UGB-Tagung in Gießen

Volles Haus trotz Bahnstreik

Rund 450 Ernährungsinteressierte und Fachkräfte kamen am 8. und 9. Mai 2015 in die Aula der Gießener Universität. Von Nährstoffempfehlungen, Nutrigenomics und Glutensensitivität bis zu multiresistenten Erregern und dem umstrittenen Handelsabkommen TTIP standen viele hochaktuelle Themen auf dem Programm.

ugb-tagung 2015

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Gewohnt unterhaltsam eröffnete Prof. Dr. Claus Leitzmann die Tagung mit einer kritischen Betrachtung der Nährstoffempfehlungen. Die Werte sollten stets vorsichtig interpretiert werden, da sie enorme Schwankungsbreiten und Sicherheitszuschläge beinhalten. Gerade Zufuhrempfehlungen für Kleinkinder seien oft sehr hoch angesetzt. Leitzmann gab zu bedenken, dass manchmal auch kommerzielle Interessen dahinter stehen könnten.

"Pflanzliche Lebensmittel liefern nach heutigem Stand der Wissenschaft kein verwertbares Vitamin B12", stellte Dr. Markus Keller, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Forschung der UGB-Akademie, klar. Möglicherweise könnten Algen wie Chlorella oder Nori eine Quelle für Vitamin B12 sein, aber bisher fehlten Humanstudien, die dies bestätigen können. Veganer sollten folglich auf jeden Fall Vitamin B12 ergänzen. Weitere Untersuchungen zeigen, dass auch Vegetarier und ältere Mischköstler oft nicht gut mit Cobalamin versorgt seien, so Keller.

Resistenzen durch Nutztierhaltung

Dr. Sabine Poschwatta-Rupp informierte die Teilnehmer über die aktuelle Bewertung von multiresistenten Erregern. Sie sieht vor allem die Antibiotikagabe in der Tiermast kritisch. Zur Eindämmung von Resistenzen gelte es, die Gesundheit der Tiere in der Nutztierhaltung zu stärken und durch gute Stallhygiene und gezielte Impfprogramme vorzubeugen. Ein gutes Vorbild sei die ökologische Tierhaltung. Hier treten Resistenzen tendenziell seltener auf, so die Humanbiologin.

Das Modell der Postwachstumsökonomie stellte der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Niko Paech schon im vergangenen Jahr vor. Dieses Mal lag der Fokus auf dessen konkreter Umsetzung. Wesentlich sei dabei eine Verlagerung vom Objektwohlstand zum Zeitwohlstand. Diese könne durch die Entrümpelung von Wohlstandsballast sowie der Eigenproduktion und Nutzungsverlängerung von Gütern erreicht werden.

TTIP nützt nur den Konzernen

Die BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning sieht in dem Freihandelsabkommen TTIP eine Abkehr vom vorsorgenden Gesundheitsschutz und eine Aufweichung der hohen europäischen Verbraucherstandards. Benning machte deutlich, dass „über TTIP in erster Linie ein Gewinnwachstum der Konzerne angestrebt wird“. Als wahre Beweggründe hinter TTIP sieht sie das Interesse der Agrarindustrie, die Rohstoffpreise zu senken. Das versprochene Wirtschaftswachstum falle mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von gerade einmal 0,34 Prozent in den nächsten zehn Jahren in Wahrheit verschwindend gering aus.

Spannendes aus der Welt der Genomforschung wusste UGB-Dozentin Johanna Feichtinger zu berichten. So werde derzeit in der Nutrigenomik erforscht, wie sich der individuelle Gencode und Nahrungsbestandteile gegenseitig beeinflussen. Doch obwohl es hier erst wenige Antworten gibt, sind bereits zweifelhafte Genanalysen für Verbraucher in Apotheken oder über das Internet erhältlich. Für 400 Euro und mehr erstellen die Anbieter anhand von Speichelproben eine Analyse bestimmter Gene und leiten daraus individualisierte Ernährungsempfehlungen ab. Die Gießener Ernährungswissenschaftlerin stuft diese Empfehlungen aufgrund der unzureichenden Erkenntnisse als unseriös ein. „Die klassische, personalisierte Ernährungsberatung ist diesen kostspieligen, genbasierten Analysen auf jeden Fall vorzuziehen“, so ihr Fazit.

Dr. Astrid Menne gab den Teilnehmern einen Überblick über die häufigsten Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Eine Laktoseintoleranz aufgrund einer zu geringen Produktion des laktosespaltenden Enzyms Laktase betreffe etwa 16 Prozent der Bevölkerung. Aber auch andere Ursachen könnten zu einer meist vorübergehenden Intoleranz führen. Probleme mit Fruktose und Sorbit könne jeder bei einer sehr hohen Aufnahmemenge bekommen. Eine Kohlenhydratmalassimilation lasse sich aber mittels einer Atemtestung diagnostizieren, so die Ernährungswissenschaftlerin. Für Histaminintoleranz dagegen gebe es bisher keine verlässliche Diagnostik.

Weizen und Gluten werden von immer mehr Menschen gemieden. Dabei sind sie für die meisten weder ungesund noch gefährlich. Prof. Helmut Heseker unterschied deutlich zwischen den Unverträglichkeiten Zöliakie, Weizenallergie und Weizensensitivität. So habe eine glutenfreie Ernährung nur bei einer nachgewiesenen Zöliakie oder Gluten-/Weizensensitivität Vorteile.

Hautkrankheiten und Ernährung

Als Ursache von Hauterkrankungen misst Dr. Astrid Menne der Ernährung eher eine untergeordnete Rolle bei: „Meist ist die Ernährung in der Behandlung nur ein Co-Faktor.“ Vielmehr spielten erbliche Anlagen und Autoimmunreaktionen die entscheidende Rolle. Bei rund 30 Prozent der Patienten mit Neurodermitis würden die Beschwerden durch Lebensmittel ausgelöst, bei Nesselsucht seien es dagegen nur etwa 1-2 Prozent. Ferner gebe es bei Akne keinerlei gesicherten Hinweise, dass eine Diät zur Besserung beitrage.

Die Möglichkeiten für ein nachhaltiges Speisenangebot in der Gemeinschaftsverpflegung stellte der Oecotrophologe Rainer Roehl vor. Dabei sei die Wirtschaftlichkeit die Basis, um ein attraktives, gesundheitlich wertvolles Bio-Angebot zu erreichen. „Viele Kantinen sind hoch motiviert, ihren Gästen ein verbessertes Angebot zu machen“, so der GV-Berater. Doch neben Umstellungen bei Einkauf-, Rezept- und Speisenplanung seien auch die Strukturen und Prozesse in den Betrieben in Angriff zu nehmen. Nicht zuletzt bräuchten die Köche entsprechende Aus- und Weiterbildungen, um schmackhafte und wirtschaftlich vertretbare Essensangebote machen zu können. Das größte Potenzial sieht Roehl dabei in der schleichenden Einführung vegetarischer Gerichte und die Verringerung des Fleischanteils.

Nachhaltige Ernährung

Wie man mit Messer und Gabel Umweltschutz betreiben kann, erläuterte Agrarexperte Dr. Toni Meier von der Universität Halle-Wittenberg. Verschiedene wissenschaftliche Szenarien zeigten deutlich, dass technologische Innovationen nicht ausreichen werden, die wachsende Bevölkerung mit Nahrung zu versorgen. Die Menschen müssten ihre Essgewohnheiten ändern. Weniger tierische Lebensmittel seien der wirkungsvollste Ansatz, unterstrich Meier.

„Alle Pestizide verbieten!“, forderte Prof. Dr. Gerold Rahmann, um die Artenvielfalt auf der Erde zu erhalten. In Deutschland gebe es noch immer keine Veränderungen im Pestizidverbrauch und das Arten­sterben gehe weiter. Es gebe keine Alternative zum Öko-Landbau. Trotz Schwächen sei er weltweit die beste Option, auch um Entwicklungshilfe zu leisten. Die Teilnehmer forderte der Ökologieexperte auf: „Esst mehr Vielfalt“. Trotz des Bahnstreiks an dem Wochenende waren die Plätze in der Aula der Gießener Universität restlos gefüllt. Im nächsten Jahr wird die UGB-Tagung bereits am 29.-30. April 2016 stattfinden.

UB/FI/SW