Das Hormonsystem im Fasten
Im Fasten reagiert der Körper vor allem mit einer Umstellung der Energiebereitstellung. Hormonen kommt dabei eine besondere Rolle zu. Auch wenn die hormonellen Prozesse noch nicht ausreichend erforscht sind, lassen sich die Effekte bereits heute in der Fastentherapie nutzen.
Fasten bedeutet zunächst einen tiefen Einschnitt in den menschlichen Energiestoffwechsel. Denn je nach bevorzugter Fastenform fehlen dem Körper relativ unvermittelt 90 bis 100 Prozent der zugeführten Energieträger. Die menschlichen Hormondrüsen, also das endokrine System, sind davon in ganz unterschiedlicher Weise betroffen. Nahezu alle Systeme sind gefordert, mit weniger Energie sowie allen anderen essenziellen Nährstoffen auszukommen, ohne dass Organe langfristig Schaden nehmen. Schilddrüsenhormone einschließlich ihrer Steuerungshormone beeinflussen zum Beispiel direkt den Energieverbrauch, andere wie Cortisol und Adrenalin eher indirekt, zum Beispiel über körperliche und nervlich vermittelte Aktivität.
Wenn Bausteine für Hormone fehlen
Neben Energie für die laufend notwendige Biosynthese der Hormone fehlen während des Fastens auch viele molekulare und atomare Bausteine bis hin zu ganzen Baugerüsten. So wird in allen Fastenformen praktisch kein Jodid zugeführt, das zur Bildung von Schilddrüsenhormonen erforderlich ist. Auch fehlt dem Körper Cholesterin, das er für die Biosynthese sämtlicher Steroidhormone benötigt. Die Neusynthese vieler wichtiger und teilweise lebensnotwendiger Hormone ist jedoch erforderlich, da sie sehr schnell umgesetzt, das heißt im Stoffwechsel abgebaut werden.
Ein Beispiel: Das einzige unmittelbar biologisch aktive Schilddrüsenhormon Trijodthyronin (T3) hat eine recht kurze Halbwertszeit im Blutplasma von nur 24 Stunden. Im Fasten wird zwar der Bedarf an T3 deutlich reduziert, dennoch muss der Organismus sofort auf Jodidspeicher im Körper zurückgreifen. Deren Größe sowie die Geschwindigkeit, mit der sie mobilisierbar sind, lassen sich derzeit routinemäßig nicht bestimmen. Hierin liegt eine mögliche Erklärung, warum immer wieder deutliche individuelle Unterschiede in der Gewichtsabnahme bei fastenden Menschen zu beobachten sind. Bei gefüllten Jodidspeichern kann der Körper weiterhin die jetzt reduzierte Menge an Schilddrüsenhormonen bilden, um sinnvoll Energie zu sparen. Das zeigt sich darin, dass der Syntheseweg verstärkt in das für den Stoffwechsel unwirksame Endprodukt reverse T3 (rT3) gelenkt wird. Wird aber insgesamt auch für den reduzierten Bedarf nicht genügend T3 synthetisiert, wird der Energiestoffwechsel noch weiter reduziert, was sich in verstärktem Frösteln und weniger Fettabbau äußert.
Schilddrüsenhormone im Fokus
Im Mittelpunkt der Fastenforschung stand bislang vor allem, wie sich die zentrale Steuerung des Energiestoffwechsels durch Schilddrüsen- und ihre Steuerhormone verändert. So reduzierte sich in einer Studie mit adipösen Patienten nach 7-18 Fastentagen das freie und damit biologisch wirksame fT3 um 53 Prozent des Ausgangswertes. Gleichzeitig erhöhte sich das reverse T3 um 58 Prozent. Dies führt dazu, dass der fastende Organismus wesentlich weniger Energie zum Beispiel für den Grundumsatz benötigt. In der Folge sinkt die Körpertemperatur.
Eine weitere Untersuchung mit adipösen Patienten bestätigte die sinkende Konzentration des fT3 bereits nach vier Tagen Fasten. Mehrere Untersuchungen mit recht unterschiedlichen Kollektiven zeigen dies ebenfalls übereinstimmend, einige von ihnen auch die volle Umkehrbarkeit (Reversibilität) nach dem Fastenbrechen. Für diesen sehr wichtigen Vorgang scheint es allerdings auch auf die Zusammensetzung der Aufbaukost anzukommen. In Studien mit einer Mischkost und einer stark kohlenhydratbetonten Aufbaukost pendelten sich die Schilddrüsenhormone rasch wieder auf die Ausgangswerte vor dem Fasten ein. Dagegen blieben das biologisch wirksame fT3 und das schilddrüsenstimulierende Hormon TSH bei proteinreicher Aufbaukost erniedrigt.
Erfahrene Fastenbegleiter wissen allerdings, dass sich Fastende selbst bei korrektem Kostaufbau fröstelnd, kraftlos und ruhebedürftig fühlen – insbesondere nach längeren Fastenzeiten. Die Betroffenen sollten zeitnah die Konzentration der Schilddrüsenhormone messen lassen, um die T3-Situation sicher beurteilen zu können. Sollten die Werte etwa zwei Wochen nach Fastenbrechen noch erniedrigt sein, könnte ärztlicherseits die Einnahme von Jodid-Tabletten empfohlen werden.
Reduzierte Produktion von Magensäure
Gastrin ist der wichtigste Impulsgeber für die Säureproduktion im Magen. Das Hormon sorgt für eine basale Säureproduktion und wird bei Nahrungsaufnahme zusätzlich stimuliert. Die Nahrung wiederum mildert die Aggressivität der Magensäure bereits deutlich, so dass die Magenschleimhaut keinen Schaden nimmt. Säureassoziierte Beschwerden und Erkrankungen wie Sodbrennen oder Magenschleimhautentzündung (Gastritis) sind dennoch wegen überschießender oder zeitlich unpassender Säureproduktion sehr häufig. Da im Fasten die säurepuffernde Wirkung der Nahrung fehlt, ist eine Drosselung der basalen wie auch der stimulierbaren Gastrinaktivität für die Verträglichkeit einer Fastentherapie essenziell.
Leider hat sich dem bislang nur eine wissenschaftliche Forschungsarbeit vor geraumer Zeit gewidmet. In der Studie wurden Plasmakonzentrationen für Gastrin von zwölf gesunden fastenden Männern gemessen. Diese waren nach 4, 8 und 10 Tagen völligen Nahrungsentzugs deutlich niedriger als vorher. Sechs Kontrollpersonen, die unter denselben Bedingungen nach Belieben essen durften, wiesen keine Änderungen auf. Dies lässt vermuten, dass diese Rückbildung auf das Fehlen der Nahrung im Magen – und damit des starken Stimulators der Gastrinfreisetzung – zurückzuführen sein könnte. Eine andere Ursache könnte aber auch eine neurogene Hemmung der Gastrinfreisetzung infolge einer stressbedingten Erhöhung des Sympathikotonus sein.
Fasten bei Problemen mit der Magensäure
Etwa zehn Prozent der Bevölkerung greift regelmäßig zu Medikamenten, die die Sekretion der Magensäure hemmen. Bei einem plötzlichen Absetzen dieser Protonenpumpenhemmer (PPI) kann es unter Normalkost zu einer überschießenden Erholung der Gastrinproduktion kommen (Rebound-Effekt), verbunden mit entsprechenden säurebedingten Beschwerden. Wenn Protonenpumpenhemmer vor oder während einer Fastentherapie abgesetzt werden, ist grundsätzlich mit demselben Effekt zu rechnen. Untersucht ist das bislang allerdings nicht. Wenn das Fasten dagegen diese Neigung zum Rebound, das heißt eine überschießende Gastrinfreisetzung überspielen würde, wäre es die ideale Möglichkeit, um eine PPI-Dauereinnahme zuverlässiger und symptomärmer als unter Normalkost zu beenden. Aus medizinischer Sicht ließe sich diese Frage leicht klären. Als randomisierte Studie wäre sie wegen der PPI-Einnahme jedoch dem Arzneimittelgesetz (AMG) unterworfen und würde deswegen leicht einen fünfstelligen Eurobetrag kosten.
Appetitsteuernde Hormone im Fasten
Seit längerem bekannt und mehrfach bestätigt ist, dass Kalorienrestriktion bei Übergewichtigen zu einer Reduktion von Leptin und Adiponektin führt. Die beiden Hormone sind entscheidend an der Steuerung des Sättigungsgefühls beteiligt (siehe UGBforum 5/22). Niedrige Konzentrationen steigern unter normaler Ernährung das Hungergefühl. Andererseits ist Leptin aber auch mitverantwortlich für die Einlagerung von Energieträgern, insbesondere Triglyceriden.
Auch bei gesunden, normalgewichtigen Frauen fielen nach vier Wochen Kalorienrestriktion auf 1000-1200 Kilokalorien am Tag die Leptin-Serumkonzentrationen um 60 Prozent, die für Adiponektin um 16 Prozent. Diese deutlichen Veränderungen appetit- und fettstoffwechselsteuernder Hormone weisen auf eine erfolgreiche Teilumstellung auf die sogenannte innere Ernährung und einen erhöhten Fettabbau hin. Je besser diese gelingt, umso mehr bleibt das Hungergefühl aus, was von fast allen Fastern berichtet und als sehr angenehm empfunden wird.
Stresshormone hemmen Entzündungen
Auch auf die sogenannten Stresshormone hat das Fasten Auswirkungen. Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol werden bei akutem und chronischem Stress freigesetzt. Sie versetzen den Körper in Alarmbereitschaft, indem sie unter anderem Blutdruck und Herzfrequenz steigern. Darüber hinaus hemmt Cortisol Entzündungen und kann weitere Immunreaktionen unterdrücken. Fastenärzte nutzen dies in der Therapie von Patienten mit chronisch entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis. Die von zahlreichen Fastenpatienten berichtete Verbesserung der Symptome ist – neben dem Effekt durch Weglassen bestimmter Nahrungsmittel – vermutlich auch auf einen Anstieg der Cortisolkonzentration zurückzuführen.
So ließ sich in einer Studie mit 22 vollstationären Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen am Ende eines siebentägigen Buchinger-Fastens eine deutliche Erhöhung der Urinkonzentrationen von Noradrenalin, Adrenalin und Cortisol beobachten. Kontrollpatienten mit sonst ähnlichen Therapien, aber vegetarischer Vollkost, zeigen diesen Anstieg dagegen nicht. Weitere Studien bestätigen diese Beobachtungen. So gibt es mittlerweile zu dieser für die Fastentherapie sehr wichtigen Frage eine wissenschaftliche Übersichtsarbeit (systematischer Review mit Meta-Analyse). Diese bestätigt in 13 Studien mit 357 Teilnehmern, dass sich Cortisol während des Fastens deutlich erhöht. In weiteren Analysen des Reviews zeigte Fasten (vier Studien) einen sehr starken Effekt auf den Cortisolspiegel. Diäten mit eingeschränkter Kalorienzufuhr (LCD, fünf Studien) und starker Kalorienrestriktion (VLCD, sechs Studien) wiesen dagegen jeweils keine signifikanten Erhöhungen auf. Die Kalorienrestriktion scheint also ein sehr deutliches Ausmaß überschreiten zu müssen, ehe der Organismus den Cortisolschalter umlegt.
Stimmungsaufheller im Fasten
Allerdings zeigte die Meta-Analyse auch, dass der Anstieg des Cortisols mit der Dauer der Kalorienrestriktion nachlässt und nach einigen Wochen auf den Ausgangswert zurückgeht. Dies ist insofern wichtig, da weiterhin Uneinigkeit unter Fastenärzten besteht, wie lange bei einer aktiven entzündlichen Gelenkerkrankung gefastet werden sollte, damit der so offenbar erzielbare körpereigene Cortisolschub optimal wirkt. Mit leicht umsetzbaren Kontrollen von Nüchtern-Serumcortisol oder Urin-Cortisol ließe sich das für den Einzelfall sehr gut kontrollieren und käme dem Anspruch einer individualisierten Therapie näher.
Die sogenannten Stresshormone haben jedoch immer ambivalente Wirkungen. Sie können auch antidepressiv bis euphorisierend wirken, was Fastende meist begrüßen. Zahlreiche Untersuchungen mit Fragebögen zur Lebensqualität Fastender belegen dies. Allerdings ließ auch eine randomisierte Kontrollstudie mit Probanden, die eine blutdrucksenkende Diät (DASH-Diät) erhielten kaum Unterschiede erkennen.
Hormone therapeutisch nutzen
Fasten setzt den Organismus mit nahezu jeder Funktion unter einen enormen Druck, dem er durch Energieeinsparungen (Ökonomisierungen) begegnen muss. Hormone sorgen dafür, dass der Körper die nötigen Anpassungen sowohl im Energiestoffwechsel als auch in der Appetitsteuerung bewerkstelligt. Obgleich viele Vorgänge durch fehlende Studien noch nicht eindeutig belegt sind, lässt sich bezüglich der hier genannten Beschwerden und Erkrankungen ein therapeutischer Nutzen der Fastentherapie ableiten.
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Stichworte: Hormone, Fasten, Schilddrüse, Energiestoffwechsel, Trijodthyronin, Jod, Gastrin, Magen, Hormondrüsen, Stress, Leptin, Rebound-Effekt, PPI, Cortisol, Kalorienrestriktion
Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 6/22
Hormone – Boten im Stoffwechsel
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