Fette auf der Anklagebank

Unter Ernährungsfachkräften hat sich Unsicherheit breit gemacht. Die Empfehlungen zur Fettzufuhr seien überholt und entsprächen nicht dem aktuellen Stand der Forschung. Ernährungswissenschaftler Professor Stefan Lorkowski hat sich als Anwalt der Fette auf die Suche nach gesicherten Erkenntnissen begeben.

Die Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die für die gesunde Allgemeinbevölkerung gelten, werden immer wieder kritisch diskutiert. Laut DGE soll der tägliche Energiebedarf gedeckt werden durch 30-35 Prozent Fett, mindes­tens 50 Prozent Kohlenhydrate und 0,8 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht. So gilt in der Praxis eine Proteinzufuhr von 15 Prozent der zugeführten Energie (En%) als akzeptabel. Die mit der Nahrung aufgenommene Energie soll dabei insgesamt dem Bedarf entsprechen. Für Fett und Kohlenhydrate lässt sich kein durchschnittlicher Bedarf ermitteln. Dementsprechend gibt die DGE für beide Makronährstoffe lediglich Richtwerte als Orientierungshilfen an.

Ziel der begrenzten Fettaufnahme ist eine geringere Energiezufuhr und -dichte, um das Risiko für Adipositas zu reduzieren. Zudem hält diese Beschränkung die Zufuhr gesättigter Fettsäuren in Grenzen und sorgt für eine ausreichend hohe Zufuhr pflanzlicher Lebensmittel. Seit etlichen Jahren wird jedoch der hohe Kohlenhydrat­anteil moniert und eine Erhöhung der Fettzufuhr gefordert.

Bisherige Empfehlungen

Wissenschaftler haben in der Prospective Urban Rural Epidemiology Study (PURE) die Ernährungsgewohnheiten von 135.335 Erwachsenen aus fünf Kontinenten erhoben. Das Forscherteam untersuchte den Zusammenhang der Fett- und Kohlenhydratzufuhr mit der Gesamtsterblichkeit (Mortalität) und schweren kardio­vaskulären Erkrankungen wie Bluthochdruck, Verengung der Herzkranzgefäße oder Herzinfarkt. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine Ernährung mit einem moderaten Fettanteil von etwa 35 En% mit dem geringsten Mortalitätsrisiko einhergeht und die Sterberate bei einer Ernährung mit einem Kohlenhydratanteil von über 60 En% erhöht ist.

Die Ergebnisse der Atherosclerosis Risk in Communities Study (ARIC) bestätigen diese Beobachtung. Hier erforschten die Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen der Zufuhr von Kohlenhydraten und der Mortalität an 15.428 US-amerikanischen Erwachsenen im Alter von 45 bis 64 Jahre mit einer mittleren Nachbeobachtung von 25 Jahren. Eine Kohlenhydratzufuhr von 50 bis 55 En% war mit dem geringsten Mortalitätsrisiko verbunden. In einer von den Autoren durchgeführten Meta-Analyse mit 432.179 Erwachsenen ergab sowohl eine niedrige (< 40 En%) als auch eine hohe Kohlenhy­dratzufuhr (> 70 En%) ein höheres Sterberisiko als eine moderate Zufuhr. Die Ergebnisse variierten abhängig von der Herkunft der Makronährstoffe: Die Mortalität war erhöht, wenn überwiegend tierisches Fett oder Protein aufgenommen wurde, und war erniedrigt bei vorwiegend pflanzlicher Herkunft.

Anders als vielfach in den Medien und von einigen Fachleuten kolportiert, unterstützen die Daten der PURE- und der ARIC-Studie eher die bisherigen Empfehlungen der DGE für die Energiezufuhr aus Kohlenhydraten und Fett, als ihnen zu widersprechen. Tatsächlich deuten aber aktuelle Studien darauf hin, dass Abweichungen von den geltenden Empfehlungen zur Nährstoffrelation durchaus unter bestimmten Bedingungen möglich sind.

Auf die Fettqualität kommt es an

Forscher werteten zudem epidemiologi­sche Daten von 37.233 US-amerikanischen Erwachsenen im mitt­le­ren Alter von knapp 50 Jahren aus. Sie untersuchten den Zusammenhang zwischen Anteil und Qualität der zugeführten Kohlenhydrate und Fette mit der Sterberate. Es zeigte sich, dass weder eine kohlenhydrat- noch eine fettreduzierte Ernährungsweise per se die Sterblichkeit beeinflusste. Aber sowohl bei einer low-carb- als auch einer low-fat-Kost zeigten ungesunde Varianten eine erhöhte und gesunde eine niedrigere Sterblichkeitsrate. Eine gesunde Kost definierten die Autoren durch hohe Anteile an komplexen Kohlenhydraten mit hohem Ballaststoffgehalt, pflanzlichem Protein und ungesättigten Fetten. Die ungesunde Variante war durch hohe Anteile an einfachen Kohlenhydraten, tierischem Protein und gesättigten Fetten charakterisiert. Nach dieser Studie kommt es weniger auf die Relation der zugeführten Kohlenhydrate und Fette an, sondern vielmehr auf die Qualität und die Herkunft dieser Makronährstoffe.

Studiendaten stützen bisherige Empfehlungen

Für die Energiezufuhr aus Kohlenhydraten und Fetten veröffentlichte die DGE bereits vor zehn Jahren ein wichtiges Positionspapier. In diesem wird dargelegt, dass die Richtwerte lediglich Orientierungswerte für die praktische Umsetzung einer ausgewogenen Ernährung darstellen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist ein Unterschreiten des Richtwerts für Kohlenhydrate von über 50 Energieprozent in Verbindung mit einer höheren Aufnahme von Fett und/oder Protein vertretbar, wenn:alle unentbehrlichen Nährstoffe (Vitamine, Mineralstoffe, bestimmte mehrfach ungesättigte Fettsäuren) in ausreichender Menge zugeführt werden, Ballaststoffe aus Getreide einen wesentlichen Anteil an der Ballaststoffzufuhr haben und hauptsächlich Vollkornprodukte verzehrt werden, die Zufuhr von gesättigten Fettsäuren und Transfettsäuren nicht erhöht wird und zusätzlich verzehrtes Protein aus pflanzlichen Quellen stammt und nicht aus einem erhöhten Verzehr von Fleisch, besonders nicht von rotem Fleisch.

Wichtig im Kontext einer kohlenhydratbetonten Kost ist die DGE-Empfehlung, Kohlenhydrate möglichst in Form von ballaststoffreichen Lebensmitteln wie Gemüse, Obst und vor allem Vollkorn zu konsumieren. Aufgrund der aktuellen Literatur ist festzuhalten, dass die Empfehlungen zur Nährstoffrelation weiterhin als gesundheitsförderliche Ernährungsweise anzusehen sind. Zugleich sind sie auch ausreichend flexibel und erlauben Abweichungen in der Nährstoffrelation unter den genannten Voraussetzungen, die durch entsprechende Studiendaten unterstützt werden.

Gesättigte Fette: Unsichere Datenlage

Die DGE empfiehlt eine Begrenzung der Zufuhr von gesättigten Fettsäuren für Gesunde auf unter 10 En%; die European Society of Cardiology und die European Atherosclerosis Society empfehlen bei Hypercholesterolämie sogar eine Begrenzung auf unter 7 En%. Seit etlichen Jahren streiten sich wissenschaftliche Gruppierungen über die Bedeutung der gesättigten Fette für die kardiovaskuläre Gesundheit. Zwar haben einige Meta-Analysen keinen Zusammenhang zwischen der Zufuhr gesättigter Fettsäuren und kardiovaskulären Erkrankungen aufzeigen können, andere Studien aber schon.

Sehr aktuell ist eine Cochrane-­Meta-Analyse und Meta-Regressionsanalyse mit insgesamt 56.675 Erwachsenen. In diesen Studien ging eine verminderte Zufuhr von gesättigten Fettsäuren mit weniger kardiovaskulären Ereignissen einher. Die Zahl der kardiovaskulären Erkrankungen reduzierte sich umso stärker, je niedriger die Zufuhr an gesättigten Fettsäuren und damit auch die Höhe des Serumcholesterols war. Diese Dosisabhängigkeit erklärt auch die Heterogenität der Studiendaten.
Die Zufuhr von gesättigten Fettsäuren zeigte allerdings keinen Einfluss auf die kardiovaskuläre Sterblichkeit oder die Gesamtsterblichkeit. Des Weiteren fanden die Studienautoren nur kleine oder gar keine Effekte einer Reduktion der gesättigten Fette auf das Auftreten nicht-tödlicher Herzinfarkte oder die Sterblichkeit durch koronare Herzerkrankungen.

Gesamtzufuhr an Fett begrenzen

Alles in allem ist die Datenlage zur Bedeutung gesättigter Fettsäuren für kardiovaskuläre Erkrankungen eher unbefriedigend, zumal hinsichtlich ihrer physiologischen Wirkung nicht alle gesättigten Fettsäuren gleich zu bewerten sind. Dies wird in den meisten Studien nicht berücksichtigt. Unbestritten ist jedoch: Die Zufuhr bestimmter langkettiger gesättigter Fettsäuren mit 12, 14 und 16 Kohlenstoffatomen (Laurinsäure, Myristinsäure und Palmitinsäure) beeinflusst das LDL-Cholesterol nennenswert und dosisabhängig. Damit stellen sie einen kausalen Faktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar. Dies allein rechtfertigt auch weiterhin die Empfehlung, die Zufuhr dieser langkettigen gesättigten Fettsäuren sowohl bei gesunden und erst recht bei Patienten mit Hypercholesterolämie zu limitieren. Allein das Risiko, dass bestimmte gesättigte Fettsäuren über ihren Einfluss auf das LDL-Cholesterol das Risiko für Herz-Kreislauf-­Erkrankungen erhöhen könnten, ist unter dem Aspekt der Sicherheit als Begründung ausreichend, solange die Datenlage nicht besser ist.

Cholesterol: Moderate Zufuhr empfehlenswert

Auch die Bedeutung von Nahrungscholesterol und Eierverzehr für die Gesundheit wird lebhaft diskutiert. Nachdem Nahrungscholesterol und Eier aufgrund fehlender Assoziationen in Meta-Analysen für viele Jahre quasi freigesprochen worden sind, haben Studien der letzten Zeit die Diskussion erneut befeuert.
2019 untersuchten US-Forscher 29.615 Erwachsene mit einer Nachbeobachtung von 17,5 Jahren auf den Zusammenhang von Nahrungscholesterol und Eierverzehr mit dem Auftreten verschiedener kardiovaskulärer Erkrankungen und der Gesamtsterblichkeit. Sowohl Nahrungscholesterol als auch der Verzehr von Eiern erhöhten dosisabhängig das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und die Gesamtsterblichkeit. Eine weitere Studie an 20.562 gesunden Männern und Frauen ergab, dass der Verzehr von mehr als vier Eiern pro Woche das Sterberisiko im Beobachtungszeitraum von 8,2 Jahren um 50 Prozent erhöhte im Vergleich zu einem niedrigen Verzehr von höchstens einem Ei pro Woche. Das Risiko an Krebs oder an einer kardiovaskulären Erkrankung zu sterben, erhöhte sich durchschnittlich um 75 beziehungsweise um 52 Prozent. Auch der Verzehr von zwei bis vier Eiern pro Woche ging mit einem erhöhten Risiko für die Gesamtsterblichkeit (22 Prozent) und die kardiovaskuläre Sterblichkeit (43 Prozent) einher. Bei Erwachsenen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko (Hypertonie, Hyperlipidämie) steigerte bereits der Verzehr von einem Ei pro Woche das Sterberisiko. Eine weitere Meta-Studie mit 521.120 US-Amerikanern von 2021 bestätigt diese Ergebnisse.

Abhängig von Kohorte und Methodik fanden andere Studien aber wiederum keine Assoziationen. Beispielsweise ergab eine Auswertung der Ernährungserhebungen von 146.011 Erwachsenen aus 21 Ländern im Rahmen der PURE-Study keine Unterschiede eines hohen Verzehrs von Eiern im Vergleich zu einem niedrigen. Ebenso ergaben sich für die 31.544 Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung aus zwei multinationalen prospektiven Studien keine Zusammenhänge zur Sterblichkeit oder schweren kardiovaskulären Ereignissen.
Alles in allem spricht die aktuelle Datenlage auch im Fall von Nahrungscholesterol und Eierverzehr wie bei den langkettigen gesättigten Fettsäuren eher dafür, weiterhin nur einen moderaten Verzehr im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung zu empfehlen, um möglichen Gesundheitsrisiken vorzubeugen.

Fazit

Die Evidenz, also der wissenschaftlich gesicherte Nachweis für die aktuellen Empfehlungen zu Nährstoffrelationen, Nahrungscholesterol und Eiern sowie gesättigten Fetten, ist wenig befriedigend. Die in einigen Studien gezeigte Dosisabhängigkeit der Effekte spricht jedoch eher für einen Einfluss dieser Faktoren auf die Gesundheit. Ferner sind einzelne Studien, in denen kein Zusammenhang zwischen diesen Ernährungsfaktoren und Erkrankungen oder Sterblichkeit beobachtet wurde, kein Beleg für einen fehlenden Zusammenhang. Wie der amerikanische Astrophysiker Carl Sagan bereits sagte: „The absence of evidence is not the evidence of absence.“

Unabhängig davon ist zu konstatieren, dass weitere und bessere Studien notwendig sind, um die Empfehlungen der Fachgesellschaften wissenschaftlich noch sicherer zu untermauern. Aber auch wenn wir uns eine validere Evidenz wünschen, wir können nur das Beste aus den vorhandenen Daten machen. Angesichts möglicher gesundheitlicher Gefahren sollte zur Sicherheit besser weiterhin Vorsicht walten. Für Ernährung gilt eben nicht „im Zweifel für den Angeklagten“.

Literaturangaben

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Stichworte: Fette, Fettzufuhr, Fettleitlinie, Cholesterin, Triglyceride, Energiezufuhr, Energiebedarf, Low-Carb, Leitlinien


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UGBforum 3/2021
Diabetes – Blutzucker im Griff


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