UGB-Tagung
Ernährung aktuell
Über 430 begeisterte Teilnehmer, 11 spannende Vorträge und eine brisante Podiumsdiskussion. Das ist das kurz gefasste Resümee der UGB-Tagung, die vom 3.-4. Mai 2013 in Gießen stattfand.
Von Low-carb und Untergewicht, über die vorgeburtliche genetische Prägung von Kindern bis zur Frage nach der Qualität von Biolebensmitteln reichte der ernährungswissenschaftliche Potpourri der Tagung. In rhetorisch gekonnter Weise gab Prof. Claus Leitzmann, Leiter des wissenschaftlichen Beirats der UGB-Akademie, Einblick in die evolutionsbiologische Entwicklung des Menschen hinsichtlich seiner Nahrungsauswahl. Vergleiche mit heute lebenden Fleisch- und Pflanzenfressern sowie Erkenntnisse der paläo-anthropolgischen Forschung ließen erkennen, dass der Mensch physiologisch ein Allesfresser ist. „Eine rein vegetarische Kost liegt nicht in der Natur des Menschen begründet, sondern ist eine kulturell bedingte Erscheinung,“ stellte Leitzmann fest. So habe tierische Kost für die Hirnentwicklung des Menschen eine entscheidende Rolle gespielt. Dennoch könne eine überwiegend pflanzliche Ernährung als artgerecht und somit optimal für die Gesundheit bezeichnet werden. Das gelte um so mehr für den bewegungsarmen Wohlstandsbürger in der industrialisierten Gesellschaft.
Flavonoide: Alleskönner unter den Sekundären Pflanzestoffen
Obwohl die Untersuchungen zu sekundären Pflanzenstoffen in den letzten 20 Jahren geradezu explodiert sind, wissen wir heute immer noch wenig über ihre Wirkung beim Menschen. Derzeit stünden besonders die Flavonoide im Fokus der Forschung, sagte Prof. Bernhard Watzl, Abteilungsleiter des Max-Rubner-Instituts. Sie kämen vor allem in Beeren, Tee, Zitrusfrüchten, Äpfeln und Zwiebeln vor. Eine gute Übersicht über die Substanzgruppe biete die Datenbank: www.phenol-explorer.eu. Flavonoide seien hauptsächlich im Darm aktiv, wo sie antioxidativ wirkten, Enzyme hemmten und die Darmflora beeinflussten. Der Oecotrophologe warnte davor, isolierte sekundäre Pflanzenstoffe über Nahrungsergänzungen aufzunehmen. Sicherer sei es, sekundäre Pflanzenstoffe über eine breite Vielfalt an pflanzlichen Nahrungsmittel aufzunehmen.
Von guten und schlechten Fetten
Über unerwünschte Stoffe in Lebensmittelfetten berichtete Prof. Gerhard Jahreis von der Universität Jena. So entstünden 3-MCPD-Fette und Glycidyl-Fettsäureester bei der Raffination Fetten. Zudem seien sie in frittierten Produkten, aber auch in Säuglingsnahrung nachgewiesen worden. Säuglinge und Männer nähmen deutlich zuviel 3-MCPD-Fette auf, die sich im Tierversuch als krebserregend erwiesen hätten. Die ebenfalls gesundheitsschädigenden Transfettsäuren in Lebensmitteln seien in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Back- und Süßwaren, die mit gehärteten Fetten hergestellt würden, enthielten jedoch noch immer hohe Werte. Darüber hinaus wies der Ernährungswissenschaftler auf den hohen Verzehr an Omega-6-fettsäurereichen pflanzlichen Ölen hin. Dieser erfordere eine höhere Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren. Als Quellen für Omega-3-Fettsäuren kämen neben Fisch bestimmte Öle wie Leinöl und Echiumöl sowie Milch von Kühen, die überwiegend Gras gefressen haben, in Frage. Besonders wirksame Omega-3-Fettsäuren liefere aus Mikroalgen gewonnenes Öl, fasste Jahreis die Forschungsergebnisse zusammen.
„Uns beschäftigt auch der Kampf um die Omega-3-Fettsäuren“, stellte der Diplom-Biologe Philipp Kanstinger vom WWF Hamburg fest. Seit 1960 habe sich der Fischkonsum vervierfacht. Weil die Meere leergefischt seien, boomten heute die Aquakulturen. Sie seien der am stärksten wachsende Zweig der Ernährungsindustrie. „Heute stammt schon jeder zweite Fisch aus Aquakultur“, weiß der Biologe, „90 Prozent davon werden in Asien produziert“. Doch auch Aquakulturen schaden der Umwelt. Der Biologe empfiehlt einmal pro Woche Zuchtfisch mit dem Bio- oder ASC-Siegel, aber nicht mehr als einmal in der Woche Wildfisch, besser weniger.
Bio nicht per se gesund
Bio ist nicht nur bei der Fischhaltung empfehlenswert. Doch „Bio kann nicht als Lösung für alle Probleme dienen wie Welternährung, Klimawandel oder Umweltzerstörung“, betonte Dr. Alexander Beck, stellvertretender Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, BÖLW. Bioanbau wirke sich aber auf all diese Bereiche positiv aus. Auch sei Bio nicht per se gesund. Aber es trage zur Gesundheit der Natur, des Bodens und der Tiere bei und Biolebensmittel seien erheblich geringer mit Pestiziden belastet.
Studien nicht selten Interessengeleitet
Um forschen zu können, ist die Wissenschaft auf sogenannte Drittmittel angewiesen. Häufig stammen diese aus der Wirtschaft. Ob hier noch eine unabhängige Ernährungsforschung möglich ist, diskutierte eine Expertenrunde mit Vertretern aus Wissenschaft und Politik (Foto). Prof. Michael Krawinkel (rechts) von der Universität Gießen verwies darauf, dass heute fast alle Universitäten einen Codex für eine „gute wissenschaftliche Praxis“ geschaffen hätten. Prof. Leitzmann wies dagegen auf eine wissenschaftliche Analyse hin, die zeige, dass die Ergebnisse industriefinanzierter Forschung immer einen Tick besser sei als anders finanzierte. Psychologisch sei es zudem leicht nachvollziehbar, dass Wissenschaftler einen freundlichen Umgang mit ihren Geldgebern pflegten. Auf keinen Fall dürften Wissenschaftler aber Argumente für den Absatz ungesunder Lebensmittel fördern.
Verteidigt wurde die industriefinanzierte Forschung von Dr. Mathilde Kersting, Leiterin des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE) in Dortmund. Die in der Öffentlichkeit kritisierte Auszeichnung gesüßter Kinderlebensmittel mit dem optiMIX®-Siegel ihres Instituts rechtfertigte sie damit, dass Fertiglebensmittel nun einmal zur Lebenswirklichkeit von Kindern gehöre. Hier benötigten Eltern Entscheidungshilfen. „Da bisherige Maßnahmen in der präventiven Verbesserung der Kinderernährung in Deutschland nicht erfolgreich waren, beschreitet das FKE neue Wege,“ argumentierte die Ernährungsforscherin.
Bärbel Höhn (MdB, Bündnis90/Die Grünen) entgegnete hier klar: „Studien wurden und werden systematisch von der Wirtschaft finanziert.“ Die Grünen-Politikerin verwies beispielhaft auf Tabak- und Gentech-Konzerne. Um eine klare Trennung von Wissenschaft und Geldgeberinteressen zu erreichen, forderte sie, einen Teil der Werbeausgaben der Unternehmen in einen Topf für die Ernährungsforschung und Verbraucheraufklärung fließen zu lassen. Lebensmittelkonzerne in der EU hätten allein in die Lobbyarbeit gegen die von Verbraucherschützern geforderte Ernährungsampel rund eine Milliarde Euro investiert. Schon ein geringer Teil hiervon würde ausreichen die Ernährungsforschung unabhängig zu betreiben.
Wissenschaftliche Kost
Dr. Annette Buyken, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der bekannten DONALD-Kinderstudie beantwortete die Frage nach viel oder wenig Kohlenhydraten in der Ernährung. „Bei der Zufuhr der Kohlenhydrate steht klar Qualität vor Quantität“, brachte es die Ernährungswissenschaftlerin auf den Punkt. Aus präventivmedizinischer Sicht sei es aber wenig vorteilhaft, den Gesamtanteil der Kohlenhydrate zu erhöhen. Ob es Sinn mache, abends auf Kohlenhydrate zu verzichten, ließe sich wissenschaftlich nicht belegen. Allerdings sei es aus physiologischer Sicht möglicherweise günstig, da die Insulinausschüttung morgens höher sei und daher morgens Kohlenhydrate besser verwertet würden. Zur Gewichtsreduktion habe sich ein höherer Eiweißanteil durchaus als vorteilhaft erwiesen. Allerdings waren teilweise ungünstige Wirkungen auf die Blutfette zu beobachten. Bei der Umsetzung sollte daher stärker auf die Fettqualität geachtet werden. Der hohe Fleischkonsum in der Low-Carb-Ernährung sei aus ökologischen und gesundheitlichen Gründen bedenklich. Mit einem Mehr an pflanzlichem Protein würde das Konzept besser dastehen.
Untergewichtige Menschen würden mit ihrem Problem oft nicht ernst genommen. Damit lenkte Dr. oec. troph. Petra Ambrosius die Aufmerksamkeit auf ein wenig beachtetes Phänomen. Bedenklich sei, dass zwar nur 1,9 der erwachsenen Frauen untergewichtig seien, aber 10 % der 17-Jährigen. Hier müsse eine klare Abgrenzung zu Essstörungen und anderen Erkrankungen erfolgen. Neben einer erhöhten Infektanfälligkeit könne Untergewicht auch negative Effekte auf das Nervensystem oder die Herzleistung haben.
Faire Beratung für Verbraucher
Damit Verbraucher selbstbestimmt über ihre Gesundheit entscheiden können, benötigen sie qualitätsgesicherte und unabhängige Informationen. „Für den UGB und das Netzwerk Gesunde Ernährung bedeutet eine faire Ernährungsberatung, dass die individuellen Gesundheitsziele des Ratsuchenden im Vordergrund stehen und keine Produktverkaufsinteressen verfolgt werden,“ so Thomas Männle, Hauptgeschäftsführer des UGB. Ziel sei es, über das Netzwerk Beratungskräfte und Fachinstitutionen zu vernetzen, die mehr Transparenz für die Verbraucher schaffen. Faire Kurs- und Beratungsangebote könnten Verbraucher nun über das patentgeschützte Siegel Mitglied im KompetenzNetz fairberaten und die Plattform www.fairberaten.net erkennen. Der Ernährungswissenschaftler lud Berater und Institutionen ein, sich dem Netzwerk und dessen Zielen anzuschließen.
In den Regalen der Supermärkte sind keine Lebensmittel zu finden, die laut Kennzeichnung mit Hilfe von Gentechnik hergestellt wurden. Auch gibt es in Deutschland derzeit weder Freisetzungsversuche noch einen kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen. Trotzdem würden viele Lebensmittel mit Hilfe der Gentechnik hergestellt, insbesondere solche tierischer Herkunft, warnte Alexander Hissting vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e. V. So würden beispielsweise Enzyme zur Herstellung von Käse aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen gewonnen, ohne dass der Käse entsprechend gekennzeichnet werden müsste. „Die größte Kennzeichnungslücke existiert bei Milch, Fleisch und Eiern,“ kritisierte Hissting. Denn die Futtermittel enthielten häufig importiertes Soja, dass zu rund 80 Prozent aus gentechnischem Anbau stamme. Einzig die Kennzeichnung mit dem Biosiegel oder einem Label „Ohne Gentechnik“ garantiere, dass die Tiere GVO-freies Futter bekommen haben. „Alle versprechen der Agrar-Konzerne, mit Hilfe der Gentechnik höhere Erträge, weniger Spritzmittel oder dürreresistente Pflanzen zu schaffen, haben sich nicht bewahrheitet,“ resümierte der Agrarexperte.
Gesundes Essen beginnt im Mutterleib
Wie kompliziert unsere Gene aufgebaut sind, erläuterte der Gynäkologe Dr. Stefan Gieren. Schon im Mutterleib habe die Ernährung Einfluss auf die räumliche Anordnung der Gene und damit ihre Ablesbarkeit. Folsäure könne als sogenannter Methyldonator beispielsweise die Gene zur Entwicklung eines offenen Rückens blockieren. Für diese Wirkungen gebe es nur wenige Zeitfenster in der Entwicklung. So sei das Zeitfenster für den Zuckerstoffwechsel in der 24. Schwangerschaftswoche. Bekomme das Ungeborene hier über die Plazenta zu viel Zucker angeboten, richte es bestimmte Regionen im Gehirn dementsprechend aus. So könne schon die Bauchspeicheldrüse des Ungebornen überstrapaziert werden.
Am besten gegensteuern lässt sich da mit Vollwert-Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit. „Vollwert-Ernährung macht Nahrungsergänzungsmittel überflüssig, aber Nahrungsergänzungsmittel nicht die Vollwert-Ernährung“, lautete das Fazit von UGB-Dozentin Edith Gätjen. Denn prinzipiell könne der höhere Nährstoffbedarf in Schwangerschaft und Stillzeit problemlos mit einer ausgewogenen Ernährung gedeckt werden. Zusätzliche Nährstoffe sollten nur nach einer Analyse des Arztes eingenommen werden.
Text: Kathi Dittrich, Ulrike Becker, Stefan Weigt
Fotos: Laura Bolte, Stefan Weigt