UGB-Symposium

Ich esse anders - und Du?
Ernährungsrichtungen und populäre Diäten unter der Lupe

Die richtige Ernährung, die allen Menschen gut tut, gibt es nicht. Wie individuelle Aspekte in die Empfehlungen verschiedener Ernährungsrichtungen eingehen, stand im Mittelpunkt des UGB-Symposiums vom 23. bis 25. September in Edertal-Bringhausen.

Der Sozialhistoriker Dr. Uwe Spiekermann von der Universität Göttingen hat den Deutschen auf den Teller geschaut. Zusammenfassend stellte er fest, dass die Mehrheit nicht irgendwelchen Trends hinterherläuft. Wie wir essen ist nach wie vor historisch geprägt, auch wenn sich die "Drei-Einigkeit aus Kartoffeln, Fleisch und Gemüse langsam verabschiedet". Traditionelle Werte ändern sich zwar, aber von dem oft beklagten Kulturverfall kann seiner Meinung nach keine Rede sein. Weil die Art, wie wir essen, nicht von der Art, wie wir leben, zu trennen ist, riet er Ernährungsberatern, nicht das Essverhalten anderer zu moralisieren.

Ernährung ist Teil des Lebensstils

Das Essen Teil eines ganzen Lebenskonzeptes ist, zeigt sich besonders bei Veganern. Veganer trinken wenig Alkohol, Rauchen selten und bewegen sich viel, berichtete die Oecotrophologin Birgit Schmitt von der Universität Hannover. Sie stellte den mehr als 100 Teilnehmern des Symposiums die Ergebnisse der deutschen Vegan-Studie vor. Die rein pflanzliche Ernährungsweise besitzt einige gesundheitliche Pluspunkte. So stimmen der Anteil der Hauptnährstoffe und das Fettsäuremuster weitgehend mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung überein. Auch die hohe Aufnahme an Ballaststoffen, anitoxidativen Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen bewertete Schmitt als günstig. Zusätzlich wies sie jedoch ausführlich auf Risiken hin, die insbesondere für Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere, Stillende und Kinder bestehen. Eisen, Vitamin B12 und Calcium zählen bei diesen Gruppen zu den kritischen Nährstoffen. Schmitt empfiehlt Veganern in dieser Lebensphase, zumindest Vitamin B12 sowie Calcium durch Supplemente zu ersetzen. Ähnlich kritisch bewertete Eddie Semler, Experte des Arbeitskreises für alternative Ernährungsformen der Universität Gießen, die Rohkost-Ernährung. Während sie als langfristige Ernährungsform in seinen Augen ungeeignet ist, kann sie therapeutisch durchaus nützlich sein. Therapieerfolge bei Rheuma, Hauterkrankungen oder Migräne sind häufig beschrieben und durchaus plausibel. Die Vorteile der Rohkost-Ernährung liegen vor allem in ihrem hohen Anteil an Ballaststoffen, Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen. Gleichzeitig enthält sie weniger tierische Proteine und fetthaltige Produkte.

Essen nach dem Typ

Fernöstliches servierten der indische Arzt Ananda Samir Chopra aus Kassel und der Mediziner Dr. Hans-Ulrich Hecker aus Kiel. Sie erklärten anschaulich, wie sich die indische beziehungsweise traditionelle chinesische Ernährungslehre ganzheitlich auf den Menschen ausrichtet. Beiden gemeinsam ist, dass sie im Gegensatz zur westlichen Ernährungswissenschaft keine Standardempfehlungen geben, die für jeden Menschen gelten. Mit der Karnevalsweisheit "Jeder Jeck is? anders", brachte der im Rheinland aufgewachsene Inder Chopra die ayurvedische Sichtweise auf den Punkt. So gehe es in der ayurvedischen Lehre um den Ausgleich zwischen den Kräften (Doshas), die bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt sind. Der so genannte Kapha-Typ, der sich durch einen regen Appetit und die Neigung zu Übergewicht auszeichnet, sollte süße Speisen meiden, weil diese die Energien Vata und Pitta schwächen. Auch die traditionelle chinesische Medizin (TCM) bemüht sich um Ausgeglichenheit, erklärte Dr. Hecker den Zuhörern. Ein Ungleichgewicht der Kräfte Yin (Kälte, Ruhe) und Yang (Hitze, Aktivität) löse Krankheiten aus und schwäche die Lebensenergie Qi. Die Ernährung wirke direkt auf Yin und Yang, so dass sie in der TCM eine besondere Bedeutung besitzt.

Gisela Graf-Scheffl (links), Psychotherapeutin vom Frankfurter Zen-
trum für Ess-Störungen, diskutierte im Anschluss an ihren Vortrag
mit UGB-Geschäftführer Thomas Männle und den Teilnehmern des
Symposiums.

Abnehmen mit Insulin-Trennkost?

Das Ungleichgewicht im Säure-Basen-Haushalt steht im Mittelpunkt der Hay?schen Trennkost, die der Ernährungswissenschaftler Eddie Semler in seinem zweiten Vortrag beleuchtete. Die Trennregel, nach der kohlenhydrat- und proteinreiche Lebensmitteln nicht gemeinsam verzehrt werden sollen, ist bislang wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Doch nach Semler gibt es mit der Insulin-Trennkost einen neuen, fundierten Ansatz für die Hay?schen Theorien. Die neue Form der Trennkost begründete der in Essen praktizierende Internist Dr. Detlef Pape. Er geht davon aus, dass ein hoher Insulinspiegel nach einer kohlenhydrat- und proteinreichen Mahlzeit in eine Insulinfalle mit Übergewicht und metabolischen Störungen führt. Wer Kohlenhydrate am Morgen und Proteine am Abend isst, senke seinen Insulinspiegel in der Nacht und fördere damit den Fettabbau. Abnehmen könne so quasi im Schlaf gelingen. Wissenschaftlich belegt ist diese Hypothese bisher aber nicht.

Schlankmacher: Mehr Wunsch als Wirklichkeit

Der Wunsch zum Abnehmen ist groß. Allein in Deutschland hat die Wirtschaft 16 Millionen Frauen mit leichtem bis mittlerem Übergewicht als Zielgruppe für Diätpillen und -pülverchen ausgemacht. "Die Werbung für Schlankmacher ist wohlklingend, die Produkte aber selten wirkungsvoll," stellte die Diplom-Oecotrophologin Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW nüchtern fest. Die Palette reicht von Wundermitteln wie Fett-weg-Pillen über Enzymhemmer und Quellstoffe bis hin zu illegalen Wirkstoffen wie Sibrotamin. Diese Substanz ist in so genannten chinesischen Schlankheitsmitteln in Dosierungen zu finden, die zu Bluthochdruck führen können. "Alles, was ohne Lebensstiländerung funktionieren soll", warnte Clausen, "ist auf Dauer vermutlich eher wirkungslos."

Warum auch Schlankheitsdiäten keine Lösung für Übergewicht sind, erklärte Gisela Graf-Scheffl, Psychotherapeutin am Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen. Denn oft münden sie in ein zwanghaft kontrolliertes Essverhalten. In der Arbeit mit magersüchtigen und übergewichtigen Frauen geht es ihr deshalb darum, Selbstbewusstsein und Konfliktfähigkeit der Betroffenen zu stärken und die Wahrnehmung für Körper und Psyche zu schulen. Denn Frauen sind leicht zu verunsichern, wenn es um ihren Körper geht. Schlanksein bedeutet in unserer Gesellschaft, Anerkennung zu bekommen. Doch das etablierte Ideal einer schlanken Figur berücksichtigt nicht, dass die Vielfalt an Frauenkörpern mindestens genauso groß ist, wie die Vielfalt an Haar- oder Augenfarben. Ihre Kollegin, Ernährungspsychologin Jocelyne Reich-Soufflet, sieht in Diäten eher Hindernisse. Denn sie bieten keine wirkliche Lösung, weil sie nicht nach der eigentlichen Störung suchen. So liegt das Problem meist nicht in dem, was gegessen wird, sondern wie. Ernährungsberater müssen mit den Klienten gemeinsam für die individuellen Probleme maßgeschneiderte Lösungen suchen. Standardratschläge helfen nicht weiter, denn jeder Mensch is(s)t einzigartig.