Botanicals: Die große Gesetzeslücke

Wermut gegen Blähungen, Ephedrakraut zum Abnehmen oder Erdstachelnuss bei Potenzstörungen. Botanicals mit exotischen, angeblich gesundheitsförderlichen Pflanzen boomen. Doch meist sind weder die Wirkung noch die gesundheitliche Unbedenklichkeit dieser Nahrungsergänzungen amtlich geprüft.

Nahrungsergänzungsmittel mit Pflanzen-, Algen-, Pilz- oder Flechtenextrakten erfreuen sich großer Beliebtheit. In der Regel erwarten sich die Käufer von sogenannten Botanicals eine positive gesundheitliche Wirkung. Oft gehen sie davon aus, dass Beschwerden gelindert oder Erkrankungen sogar geheilt würden. Die Anbieter werben mit der „Natürlichkeit“ und lassen den Eindruck entstehen, dass die Präparate deshalb auch sicher seien. Doch das ist ein Trugschluss.

Überprüfung Fehlanzeige

Nicht immer handelt es sich um harmlose Kräutermittel. Häufig verbergen sich unerforschte und teilweise giftige Substanzen dahinter. Das Problem: Für diese Zutaten braucht man keine amtliche Zulassung. Deshalb prüft keine Behörde, wie die Präparate wirken und ob sie gesundheitlich unbedenklich sind, bevor sie auf den Markt kommen.

Lediglich 18 bedeutende Pflanzen hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf ihre Schädlichkeit hin wissenschaftlich bewertet. Acht davon wurden als gesundheitsgefährdend eingestuft, darunter Färberkraut, Eisenhutarten oder Adonisröschen. Noch immer fehlen gesetzliche Verbotslisten für solche Pflanzenstoffe in freiverkäuflichen Präparaten. In der Europäischen Union sind lediglich Ephedra-Kraut und Yohimbe verboten. Bei allen anderen Pflanzenstoffen oder Pflanzenzubereitungen sind Hersteller und Vertreiber für die Sicherheit verantwortlich.

Paradoxe Rechtslage

Warum dürfen so fragwürdige Produkte beworben und verkauft werden? Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel und unterliegen daher keiner Zulassungspflicht. Ob sie sicher sind und wirken, prüfen die Behörden nur stichprobenartig, wenn die Produkte bereits auf dem Markt sind. Die deutsche Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung basiert auf der EU-Richtlinie 2002/46/EG. Darin werden lediglich die erlaubten Vitamin- und Mineralstoffverbindungen geregelt. Höchstmengen und Regelungen für sonstige Stoffe mit ernährungsphysiologischer Wirkung wie Aminosäuren, Fettsäuren oder eben Pflanzenstoffe fehlen. Seit fast 20 Jahren kann man sich darüber auf europäischer Ebene nicht einigen.

Zusätzlich gilt seit 2006 in der EU die Health-Claims-Verordnung. Danach sind alle gesundheitsbezogenen Aussagen über Lebensmittel, Nährstoffe und andere Inhaltsstoffe verboten, wenn sie nicht ausdrücklich erlaubt sind. Womit geworben werden darf, steht in einer Positivliste. Leider gelten die zugelassenen Aussagen fast nur für Vitamine und Mineralstoffe. Für Pflanzenextrakte gibt es bisher keine Vorgaben. Die Hersteller stützen sich daher oft auf allgemein akzeptierte wissenschaftliche Erkenntnisse – die aber nicht produktbezogen sind und keinen positiven Wirkungsnachweis für Gesunde erbringen. Mangels ausreichender Kontrolle wird so – vor allem im Internet – mit etlichen nicht belegten Wirkversprechen geworben.

Nahrungsergänzung oder Arznei?

Knoblauch wird sowohl als Nahrungsergänzungsmittel als auch als Arzneimittel angeboten. Traditionelle Arzneimittel werden, anders als normale Arzneimittel, nicht auf ihre Wirkung geprüft, sondern ausschließlich auf Grund langjähriger Anwendung zugelassen. Bei Nahrungsergänzungsmitteln mit Knoblauch ist das nicht der Fall. Sie sind anders als Arzneimittel nicht standardisiert, werden aber ebenfalls in Form von Tabletten, Kapseln oder Saft meist in Kombination mit anderen Zutaten, wie Aronia, gepressten Zitrusfrüchten, Mistel, Weißdorn oder Olive angeboten. In den Augen der Verbraucher sind sie scheinbar ebenso gut wie die traditionellen Arzneimittel.

Für über 2000 beantragte Aussagen über pflanzliche Stoffe liegen inzwischen Bewertungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vor. Diese sind aber bisher nicht veröffentlicht („claims on hold“). Es ist nämlich zum einen schwierig, Nahrungsergänzungsmittel anhand der pharmakologischen Wirkung von Arzneimitteln abzugrenzen. Zum anderen ist die Rechtslage außerordentlich komplex. So muss für traditionelle Arzneimittel kein Wirkungsnachweis vorliegen (siehe Kasten). Eine strengere Regelung für Nahrungsergänzungen halten die Verbraucherzentralen dennoch für sinnvoll und fordern neben den verbindlichen Positivlisten für Pflanzenstoffe eine der bisherigen Health Claim-Bewertung ebenbürtige Beurteilung der Botanicals.

Rechtliche Regelungen dringend notwendig

Aus Sicht des gesundheitlichen Verbraucherschutzes muss die Gesundheitswerbung für Pflanzenstoffe natürlich genauso geregelt werden wie für alle anderen Stoffe und Zutaten in Lebensmitteln. Die Hersteller sollten der EFSA also einen Wirkungsnachweis zur Prüfung vorlegen müssen. Darüber hinaus hat eine Sicherheitsbewertung aller verwendeten Pflanzenstoffe zu erfolgen, ob sie als Lebensmittel geeignet sind.

In Deutschland gibt es zwar seit 2014 eine „Stoffliste des Bundes und der Bundesländer für Pflanzen und Pflanzenteile“. Allerdings dient sie nur zur Einschätzung der deutschen Behörden und hat keinerlei Rechtsverbindlichkeit. Bislang muss die mangelnde Sicherheit von Botanicals also in jedem Einzelfall explizit von der Überwachungsbehörde nachgewiesen werden, um ein Präparat vom Markt zu nehmen. Außerdem sind Höchst- und gegebenenfalls Mindestmengen für Nähr- und sonstige Stoffe festzulegen, damit Überdosierungen vermieden werden können. Nach dem Vorbild der Meldestelle für Arzneimittelnebenwirkungen ist auch ein ähnliches System für die Erfassung von unerwarteten (Neben-)Wirkungen von Nahrungsergänzungsmitteln einzurichten. Diese sollte nicht nur für Apotheker, sondern auch für Verbraucher erreichbar sein.

Hersteller und Verbraucher schützen

Dass dies alles sehr realistische Vorstellungen sind, zeigen diverse EU-Mitgliedstaaten. So haben zum Beispiel Belgien, Frankreich, Polen oder Tschechien bereits Höchstmengen, Listen zugelassener Pflanzen und ähnliche Regelungen verbindlich in nationales Recht umgesetzt. Es wäre wünschenswert, wenn die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 neuen Schwung in die Verhandlungen für eine EU-einheitliche Lösung bringen würde. Falls das keinen Erfolg hat, brauchen wir dringend nationale Regelungen. Das hilft seriösen Herstellern und Händlern, erleichtert die Arbeit der Lebensmittelüberwachung in Deutschland und bietet Verbrauchern die nötige Lebensmittelsicherheit.

Bild © E.V. Koifman/123RF.com

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Stille Entzündungen – heimliche Gefahr Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 3/2020
Stille Entzündungen – heimliche Gefahr


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