UGB-Tagung 2023 in Gießen: Großes Wiedersehen

Nach vier Jahren Pause konnten UGB-Präsidentin Edith Gätjen und Hauptgeschäftsführer Thomas Männle wieder rund 250 Teilnehmer:innen zur Jahrestagung des UGB in Gießen begrüßen. In zahlreichen Vorträgen wurde am 12. und 13. Mai 2023 über neueste Forschungsergebnisse berichtet und deren Bedeutung für die Beratung und Ernährungspraxis diskutiert.

Zum Einstieg gab Dr. Margareta Büning Fesel, seit Juni Präsidentin der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Impulse für die Ernährungsberatung. Schon lange gehe es in der Beratung nicht mehr allein um Nährstoffe, sondern viel mehr um die Motivation zur Verhaltensänderung. Beratungskräfte müssten dazu vor allem gewünschtes Verhalten mit angenehmen Gefühlen verknüpfen und die Selbstwirksamkeit der Klient:innen unterstützen. Letztlich sei es auch Aufgabe der Politik, hierfür die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie versprach, sich im Rahmen ihrer neuen Funktion für die notwendige Transformation von Landwirtschaft und Ernährung stark zu machen.

Als Schlüssel zur Veränderung in der Gesundheitsförderung sah Dr. Karolin Höhl vor allem den Genuss. „Menschen essen, was sie mögen, und meiden den Rest“, so die Heidelberger Ernährungswissenschaftlerin. Sie riet Beratungskräften daher, ein Genusstraining in ihre Beratungskonzepte zu integrieren. Risiko durch ultra-verarbeitete Lebensmittel

Als Instrument zur gesundheitlichen Bewertung verarbeiteter Lebensmittel stellte Ernährungswissenschaftler Hans-Helmut Martin das NOVA-Klassifizierungssystem vor. So konnten Studien anhand des NOVA-Systems signifikante Zusammenhänge zwischen dem Verarbeitungsgrad von Lebensmitteln und dem Risiko für Erkrankungen wie Adipositas, koronare Herzkrankheiten, Diabetes oder Reizdarm ermitteln. Auch wenn die NOVA-Klassifizierung vereinzelte Schwächen aufweise, trage sie dazu bei, die gesundheitlichen Auswirkungen ultra-verarbeiteter Lebensmittel deutlich zu machen, so der UGB-Dozent.

Live zugeschaltet wurde Prof. Dr. Klaus Günther von der Universität Bonn. Er präsentierte neue Erkenntnisse rund um das Spurenelement Eisen und räumte mit dem Vorurteil auf, dass pflanzliche Lebensmittel weniger Eisen enthielten und dieses schlechter verfügbar sei als aus tierischen Produkten. Über einen neu entdeckten Transportmechanismus sei die Speicherform des Eisens, das Ferritin, auch aus pflanzlichen Lebensmitteln durchaus verfügbar. Dieser sogenannte Ferritin-Port zeige, dass pflanzliches Eisen viel wertvoller sei als bislang angenommen.

Von der zellbiologischen Ebene zum globalen Klima- und Gesundheitsschutz ging es beim Vortrag von Dr. Lisa Pörtner von der Charité Berlin. Krankheitsbedingt wurde der Vortrag als Video in den Tagungssaal übertragen. Die Ausführungen der Ernährungsmedizinerin machten deutlich, wie eng Klimaveränderungen und unsere Gesundheit zusammenhängen. Ernährung stelle dabei ein wichtiges Schlüsselthema dar.

Überraschendes über Speisepilze

In einem erfrischenden Vortrag machte Ernährungswissenschaftler Artem Sarafanov von der UGB-Akademie den Teilnehmer:innen Appetit auf Speisepilze. Von den rund 3000 essbaren Pilzen würden nur zehn Sorten kommerziell angebaut. Dabei lieferten Pilze einige wertvolle Inhaltsstoffe wie Vitamin D oder Ergothionein. Dieser hitzestabile sekundäre Pflanzenstoff wirke antioxidativ und zeige in einer Meta-Analyse eine möglicherwiese krebsvorbeugende Wirkung.

Neue Forschungsergebnisse zu den Advanced Glycation Endproducts, den sogenannten AGEs, präsentierte Ernährungswissenschaftlerin Jacqueline Veit. Diese nicht mehr abbaubaren Verbindungen förderten unter anderem Entzündungs- und Alterungsprozesse und wirkten so gesundheitsschädlich. AGEs entstehen zum einen im Stoffwechsel, was durch fettreiche Ernährung, oxidativen Stress und chronische Entzündungen begünstigt werde. Zum anderen würden sie besonders über tierische Lebensmittel mit hohem Fett- und Proteingehalt aufgenommen. Aber auch stark verarbeitete Lebensmittel seien reich an AGEs, warnte die UGB-Dozentin (siehe auch UGBforum 1/23).

Currywurst schützt nicht vor Alzheimer

Prof. em. Helmut Heseker von der Universität Paderborn verdeutlichte die oft erhebliche Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Fakten und der öffentlichen Wahrnehmung. In den Massenmedien und sozialen Netzwerken ließen sich gerade abstruse Ernährungsmeldungen wie „Currywurst schützt vor Alzheimer“ gut verkaufen. Er überraschte mit deutlichen Worten, dass auch Pressemeldungen von Universitäten in die Irre führen könnten. Als Folge blieben Verbraucher:innen und selbst Fachkräfte verunsichert zurück und zweifelten an der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Hilfreich seien nur Fachkompetenz, gesunder Menschenverstand sowie unabhängige Institutionen wie der UGB.

Strategien, wie sich der Anteil an frisch zubereiteten Lebensmitteln in der Gemeinschaftsverpflegung steigern lässt, stellte der Vollwertkoch Herbert Thill vor. Dazu müsse das ganze Küchenteam in die Umstellung einbezogen werden. Zugleich plädierte der Küchenleiter des Seminarzentrums fünfseenblick dafür, den Fleischanteil zu reduzieren. Mit einer Zubereitung aus frischen Lebensmitteln und eine ansprechende Präsentation ließen sich auch Fleischliebhaber von Gemüsegerichten überzeugen.

Dass in einem reichen Land wie Deutschland etwa drei Millionen Menschen von Ernährungsarmut betroffen sind, prangerte Silvia Monetti von der Verbraucherzentrale Düsseldorf an. Es gebe hierzulande keinen Wettbewerb im Lebensmittelhandel und überhaupt keine Preistransparenz, kritisierte die Verbraucherschützerin. Ernährungsbildung sei ein wichtiger Ansatz, brauche aber viel Zeit. Sie forderte auch direkte finanzielle Unterstützung einkommensschwacher Menschen.

Kinder zum Flirten mit dem Essen animieren

Eltern, Erzieher:innen und Berater:innen haben Vorstellungen, was Kinder essen „sollen“. Doch das ist meist nicht das, was Kinder „wollen“, so die Systemische Familientherapeutin Edith Gätjen. Damit sich die Erwartungen der Erwachsenen und die Bedürfnisse der Kinder annähern, brauche es Wissen über die Entwicklung des intuitiven kindlichen Essverhaltens. Eltern sollten ihren Kindern Sicherheit geben und „zum Flirten mit dem Essen animieren“, statt Druck mit Ge- oder Verboten zu erzeugen.

Coach Dr. Norbert Thiedemann aus Gießen schärfte das Bewusstsein von Beratungskräften für die Bedürfnisse ihrer Klient:innen. Diese müssten Vertrauen aufbauen können und ihnen dürfe nichts abverlangt werden, was sie nicht leisten könnten. Ganz wichtig sei das Konzept der Würdigung, um die Klient:innen abzuholen und in die Selbstverantwortung zu führen. Anweisungen würden ungern befolgt, daher sei es ratsam, auf Fragetechniken zu setzen, damit Ratsuchende ihren eigenen Weg finden.

Strahlende Gesichter, herzliche Umarmungen und ausgedehntes Plaudern in den Pausen zeugten von der großen Freude aller Beteiligten, endlich wieder persönlich zusammentreffen zu können. 2024 findet die UGB-Tagung am 3.-4. Mai in Gießen statt.

Bild © UGB

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ABC für gesunde Kinderkost Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 3/2023
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