Zurück zum echten Bäcker-Handwerk

Die Unterschiede zwischen industriell hergestelltem Brot und selbst gebackenem sind enorm. Das erkennen immer mehr Verbraucher:innen und wissen gutes Brot zu schätzen. Das traditionelles Bäckerhandwerk erlebt daher eine kleine Renaissance.

Viele kennen es: Am Wochenende ist Zeit, um zur Bäckerei zu gehen und die Sonntagsbrötchen für die Familie zu holen. Das tägliche Brot hingegen wird mittlerweile oft dort gekauft, wo auch die anderen Lebensmittel im Einkaufswagen landen – in Supermarkt und Discounter. Immer mehr kleinere, familiengeführte Bäckereien müssen schließen, weil sie den billigen Preisen der großen Lebensmittelketten nicht standhalten können. So sank in den letzten 60 Jahren die Zahl der Handwerksbetriebe von rund 55.000 auf weniger als 10.000 Bäckereien.

In den Innenstädten etablieren sich stattdessen Filialen von bekannten Marken oder Backstationen mit Selbstbedienung. Es gibt sie aber noch beziehungsweise wieder: Junge Betriebe mit neuen Konzepten und viel Liebe für echtes Handwerk. Hier wird das Brot über die Theke gereicht und landet nicht per Knopfdruck oder in Plastik eingeschweißt im Einkaufskorb.

Neue Wege mit alter Tradition

Die Fußgängerzone ist voll, die Geschäfte liegen dicht nebeneinander, alle 50 Meter eine andere Bäckerei-Filiale – dazwischen das Brot-Atelier. Mitten in der Gießener Innenstadt betreibt Bäckermeister Marco Langsdorf seinen Brotladen. Die Bäckerei wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Über dem Schaufenster, das Einblick in eine kleine Backstube gewährt, steht Boulangerie de Tradition. Moderne Fliesenmuster und schwarze Elemente in den Glasscheiben lassen die Bäckerei hip wirken, gebacken wird hier allerdings wie zu alten Zeiten. Das Besondere: Die Kund:innen können aufgrund der offenen Backstube bei der Herstellung der Brote zuschauen. Dort stehen zwar moderne Maschinen, doch die Teige werden per Hand abgewogen, zusammengestellt und geknetet. In ihnen landen ausschließlich regionale, unverarbeitete und natürliche Zutaten. Langsdorf versucht, jedem Brot seinen eigenen Charakter zu geben. Das gelingt durch das Rösten von Kernen, außergewöhnliche Zutaten und das Ausprobieren von neuen Kreationen. Der Bäcker setzt zudem auf das Fermentieren und lange ruhende Vorteige. Das kostet allerdings viel Arbeit und Zeit.

Vor der Insolvenz zurück zu den Wurzeln

Oft steht die Kundschaft geduldig Schlange vor dem kleinen Brotladen. Das war allerdings nicht immer so. Marco Langsdorf musste seine früheren Bäckereien mit 27 Mitarbeitenden vor einigen Jahren aufgeben. Er wollte nicht gegen die Preise der Discounter und der Industriebäckereien ankämpfen. „Wir haben kein Geld mehr verdient, weil wir mit den anderen mitgeschwommen sind. Im Prinzip kann man sich das so vorstellen, als würde jemand immer mit Maggie-Fix kochen; wir hatten nichts Eigenes mehr, sondern nur noch Convenienceprodukte im Backsegment, wie die Großbäckereien“, erinnert er sich. So überlegte er sich, zurück zu alter Backtradition zu gehen, und eröffnete mit dieser Idee mitten im Corona-Lockdown das Brot-Atelier.

Sein Brotladen ist eine der wenigen Backstuben, die bei der Herstellung der Brote auf die traditionelle Art der Zubereitung setzen. Das heißt, die Sauerteigbrote werden mit selbst angesetztem Sauerteig einzeln von Hand verarbeitet. Durch die Langzeitführung der Teige und den Verzicht auf Backhilfsmittel und Zusatzstoffe punkten die Brote nicht nur geschmacklich, sondern sind auch sehr gut bekömmlich. Die Backwaren beim Discounter werden dagegen in hoher Stückzahl und in kürzester Zeit produziert. Diese Billigprodukte gelingen nur mit zahlreichen Hilfsstoffen. Doch nicht nur die Industrie verwendet Zusatzstoffe. Auch Bäckereien benutzen Industriebackmischungen und bereits vorgefertigte Produkte. Oft handelt es sich um vorgefertigte und tiefgekühlte Ware aus Großbäckereien, die erst kurz vor dem Verkauf aufgebacken wird. Damit die Backwaren trotzdem frisch schmecken, werden zahlreiche Zusatzstoffe eingesetzt, darunter Mehlbehandlungsmittel (Mono- und Diacetylweinsäureester), Bindemittel oder technische Enzyme, die den Teig schneller reifen lassen. Viele Industriebäckereien geben ihren Backwaren für eine appetitliche Färbung und zur Geschmacksabrundung Süßungsmittel wie Zucker oder Traubenzucker hinzu, obwohl die meisten nach dem Grundrezept ohne auskommen würden.

Bäcker:innen setzen sich für Handwerk ein

Der Verein Die Freien Bäcker – Zeit für Verantwortung setzt sich seit 2011 ebenfalls für das traditionelle Bäckerhandwerk ein. Als unabhängige Berufsorganisation handwerklich arbeitender Bäcker:innen und Konditor:innen macht er sich für Vielfalt auf dem Acker, für freies Saatgut und regionale, ehrliche und faire Lebensmittel stark. Außerdem möchte der Verein die Souveränität und Glaubwürdigkeit des Lebensmittelhandwerks bewahren. Das heißt, die Freien Bäcker wollen nicht abhängig sein von industriellen Vorprodukten wie Convenienceware, isolierten Zusatz- und Verarbeitungshilfsstoffen oder standardisierten Verfahren. Indem sie auf naturbelassene Rohstoffe und natürliche Prozesse setzen, wollen sie zu einem ökologisch und sozial gerechten Wandel der Land- und Lebensmittelwirtschaft beitragen.

Der Verein bietet Fortbildungen an, wie die Herstellung von Backwaren ohne technische (exogene) Enzyme gelingt. Vermittelt wird auch die Herstellung von Brot und Backwaren aus altem, regional angepasstem Getreide und biologisch gezüchteten Sorten oder welchen Einfluss verschiedene Mahlverfahren auf die Verarbeitungs- und Gebäckqualitäten einzelner Getreidesorten haben. Anfang Oktober 2024 hat der Verein das Gütesiegel Freies Backhandwerk aus der Taufe gehoben, um die handwerkliche Herstellung von Brot und Backwaren zu zertifizieren und besser sichtbar zu machen.

Guter Geschmack braucht Zeit

Der Verzicht auf Backmittel und Zusatzstoffe bedeutet, dass die Brote keine hundertprozentige Gelinggarantie haben und deutlich mehr Zeit benötigen. Genau diese Zeit ist es, die den Discounterbroten fehlt. Das macht sich im Geschmack, der Zusammensetzung, der Konsistenz, dem Geruch und in der Bekömmlichkeit bemerkbar. Denn nur mit ausreichend Zeit kann aus Mehl und Wasser guter Teig werden und die Bakterien auf natürliche Weise ihre Fermentation durchführen.

Damit ein wirklich gutes Brot entstehen kann, ist auch das verwendete Mehl entscheidend. Qualitativ hochwertiges Mehl, das noch in traditionellen Mühlen produziert wird, ist selten geworden. Dort wird das Getreide, anders als in der Industrie, mit Hilfe von Mühlsteinen gemahlen. Durch den Mahlstein entsteht sehr feines Mehl, dass gehaltvoll ist und gute Backeigenschaften besitzt.

Sehnsucht nach qualitativ hochwertigem Brot

Deutschland ist für seine Brotvielfalt weltbekannt. Mit rund 3000 eingetragenen Sorten erklärte die UNESCO die deutsche Brotkultur 2014 zum immateriellen Kulturerbe. Auch das Gießener Brot-Atelier hat fast 50 verschiedene Backwaren im Sortiment. Brote und Backwaren wie Sepia-Cranberries, Croissant de Paris oder Steirische Kürbiskernbrötchen füllen morgens die Theke. Am Abend ist sie leer. Das Angebot wird so konzipiert, dass – anders als früher – nicht mehr 10-20 Prozent der Ware verworfen werden müssen, sondern höchstens ein Prozent. Das liegt allerdings auch an der Kundschaft, die die leeren Regale akzeptiert und statt dem Lieblingsbrot auch mal eine andere Sorte ausprobiert.

Laut Bäcker Langsdorf gab es mit der Corona Pandemie ein Umdenken in Deutschland. Handwerkliches erfahre seither eine neue Wertschätzung und viele Menschen seien wieder eher bereit, für Qualität und eine kleinere Brotauswahl mehr Geld auszugeben. In den Mittelpunkt sei dabei die Regionalität der Produkte gerückt. Der Trend zu mehr Qualität beim Brot äußert sich auch im wachsenden Angebot an Büchern zum Thema Brotbacken und am Interesse an Brotbackseminaren. Die Mitmachseminare des Brot-Ateliers sind Monate vorher ausgebucht. Und auch die vergangenen Brotbackseminare der UGB-Akademie waren stets voll belegt. Für den nächsten Termin am 07.-09.03.2024 sind noch wenige Plätze frei (www.ugb.de/ran-ans-vollkornbrot).

Nachhaltig und besser bekömmlich

Mit dem Kauf von selbst hergestelltem Brot und Backwaren können wir als Verbraucher:innen einen Beitrag leisten, die regionale Produktion der Zutaten zu stärken und ein qualitativ hochwertiges und natürliches Lebensmittel zu bewahren. Denn in Zukunft wird nachhaltiges Handwerk immer wichtiger. Fragen danach, wie klimaverträglich Getreide angebaut wird, welche Getreidearten natürlichen Ursprungs sind, welche Wetterbedingungen notwendig sind, damit Getreide wachsen kann, und wie sich der Boden schonen lässt, werden eine immer größere Rolle spielen.

Der aktuelle Trend zum Handwerk tut nicht nur den Bäckereien gut, sondern auch unserer Gesundheit. Traditionell gebackenes Brot ist oft besser bekömmlich und besser schmeckt es obendrein. Das Konzept von Bäckermeister Marco Langsdorf ist erfolgreich. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft die Schlangen auch vor anderen kleinen Bäckereien mit traditionellem Backwerk wachsen.

Bild © Photoboyko/depositphotos.com

Stichworte: Brothandwerk, Lebensmittelhandwerk, Bäckerei, Nachhaltigkeit, Geschmack, Mühle, Bekömmlichkeit, natürliche Lebensmittel, Lebensmittelverarbeitung


Lebensmittel – einfach anders produzieren Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 6/2024
Lebensmittel – einfach anders produzieren


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