Gesundes Altern
Dass wir altern und unsere Körperfunktionen nachlassen, ist ein unvermeidlicher Prozess. Die Altersforschung hat dazu inzwischen verschiedene Einflussfaktoren identifizieren können. Die gute Nachricht: Durch Ernährung und Lebensstil können wir unsere Lebenszeit und die Jahre, die wir in Wohlbefinden erleben, verlängern.
Jeanne Louise Calment ist der älteste Mensch, der je nachweislich gelebt hat. Die Französin wurde 122 Jahre alt (1875- 1997). Dabei gab sie erst mit 119 Jahren das Rauchen auf und nur deshalb, weil sie aufgrund ihrer Blindheit nicht mehr in der Lage war, eine Zigarette anzuzünden. Nach dem Mittagessen trank sie zudem regelmäßig etwas Portwein und aß gerne Schokolade. Ist all das vielleicht ein effektives Rezept für langes und gesundes Leben?
Wir altern, um zu überleben
Der Alterungsprozess ist kein von der Natur geplanter Vorgang. Vielmehr handelt es sich um eine evolutionsbedingte Nebenwirkung unserer Fortpflanzung. Denn diese stellt das primäre Ziel eines Organismus dar. Aus evolutionärer Sicht ist unser Überleben also nur bis zum Ende unserer Fortpflanzungsphase vorgesehen. Darauf basierend existieren zwei viel beachtete Alterungstheorien.
Die Mutations-Akkumulations-Theorie besagt, dass unser Organismus in jungen Jahren schädliche Mutationen noch effizient erkennt und beseitigen kann, um das Überleben und die Fortpflanzung zu ermöglichen. Nach der Reproduktionsphase lässt diese Funktion jedoch nach. Evolutionsbiologisch bietet es keinen Vorteil mehr, Schäden oder Veränderungen am Erbgut (DNA) zu reparieren. Diese Ansammlung (Akkumulation) von Mutationen richtet im hohen Alter letztendlich unterschiedliche Schäden an (siehe Tabelle).
Altersbedingter Prozess | Auswirkung | |
1 | Instabilität der Gene | altersbedingte Ansammlung von DNA-Schäden |
2 | Telomerabnutzung | Verlust der DNA-Schutzkappen, der schließlich zum Zelltod führt. Misslingt der Zelltod, fördern die verbleibenden inaktiven Zellen Entzündungsvorgänge. |
3 | epigenetische Veränderungen | Veränderungen auf bestimmten DNA-Abschnitten, die Krankheiten begünstigen können. |
4 | gestörte Proteinhomöostase | Ansammlung funktionsunfähiger Proteine begünstigt altersbedingte Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson. |
5 | gestörte Nährstoffwahrnehmung | Zellen reagieren schlechter auf Nährstoffe und Hormone, Wachstum und Funktion werden beeinträchtigt. |
6 | gestörte Funktion der Mitochondrien | Mitochondrien produzieren weniger Energie und vermehrt reaktive Sauerstoffspezies, die Zellstrukturen schädigen. |
7 | Zelluläre Seneszenz | Zellen verlieren die Fähigkeit zur Teilung. Entgehen sie ihrem Zelltod, produzieren sie entzündungsfördernde Substanzen. |
8 | Erschöpfung der Stammzellen | Stammzellen verlieren ihre Fähigkeit, Gewebe zu regenerieren und zu reparieren. |
9 | gestörte Zell-Zell-Kommunikation | Störung, Verlust oder Fehlinterpretation der zellulären Kommunikation |
10 | beeinträchtigte Autophagie | Beeinträchtigung des zellulären Recyclingsystems und damit einhergehende Ansammlung schädlicher Komponenten |
11 | chronische Entzündungen | dauerhafte Entzündungszustände infolge der immunologischen Hyperaktivität |
12 | Dysbiose – gestörte Darmmikrobiota | Veränderung der Zusammensetzung der Darmmikrobiota zugunsten krankmachender Keime |
Tab. 1: Die Altersforschung hat aktuell zwölf Kennzeichen des Alterns identifiziert. Zusammen sind sie verantwortlich für die zu beobachtenden altersbedingten Erscheinungen.
Die Theorie der antagonistischen Pleiotropie geht davon aus, dass Gene, die für das Überleben und das Erreichen der Fortpflanzungsphase wichtig sind, zunächst bevorzugt ausgelesen werden. Obwohl dieselben Gene in jungen Jahren noch sehr nützlich waren, richten sie paradoxerweise im hohen Alter Schaden an.
Natürliche Alterung beginnt schon mit zwanzig
Die Forschung geht davon aus, dass Alterungsprozesse bereits ab dem 20. Lebensjahr beginnen – also schon wenige Jahre nach dem Erreichen der Geschlechtsreife. Die ersten wahrnehmbaren Alterungssymptome werden an der Haut sichtbar. Durch Abnahme strukturgebender Proteine verliert die Haut langsam an Elastizität und bekommt Falten. Ab dem 25. Lebensjahr nimmt die Fruchtbarkeit bei Frauen ab und bei Männern sinkt der Testosteronspiegel und später auch die Spermienzahl.
Die Elastizität der Knorpel geht etwa ab dem 30. Lebensjahr zurück, was bestimmte Bewegungsabläufe erschwert und die Gelenke mit der Zeit steifer werden lässt. Mit 40 beginnt sich bei vielen die Sehkraft zu verschlechtern. Um das 50. Lebensjahr herum geht allmählich die Knochendichte zurück, womit das Risiko für Osteoporose steigt. Die Muskelmasse nimmt ab dem 55. Lebensjahr langsam ab und die Fettmasse zu. Mit fortschreitendem Alter lagert sich vermehrt Calcium in den Blutgefäßen ab, was das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Auch die Organfunktionen von Leber und Nieren lassen nach, wodurch weniger Schadstoffe abgebaut und ausgeschieden werden können.
Langzeitgedächtnis bleibt länger auf Trab
Bereits vor dem 60. Lebensjahr zeigen sich kognitive Veränderungen durch eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne, die sich ab 70 Jahren verstärken. Das Kurzzeitgedächtnis lässt merklich nach, wobei das Langzeitgedächtnis kaum Einbußen erfährt. Sich Dinge zu merken oder bereits abgespeicherte Informationen abzurufen, benötigt meistens mehr Zeit. Durch eine abnehmende Dopaminproduktion im Gehirn werden bestimmte Erlebnisse als weniger befriedigend wahrgenommen. Auf der anderen Seite verlieren riskante Situationen oder impulsive Handlungen ihren Reiz. Derartige physiologische und kognitive Veränderungen sind unvermeidlich und gehören zum natürlichen Alterungsprozess dazu.
Lebensstil steuert Alterungsprozesse mit
Die wohl bekannteste Maßnahme, um den Alterungsprozess zu verlangsamen, ist die Kalorienrestriktion. Wird weniger Nahrung aufgenommen, kommt es zur Aktivierung des zellulären Recyclingsystems – der Autophagie. Dies bezeichnet einen Vorgang in lebenden Zellen, bei dem nicht mehr benötigte Zellbestandteile abgebaut und verwertet werden. Auf diese Weise verlängert die Autophagie die Zeitspanne für gesunde Lebensjahre. Allerdings ließ sich dieser Effekt bislang nur bei Versuchstieren im Labor beobachten. Ob sich dies beim Menschen ebenso auswirkt, ist noch nicht sicher nachgewiesen.
Die bisher größte und längste randomisierte Studie zu den Wirkungen der Kalorienbeschränkung wurde vor wenigen Jahren durchgeführt – die CALERIE-Trial 2. Über zwei Jahre hinweg erhielten 218 gesunde Proband:innen eine kalorienreduzierte Ernährung mit ausreichend Mikronährstoffen, die jedoch um etwa zwölf Prozent unter ihrem Energiebedarf lag. Gemessen anhand von Veränderungen auf der DNA alterten die Teilnehmer:innen innerhalb dieser Zeit um 2-3 Prozent langsamer als die Kontrollgruppe, die ihre gewohnte Ernährungsweise fortführte.
Auch wenn der Anti-Aging-Effekt relativ gering zu sein scheint, so kann die gesundheitliche Wirkung einer Kalorienbeschränkung dennoch von Bedeutung sein. So zeigen weitere Auswertungen der CALERIE-Trial 2, dass eine eingeschränkte Energiezufuhr unter anderem Marker der Herz-Kreislauf-Gesundheit deutlich verbessern konnte. Unklar ist allerdings weiterhin, welche spezifischen Alterungsprozesse durch die Kalorienrestriktion beeinflusst werden, ob sie auf alle Bevölkerungsgruppen zutreffen und ob sie über den Untersuchungszeitraum von zwei Jahren hinaus wirksam sein könnten.
Pflanzenbetonte Ernährung im Vorteil
Einige Wissenschaftler:innen glauben, dass die Effekte auf die Alterungsprozesse weniger auf die Beschränkung der Energiezufuhr zurückzuführen sind, sondern dass allein schon eine verminderte Proteinaufnahme die Autophagie aktiviert. Eine proteinreduzierte Ernährung wird auch mit hoher Wahrscheinlichkeit eine breitere Akzeptanz finden als eine kalorienreduzierte Kost. Mit einer Proteinrestriktion ist kein Verzicht, sondern lediglich eine bedarfsdeckende Proteinzufuhr gemeint. Laut der Nationalen Verzehrsstudie II liegt die Proteinzufuhr der Bevölkerung deutlich über den empfohlenen Zufuhrmengen von 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht.
Zudem wirken nicht alle Proteine gleich. Die Aminosäuren Leucin und Methionin, die in größeren Mengen vor allem in tierischen Lebensmitteln enthalten sind, scheinen den Alterungsprozess am meisten zu beschleunigen. Eine Bevorzugung pflanzlicher Lebensmittel reduziert die Aufnahme dieser Aminosäuren und wirkt sich so vermutlich ebenfalls günstig auf Alterungsprozesse aus.
Zusätzlich enthalten tierische Lebensmittel höhere Mengen sogenannter AGEs (Advanced Glycation Endproducts), deren Konzentration sich beim Braten oder Grillen sogar noch erhöht. Aufgrund ihrer DNA-schädigenden Eigenschaften sollte die Aufnahme von AGEs reduziert werden. Aber nicht nur die Verzehrmenge, sondern auch die Mahlzeitenzusammensetzung ist entscheidend: Sekundäre Pflanzenstoffe, die reichlich in Gemüse oder Obst vorkommen, können uns vor derart schädlichen Substanzen schützen.
Ernährung und Lebensstil können Leben verlängern
Auch wenn es noch keine gesicherte Anti-Aging-Kost gibt, so können wir mit unseren Entscheidungen dem Altern entgegenwirken. Wenn man bedenkt, dass die Geschwindigkeit der Alterungsprozesse zu rund 15 Prozent genetisch bestimmt ist, so haben wir den Großteil selbst in der Hand. Eine modellbasierte Untersuchung hat berechnet, dass eine vollwertige Ernährung uns bis zu zehn zusätzliche Lebensjahre bescheren könnte. Je früher die Ernährungsumstellung, umso größer der Benefit. Dabei ist es nie zu spät. Erfolgt die Umstellung erst mit 60 oder 80 Jahren, so kann man immerhin noch acht bzw. drei zusätzliche Lebensjahre dazugewinnen. Den größten Einfluss auf die Lebenserwartung üben Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte und Nüsse sowie die reduzierte Aufnahme von rotem und verarbeitetem Fleisch aus. Der Gewinn in der Lebenserwartung geht vor allem auf die Reduktion der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs zurück.
Gehirnjogging und Bewegung halten jung
Nicht nur die Ernährung, auch regelmäßige Bewegung ist entscheidend, um Alterungsprozesse auszubremsen. Körperliche Aktivität induziert in der Zelle einen Energiemangel, der den Prozess der Autophagie aktiviert. Moderate Bewegungseinheiten wie stramme Spaziergänge, Wandern oder leichtes Joggen erhalten zudem die Funktionsfähigkeit des Körpers im Alter. Tanzen oder Yoga schulen die Balance und dienen der Sturzprävention. Besonders Krafttraining sollte im Alter nicht vernachlässigt werden, um dem altersbedingten Muskelabbau entgegenzuwirken. Dabei muss es keinesfalls das Fitnessstudio sein. Regelmäßige Gartenarbeit oder Übungen mit dem eigenen Körpergewicht sind ausreichend.
Um kognitiv fit zu bleiben, braucht das Gehirn regelmäßig Futter: Tägliches Lesen, Spielabende mit der Familie, das Erlernen neuer Dinge wie etwa die Bedienung technischer Geräte oder das Spielen eines Musikinstrumentes sind ideale Hirnnahrung. Auch der Verzicht auf Rauchen und Alkohol, die Pflege sozialer Kontakte, Hobbys und Freizeitaktivitäten sowie ausreichender Schlaf und wenig Stress helfen beim Jungbleiben.
Über 100 mit Alkohol und Zigaretten?
Nochmals zurück zu Jeanne Louise Calment, dem bislang ältesten Menschen der Welt. Auch wenn sie fast bis an ihr Lebensende geraucht und regelmäßig Alkohol getrunken hat, so muss dennoch erwähnt werden, dass sie viele Dinge bewusst oder unbewusst richtig machte. So bevorzugte sie die traditionelle mediterrane Ernährungsweise, war regelmäßig körperlich aktiv, hatte stets eine positive Lebenseinstellung, pflegte ihren Schlaf und beugte Stress vor, indem sie regelmäßig betete und materiellen Dingen nicht zu viel Beachtung schenkte. Höchstwahrscheinlich hatte sie außerdem im genetischen Lotto gewonnen. Schon ihre Vorfahren im 17. und 18. Jahrhundert lebten bereits deutlich länger als der Durchschnitt. Berücksichtigt man die genetischen und die Lebensstilfaktoren, hat Calment das Alter von 122 Jahren nicht wegen, sondern trotz Zigaretten und Alkohol erreicht.
Bild © Goodluz/depositohotos.com
Stichworte: Alterungsprozesse, Ernährung, Lebensstil, Bewegungstherapie, pflanzliche Ernährung, Alzheimer, Parkinson, Seneszenz, Antiaging, Autophagie, Kalorienrestriktion, Evolution, Alterungstheorien, Fortpflanzung, kognitives Traning, Vollkorngetreide, Epigenetik
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