken, setzen die Produzenten das Säuerungsmittel Zitronensäure zu. Sie ist zusammen mit dem Zucker ein echter Zahnschmelzkiller - besonders bei Kinderzähnen. Für lange Haltbarkeit sorgen Konservierungsstoffe wie Sorbin- oder Benzoesäure und für den intensiven Geschmack sind die eingesetzten Aromen zuständig. Sie müssen - selbst wenn sie als natürliches Aroma bezeichnet werden - nicht aus der Frucht stammen, deren Geschmack sie imitieren sollen. "Natürliche Aromastoffe", das klingt gut, mit Natur haben diese jedoch nur im weitesten Sinne zu tun. Die Ausgangsstoffe müssen zwar pflanzlicher oder tierischer Herkunft sein, doch das Aroma kann daraus mit Hilfe von Bakterien, Pilzen oder Hefen gewonnen werden. So lässt sich im Labor beispielsweise Erdbeeraroma aus Mais oder Kartoffeln herstellen. Auch die Biohersteller wollen von dem Trend profitieren. Aber wenigstens kommen die wasserähnlichen Biogetränke ohne künstliche Farb-, Aroma- oder Konservierungsstoffe aus.
Near Water: Fraglicher Nutzen
Getränke sollen dem Körper vor allem Wasser liefern, keine Kalorien. Durch den hohen Zuckergehalt - 20 Stück Würfelzucker pro Liter sind keine Seltenheit - sind Near Water Getränke aber alles andere als kalorienarm. Es gibt zwar auch etliche mit Süßstoff gesüßte Produkte, doch viele weisen zwischen 130 und 250 Kilokalorien pro Liter auf, manche liegen mit 290 Kilokalorien noch darüber. Wer seinen Flüssigkeitsbedarf von rund zwei Litern pro Tag also ausschließlich mit diesen Getränken deckt, nimmt so unbemerkt bis zu 500 Kilokalorien zusätzlich auf.
Near Water Getränke verdanken ihren Erfolg vor allem einer ausgeklügelten Werbestrategie, die die Verbraucherwünsche Gesundheit, Wellness und Leistungsfähigkeit aufgreift. Berichte im Internet und Bücher zu den Wirkstoffen sind Teil dieser Strategie. Etwas genauer unter die Lupe genommen zeigt sich jedoch, dass die angebliche Natürlichkeit durch den Einsatz von Zusatzstoffen, Aromen und jeder Menge Zucker ad absurdum geführt wird. Für den beworbenen Zusatznutzen durch Pflanzenzusätze oder angeblich leistungssteigernde Ingredienzien gibt es keine Belege. Hinzu kommt, dass die aufgepeppten Wässer mit bis zu zwei Euro pro Liter deutlich teurer sind als herkömmliches Mineralwasser. Und nicht zuletzt kommen viele in wenig umweltfreundlichen Einweg-Plastikflaschen daher. Daher sind Near Water Getränke überflüssig und als Durstlöscher nicht zu empfehlen. Wem Wasser geschmacklich zu langweilig ist, sollte es lieber selbst mit einem Spritzer Fruchtsaft aufpeppen.
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Riemann-Lorenz K.: UGB-FORUM 1/11 S.48-49Foto: T. Krstic/Fotolia.com