Essen in den sozialen Medien
Blogger, YouTuber und andere sogenannte Influencer scharen in den sozialen Medien ein Millionenpublikum um sich. Das Thema Essen steht dabei ganz weit oben – und findet weitgehend ohne kompetentes Ernährungswissen statt. Ernährungsexperten vernachlässigen die Kommunikation in den sozialen Medien bislang sträflich.
Das Internet ist mittlerweile konstruktiver Bestandteil unserer Medienlandschaft geworden. Während im Jahr 2000 noch 28,6 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren das Internet gelegentlich nutzten, waren es Ende 2017 bereits knapp 90 Prozent. Ebenso stieg damit die Bedeutung sozialer Medien. Wikipedia hat beispielsweise mit über 2,1 Millionen enzyklopädischen Artikeln in deutscher Sprache achtmal mehr Einträge als der aktuelle Brockhaus.
Tageszeitungen bald nur noch ein Randphänomen
Einen großen Teil der sozialen Medien machen die von Nutzern selbst generierten Inhalte in den sogenannten Wikis aus. Hinzu kommen die Online-Communities wie LinkedIn, Facebook oder Instagram. Sie ermöglichen es den Nutzern, ein eigenes Profil zu gestalten und mit anderen Nutzern auf verschiedene Arten in Kontakt zu treten. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom ergab, dass in Deutschland bereits neun von zehn Internetnutzern über 14 Jahren in solchen Netzwerken angemeldet sind. Insgesamt nutzen 38 Millionen aktiv die sozialen Netzwerke.
Allein auf Facebook sind 32 Millionen Menschen in Deutschland unterwegs, 22 Millionen sogar täglich. Damit erzielt Facebook eine größere Reichweite als die drei größten Tageszeitungen Deutschlands zusammen. Viele Menschen, insbesondere diejenigen, die nicht mit dem Internet aufgewachsen sind, sehen soziale Medien immer noch als Randphänomen an. Die sozialen Medien beeinflussen mittlerweile allerdings einen Großteil der medialen Wahrnehmung. Insbesondere die jüngere Generation betrachtet vielmehr die Tageszeitung im Print-Format als Auslaufmodell.
Prosumer: Nutzer gestalten die Inhalte
Mit dem Aufkommen der sozialen Medien änderte sich grundsätzlich die Art und Weise, wie Informationen produziert und verbreitet werden. Während früher die ganze Familie nach Feierabend vor dem Fernseher unterhalten wurde, findet Mediennutzung heute zunehmend „anyplace, anytime, anywhere“ statt. Dabei steht die Selbstbestimmtheit des Nutzers im Mittelpunkt. Bei traditionellen Printmedien entscheidet der Redakteur, welche Artikel gedruckt werden und welche nicht (Gatekeeper-Funktion). In den sozialen Medien kann grundsätzlich der Nutzer entscheiden, wann er welche Informationen erhält und vor allem kann er die Medien selbst mitgestalten. Der passive Konsument wird zum Prosumer, also zum Produzent und Konsument zugleich. Zudem findet eine Demokratisierung des Wissens statt. Wissen soll möglichst allen zugänglich gemacht werden und alle sollen ihr Wissen teilen können.
Expertenmeinung heute nicht mehr gefragt
Für die Ernährungskommunikation ändert sich damit Grundlegendes. Expertenwissen verliert gegenüber dem Alltagswissen an Bedeutung. In sozialen Medien zählt die eigene Geschichte, die man erlebt hat, mehr als wissenschaftliche Studien. Nutzer fordern auch mehr Partizipation an Ernährungsthemen. Sie nehmen Informationen oder Ernährungsempfehlungen nicht mehr einfach hin, sondern hinterfragen diese. Weniger das Urteil eines einzelnen, auch nicht das einer Expertin, ist von Bedeutung, sondern die Meinung der Masse zählt. Soziale Medien tragen auch zur Identitätsfindung bei, vor allem bei jungen Menschen. Es sind dann weniger große Filmstars, sondern YouTuber von nebenan, die zu Medienstars und Vorbildern (Rolemodels) werden. Nicht zuletzt trägt die Demokratisierung des Wissens auch dazu bei, dass zahlreiche Influencer wie Blogger oder YouTuber mit ihrer enormen Reichweite einen Großteil der Ernährungsinformationen im Netz verbreiten und eben nicht mehr die Ernährungsexperten.
Wie genau sehen diese Informationen aus? Wie unterscheiden sich diese von klassischen Modellen der Ernährungskommunikation? Und welchen Einfluss haben sie auf das Essverhalten der Nutzer sozialer Medien? Diesen Fragen ist die Autorin in einer Recherche von über 200 wissenschaftlichen Studien nachgegangen. Die Ergebnisse konnten in fünf Themenbereiche geclustert werden: Kommunikation zu gesunder Ernährung, zu Übergewicht und Abnehmen, zu Essstörungen, zu ökologischer Ernährung sowie zur Foodie-Bewegung, für die der Genuss im Vordergrund steht.
Die Art der Kommunikation, der Umgang untereinander, die Sprache, die Inhalte und deren Qualität, aber auch die Wirkung auf die Nutzer unterscheiden sich in den fünf Themenbereichen teilweise erheblich. Zudem erschwert es die große Bandbreite der verschiedenen Plattformen – wie Blogs, Facebook, Instagram, Snapchat oder Twitter – pauschale Aussagen zum Thema Essen in sozialen Medien zu treffen.
Blogger verkünden persönliche Ansichten
Es gibt zahlreiche Blogs, auf denen die Autoren ihre Vorstellung einer gesunden Ernährung veröffentlichen. Blogs dienen zunächst dazu, sich selbst zu präsentieren. Obwohl dies angesichts der Öffentlichkeit des Internets paradox klingt, dienen sie aber auch dazu, in einem geschützten Raum zu kommunizieren und sich mit anderen verbunden zu fühlen. Blogger teilen nicht selten sehr private Informationen. Diskutiert werden Ansichten, positive und negative Erfahrungen, Vorlieben oder Gewohnheiten, auch Beziehungsprobleme und ähnliches.
Food-Blogger berichten oft täglich, teilweise sogar mehrmals täglich über das, was sie essen. Meist posten sie Fotos einer jeden Mahlzeit und der Snacks dazwischen. Besonders wichtig ist hierbei die Inszenierung des Essens. Häufig machen sie mehrere Fotos, arrangieren Gerichte auf dem Teller, entfernen dann eine Komponente und arrangieren wieder neu. Nicht nur die täglichen Mahlzeiten werden veröffentlicht, auch Listen von Lebensmittelläden, in denen sie einkaufen, die Inhalte ihres Kühlschranks oder der Küchenschränke.
Erfahrungsberichte pushen neue Ernährungstrends
In den Bloggergemeinschaften entwickeln sich eigene Ernährungskonventionen. Die Vorstellungen, was eine gesunde Ernährung ausmacht, sind dabei in der Regel sehr rigide. In den Blogs werden hauptsächlich vegetarische oder vegane Gerichte gezeigt. Sie bestehen fast ausschließlich aus Vollkornprodukten, Obst, Gemüse und Milchprodukten mit niedrigem Fettgehalt. Abweichungen davon haben auf den Blogs keinen Platz. Dennoch werden gesunde Gerichte häufig mit Fast-Food-Namen betitelt oder als Ersatz dafür ausgelobt, zum Beispiel Karottensticks als Ersatz für Pommes oder pürierte, gefrorene Bananen und Eiswürfel, die wie Eiscreme schmecken sollen. Die Gemeinschaft, die sie in dieser Bloggercommunity erleben, ist allen Nutzern sehr wichtig. Sie erhalten damit das Gefühl, in ihrem Lebensstil unterstützt zu werden und von den anderen lernen zu können. Einige geben an, sich den anderen Bloggern näher zu fühlen als den Freunden in ihrem echten Leben.
Nach einer aktuellen Studie nutzen 93 Prozent der Menschen das Internet, um Gesundheitsinformationen zu suchen, insbesondere zu Ernährungsthemen. In den sozialen Medien scheint es oft bereits zu genügen, Dinge als bewiesen gelten zu lassen, wenn man sie mit eigenen Erfahrungen belegen kann. Im Ernährungsbereich bedeutet das, dass zahlreiche Ernährungstrends kursieren, von denen viele für sich in Anspruch nehmen, das Allheilmittel für jegliche ernährungsbedingte Erkrankung zu sein. Welchen potenziellen Schaden dies bei den ratsuchenden Verbrauchern hinterlässt, ist vielen Influencern nicht bewusst. Dass die oft rigiden Ernährungsformen der beste Einstieg in eine Essstörung sein können oder zumindest verwirrte und enttäuschte Verbraucher zurücklassen, zeigen die vorliegenden Studien.
Rigide Ernährungsregeln erzeugen Schuldgefühle
Viele Blogger berichten von Zeit zu Zeit von Essattacken, in denen sie große oder kleinere Mengen von dem nach den Regeln der Gemeinschaft verbotenen Essen zu sich nehmen. Die Ausbrüche gehen mit großen Schuldgefühlen einher. Nach dem Regelbruch steht meist eine Entgiftungskur an, was sich zum Beispiel darin äußert, viel Wasser zu trinken, Sport zu treiben und Salat zu essen. Für einige Blogger bestimmt das Essen somit ihre Stimmung. Die meisten Blogger haben ein problematisches Verhältnis zum Essen und etwa die Hälfte zeigt Anzeichen für eine klinische Essstörung. Das zeigen verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen aus den letzten Jahren.
Eine Analyse von Rezepten sechs populärer Food Blogs ergab, dass die Rezepte den Ernährungsempfehlungen grundsätzlich entsprachen. Allerdings konnten bei einer Analyse von 48 YouTube-Videos nur 19 Prozent der Videos von Experten empfohlen werden. Alle anderen enthielten wissenschaftlich falsche, schädliche oder unreflektierte Aussagen über Ernährung und wiesen zu wenig auf die Risiken hin, etwa bei dauerhafter und unbetreuter Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln.
Einen deutlichen Gegensatz zu der Bloggerwelt im Bereich gesunde Ernährung stellen Blogs zum Thema Übergewicht und Abnehmen dar. Ernährung wird hier weit weniger rigide betrachtet, es wird offen über Rückschläge gesprochen und die soziale Unterstützung steht im Vordergrund. Das Bloggen dokumentiert für Übergewichtige, die abnehmen möchten, den Veränderungsprozess und ihre Erfahrungen, zum Beispiel mit verschiedenen Diäten oder auch Rückschlägen. Es bietet auch einen öffentlichen Raum, um gegenüber gesellschaftlichen Themen Stellung zu beziehen, etwa zu Diskriminierung von Übergewichtigen, Schlankheitsideal, Diäten oder Fitness. Nicht zuletzt stellen die Bloggergemeinschaften einen Ort des Verständnisses und der emotionalen Unterstützung dar. Zwischen den Bloggern und ihren Lesern kann sich sogar ein therapeutisches Verhältnis entwickeln.
Neue Chancen für die Ernährungsberatung
Für Ernährungsberater können soziale Medien eine gute Ergänzung zu üblichen Interventionsmaßnahmen sein. Denn sie ermöglichen es, unabhängig von Standort und Tageszeit mit dem Klienten oder der Gruppe zu kommunizieren und können eine große Zielgruppe erreichen. Zugleich bieten sie die technischen Möglichkeiten für einen Erfahrungsaustausch und eine emotionale Unterstützung innerhalb einer Gruppe von Betroffenen über einen langen Zeitraum.
Soziale Medien haben damit ein großes Potenzial Ernährungskommunikation alltagsnäher, politischer, partizipativer und auf Augenhöhe stattfinden zu lassen. Experten könnten zudem ein realistischeres Verbraucherbild gewinnen. Dazu müssten sich Vertreter der Ernährungswissenschaft allerdings viel stärker an der Kommunikation in den sozialen Medien beteiligen. Bisher bestimmen vor allem Laien, Initiativen und Verbraucherorganisationen mit teilweise polemischen und schlecht fundierten Informationen den Inhalt dieser Medien. Natürlich gibt es auch gut recherchierte Artikel, liebevoll und aufwändig gestaltete Blogs und Laien, die ihre Veröffentlichungen deutlich als ihre eigene Meinung und nicht als objektive Wahrheit kennzeichnen. Häufig fehlt jedoch ein objektiver und übergeordneter Blick.
Experten sollten Orientierung geben
Ernährungsexperten und -wirtschaft sowie (staatliche) Organisationen der Ernährungswissenschaft könnten hier gegensteuern. Dazu müssten sie aber eine leitende Funktion einnehmen, Orientierung schaffen im Informationsdschungel und nicht allein Laien dieses wichtige Kommunikationsfeld überlassen. Soziale Medien bieten vielfältige und spannende Möglichkeiten für eine neue Ära der Ernährungskommunikation. Es muss lediglich in die Hand genommen werden.
Quelle: Endres E. M. UGBforum 6/18, S. 269-272
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Stichworte: soziale Medien, Ernährungskommunikation, Blogger, Influencer, Instagram, Facebook, LinkedIn, Prosumer, Lebensstil, Identität, Ernährungsinformation, Foodie, Twitter, Essstörungen
Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 6/2018
Wenn Essen zum Lifestyle wird
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