Bioplastik: Augenwischerei oder echte Alternative?
Joghurtbecher, Müllbeutel oder Einweggeschirr aus biologisch abbaubaren Kunststoffen – um die Verpackungsproblematik zu entschärfen, lassen sich Unternehmen einiges einfallen. Doch wie umweltverträglich sind solche Innovationen?
Sie sind elastisch, leicht, bruchsicher und temperaturbeständig. Die Vielseitigkeit von Kunststoffen und ihre niedrigen Kosten haben dazu geführt, dass weltweit jährlich circa 335 Millionen Tonnen davon produziert werden. In Deutschland fielen 2017 5,2 Millionen Tonnen Plastikabfall an, von denen gerade einmal 15,6 Prozent wiederverwertet wurden – Tendenz steigend. Der Rest landet auf Mülldeponien, in Verbrennungsanlangen oder in der Umwelt. Statt Vermeidung setzen viele Unternehmen vermehrt auf Alternativen aus nachwachsenden Rohstoffen oder auf eine biologische Abbaubarkeit. Auf der Suche nach nachhaltigen Verpackungen muss man sich zwei Problemen zuwenden. Wie umweltfreundlich ist die Produktion der Materialien? Und was passiert mit der Verpackung nach der Verwendung? Die Problematik zeigt sich beispielsweise bei Papier. Zwar kann Papier biologisch abgebaut werden, jedoch verbraucht die Produktion viel Energie, Wasser und Chemikalien, wie Sulfite, Sulfate und Natronlauge. Hinzu kommt, dass viel mehr Papier verwendet werden muss, um dieselbe Stabilität einer Kunststoffverpackung zu erreichen.
Biokunststoffe als Alternative?
Als Alternative zum konventionellen Plastik bieten Hersteller immer häufiger Biokunststoffe an. Die Versprechen lauten meist: Die Materialien bauen sich schneller ab, schonen Erdölressourcen oder verursachen bei ihrer Herstellung weniger Kohlenstoffdioxid (CO2). Bei Biokunststoffen unterscheidet man zwischen oxo-abbaubaren, biobasierten und biologisch abbaubaren Kunststoffen. Oxo-abbaubare Kunststoffe enthalten Stoffe, die dafür sorgen, dass der erdölbasierte Kunststoff besonders schnell in kleinste Plastikteilchen zerfällt. Die Mikroplastikpartikel nehmen Schadstoffe auf, können in die Nahrungskette gelangen und bauen sich nicht schneller ab als herkömmmlicher Kunststoff. In der EU werden derzeit Verbote von oxo-abbaubaren Kunststoffen diskutiert – in Frankreich sind sie bereits nicht mehr erlaubt. Biobasierter Kunststoff besteht teilweise aus nachwachsenden Rohstoffen, ist aber nicht zwingend biologisch abbaubar. Als Rohstoffe dienen Mais, Zuckerrohr oder Weizen. Häufig werden diese mit fossilen Rohstoffen wie Erdöl oder Erdgas gemischt. Das Material kann wie konventionelles Plastik recycelt werden, da die chemische Struktur identisch ist. Biobasierte Kunststoffe kommen hauptsächlich als Polyethylen (PE) und Polyethylenterephthalat (PET) auf den Markt. Biologisch abbaubare und kompostierbare Kunststoffe sollen von Mikroorganismen unter definierten Bedingungen in Wasser, CO2 und Biomasse zersetzt werden. Abbaubares Bioplastik wird unter anderem in Abfallbeuteln, Joghurt- und To-go-Bechern oder Imbiss-Schalen eingesetzt. Damit sich ein Kunststoff kompostierbar nennen darf, muss dieser zum Beispiel nach der EU Norm 13432 zertifiziert werden. Dazu müssen in einer industriellen Kompostieranlage innerhalb von zwölf Wochen mindestens 90 Prozent des Materials zu maximal zwei Millimeter kleinen Partikeln zerfallen. Zusätzlich dürfen sich während des Abbaus keine toxischen Wirkungen auf Mikroorganismen und Pflanzen zeigen.
Greenwashing vom Feinsten
„Absolutes Greenwashing“, meint Thomas Fischer, Leiter im Bereich Kreislaufwirtschaft der Deutschen Umwelthilfe. „Der Abbau von Biokunststoff bereitet industriellen Kompostierungsanlagen Probleme und findet allenfalls unter optimalen Bedingungen statt. Rutscht die Bioplastiktüte beim Umsetzen der Kompostmiete beispielsweise in den Randbereich mit niedrigeren Temperaturen und einem anderen pH-Wert, dann passiert kaum etwas“, erläutert Fischer. Anlagen sind nicht auf die Kompostierung von Bioplastik ausgelegt. Zudem können Biokunststoffe schon rein optisch nicht von konventionellen unterschieden werden. Das Ergebnis: Der biologisch abbaubare Kunststoff wird aufwendig aussortiert und landet in der Müllverbrennungsanlage. Bei einer Umfrage der Deutschen Umwelthilfe im Jahr 2015/2016 gaben von 500 Betreibern von Kompostierungsanlagen in Deutschland 95 Prozent an, dass sie in ihrer Anlage keine biologisch abbaubaren Kunststoffe kompostieren. Nach Einschätzung des Umweltverbandes gehören biologisch abbaubare Kunststoffe generell nicht in die Biotonne.
Anbau birgt neue Probleme
Einer der am häufigsten verwendeten biologisch abbaubaren Kunststoffen ist Polylactid (PLA). Hergestellt wird er meist aus gentechnisch verändertem Mais aus den USA. „Neben riesigen Monokulturen, dem massenhaften Einsatz von Herbiziden, Pestiziden und Düngemitteln, welche zu Lachgasemissionen führen, erfüllt der Kunststoff noch nicht einmal das Marketingversprechen der Kompostierung: Er baut sich unter normalen Bedingungen in der Landwirtschaft oder in den Meeren ähnlich langsam ab wie herkömmlicher Kunststoff“, kritisiert Fischer. Auch andere Rohstoffe für Biokunststoffe wie Zuckerrohr oder Kartoffeln sind Produkte einer stark industrialisierten Landwirtschaft. Erst im März 2019 kam eine Studie der britischen Wissenschaftler Imogen Napper und Richard Thompson heraus. Sie ließen Kunststofftüten – zwei oxo-abbaubare, zwei biologisch abbaubare und eine konventionelle – in verschiedenen Umgebungen verrotten: im Meer, unter der Erde und an der Luft. Nach drei Jahren füllten sie die Tüten aus dem Meer und aus der Erde mit einem Einkauf von 2,25 Kilogramm. Eine biologisch abbaubare, die konventionelle und die oxo-abbaubaren Tüten trugen das Gewicht ohne Probleme. Lediglich eine biologisch abbaubare Tüte konnte kein Gewicht mehr tragen, ohne zu reißen, doch auch sie war noch vollständig vorhanden. An der Luft waren die Plastiktüten durch die UV-Strahlung dagegen vollständig zu kleineren Fragmenten zerfallen.
Keine Verpackung ist nachhaltig
Das Umweltbundesamt betrachtet biobasierte Kunststoffe und kompostierbare Kunststoffe ebenfalls kritisch. Im Auftrag der Behörde führte das Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg eine Studie durch, die die Umweltwirkungen von Verpackungen aus biologisch abbaubaren Kunststoffen untersuchte. Auch sie kommt zu dem Ergebnis, dass biologisch abbaubare Kunststoffe gesamtökologisch betrachtet keine Vorteile gegenüber herkömmlichem Kunststoff zeigen. Die Schonung von Erdölressourcen und ein eventueller Vorteil bei der Klimawirkung werden durch andere Umweltbelastungen zunichte gemacht: Zum Beispiel führt der Anbau der Rohstoffpflanzen für Biokunststoffe zu sauren und überdüngten Böden und Gewässern. „Wir müssen den Fokus richtig setzen“, sagt Fischer. Auf das Material komme es weniger an, sondern darauf, so wenig Verpackung wie möglich zu produzieren und sie wiederzuverwenden. Denn: Nur keine Verpackung ist eine wirklich nachhaltige Verpackung.
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Stichworte: Bioplastik, Biokunststoff, Plastik, Mikroplastik, Verpackungen, Recycling, Kompost, Gentechnik, Zuckerrohr, Mais, Erdöl, Müllverbrennung
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UGBforum 4/2019
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