Das Projekt HoMaBiLe: Die wahren Kosten von Lebensmitteln

Die biologische Vielfalt geht dramatisch zurück. Dieser Verlust bedeutet eine existentielle Bedrohung für unsere Ökosphäre. Den dringlichsten Bereich für einen Wandel stellt die Landwirtschaft dar. Das Analysieren der wahren Folgekosten der Lebensmittelproduktion bietet Ansätze für Veränderungen. Das Projekt HoMaBiLe setzt genau dort an.

HoMaBiLe – How much is the dish? – Maßnahmen zur Erhöhung der Biodiversität durch true cost accounting bei Lebensmitteln. Hinter diesem sperrigen Namen steht ein Projekt, bei dem die Universität Greifswald in Kooperation mit der Tollwood GmbH die wahren Kosten von Lebensmitteln betrachtet und Ansätze erarbeitet, wie die sogenannten externalisierten, also ausgelagerten Kosten in die Preise eingehen können. Dabei werden ökologische und soziale Folgekosten untersucht, die derzeit nicht in die Preise von Lebensmitteln integriert sind.

Die wahren Kosten einpreisen

Durch die intensive Landwirtschaft entsteht weltweit ein großer Verlust an biologischer Vielfalt: Vom Menschen gepflanzte Monokulturen, großflächige Landwirtschaftssysteme, die keine Blüh- und Grünstreifen oder Hecken als Korridore für Flora und Fauna bieten, zerschneiden die Landschaft und stellen für Insekten und andere Arten eine unüberbrückbare Hürde dar. Das bedeutet zum Beispiel, dass kein Genaustausch zwischen Populationen stattfindet oder keine Erweiterung eines Territoriums möglich ist. Das stete Abholzen des Regenwaldes für mehr Ackerfläche ist als Problem hinlänglich bekannt und zieht nach wie vor enorme Schäden nach sich. All das spiegelt sich in den Preisen für Lebensmittel nicht wider.

HoMaBiLe bestimmt in einem zweistufigen Verfahren – True Cost Accounting (TCA) genannt – die externen Kosten, die durch die Produktion von Lebensmitteln anfallen. Zuerst werden mittels einer Lebenszyklusanalyse beispielsweise die Mengen an Treibhausgasemissionen ermittelt, die über den Produktzyklus anfallen. In einem zweiten Schritt werden diese mit Kostenfaktoren versehen. So werden Treibhausgasemissionen beispielsweise in CO2-Äquivalenten ausgedrückt und mit dem vom Umweltbundesamt empfohlenen Kostenfaktor von aktuell 201 Euro pro Tonne bewertet. So kann letztendlich ein Preis für die durch den Lebensmittelkonsum entstehenden Umweltschäden errechnet werden. Für Lebensmittel lässt sich so der Unterschied zwischen den aktuellen Verkaufspreisen und den tatsächlichen Kosten aufzeigen.

Neben Treibhausgasemissionen beinhalten die Berechnungen von HoMaBiLe auch die Folgekosten für reaktiven Stickstoff, der unter anderem durch den exzessiven Gebrauch an Düngemitteln auf landwirtschaftlichen Flächen entsteht. Hinzu kommt der mit der Produktion von landwirtschaftlichen Lebensmitteln verbundene Energieverbrauch. Berücksichtigt werden auch Landnutzungsänderungen wie Abholzung, da Ackerflächen im Vergleich zu gerodeten Waldflächen weniger Kohlenstoff binden.

Diese Kosten, die dabei der Gesellschaft und insbesondere zukünftigen Generationen entstehen, werden derzeit nicht in die Preise unseres Essens eingerechnet. Vielmehr bezahlen wir alle dafür, zum Beispiel durch Schäden von Naturkatastrophen oder mit höheren Wasserpreisen. So müssen Abwässer immer aufwändiger und kostenintensiver gereinigt werden, was sie im Endverbrauch teurer macht. Während bei einer Umsetzung von wahren Preisen umweltschädlichere Produkte im Laden einen höheren Preis aufweisen, würden an anderer Stelle durch die Gesellschaft getragene Kosten eingespart, zum Beispiel im Wasserpreis. Die Zuordnung der anfallenden Kosten wäre also fairer und transparenter, sie würden dem Verursacherprinzip (Polluter Pays Principle) entsprechend verursachergerecht getragen.

Bio-Landbau verursacht weniger Folgekosten

HoMaBiLe differenziert auch zwischen konventioneller und biologischer Produktion. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass sowohl konventionelle als auch tierische Produkte ein Mehrfaches ihres derzeitigen Verkaufspreises kosten müssten. Die Grafik weist die berechneten Kostenaufschläge für verschiedene Produktkategorien differenziert nach Anbaupraktik auf (siehe unten). Es zeigt sich, dass ökologische Lebensmittel in allen Kategorien im Schnitt einen geringeren Kostenaufschlag nach sich ziehen als konventionell hergestellte Lebensmittel. Dies ist vor allem in den strengeren Richtlinien für ökologische Landwirtschaft begründet, die weniger natürliche Ressourcen verbrauchen.

Die EU-Öko-Verordnung verbietet beispielsweise die Nutzung von mineralischen Stickstoffdüngern auf ökologisch bewirtschafteten Betrieben. Dadurch fallen die Stickstoffemissionen geringer aus als bei konventionellen Betrieben. Zudem werden ökologische Futtermittel hauptsächlich im eigenen Betrieb oder in regionalen Netzwerken ökologisch produziert, wodurch keine Landnutzungsänderungen (Abholzung) in Übersee stattfinden und Umweltschäden durch Transport oder mineralische Düngung entfallen. Zudem bewirtschaften einzelne Biobetriebe in der Regel kleinere Anbauflächen, was Monokulturen verhindert und in der Regel zu einer besseren Kontrolle und intensiveren Pflege von Anbauflächen und damit zu einer höheren Bodenqualität führt.

Planetare Grenzen stark unter Druck

Es besteht breiter wissenschaftlicher Konsens, dass die derzeitigen Ernährungssysteme weder nachhaltig noch widerstandsfähig sind: Viele landwirtschaftliche Praktiken sind sehr ressourcenintensiv und für etwa ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen sowie für den Verlust großer Teile der biologischen Vielfalt verantwortlich. Die gegenwärtigen Systeme setzen daher die planetaren Grenzen stark unter Druck. Ein höherer Anteil von biologischer Landwirtschaft würde diese Schäden aufgrund seiner strengeren Regularien deutlich reduzieren.

Ziel des HoMaBiLe Projektes ist im ersten Schritt, Transparenz zu schaffen sowie die Ergebnisse an Interessensgruppen (Stakeholder) und Gesellschaft zu kommunizieren, um für mehr Kostenwahrheit innerhalb der Landwirtschaft zu sensibilisieren. Die Tollwood GmbH stellt auf dem Tollwood Festival in München jährlich ausgewählte Forschungsergebnisse aus: 2022 zum Beispiel in Form des Tante Emmas Wahre Kosten-Ladens, der Besucher:innen niederschwellig über die Forschungsergebnisse informierte und sensibilisierte. Der Laden, der sich weiterhin virtuell besuchen lässt, stellt unter anderem die entstehenden Treibhausgase durch konventionellen Tomatenanbau dar, wie viel Wasser der Anbau von Avocados benötigt oder warum Kartoffeln nachhaltig sind (siehe Linktipps).

Die wahren Preise liegen erheblich höher

Durch Projekte wie die Kooperation mit der Supermarktkette Rewe, zu der die Penny-Märkte gehören, werden Konsument:innen direkt am Verkaufsort auf wahre Preise hingewiesen und angeregt, das eigene Konsumverhalten zu überdenken. Dazu haben die Wissenschaftler:innen acht ausgesuchte Produkte der Eigenmarken aus biologischer und konventioneller Erzeugung einer Umweltkostenrechnung unterzogen. Berechnet wurde der Einfluss vier wesentlicher Parameter auf einen nachhaltigeren Preis: Stickstoff, Klimagase, Energie und Landnutzungsänderungen. Besonders groß hat sich hier die Differenz bei tierischen Erzeugnissen aus konventioneller Produktion herausgestellt. Demnach müsste der Verkaufspreis um 146 Prozent höher liegen, um einen Großteil der Umweltbelastungen auszugleichen. Bei Biofleisch wäre ein Aufschlag von 71 Prozent notwendig. Auch Milchprodukte müssten deutlich teurer sein, Gouda-Käse müsste beispielsweise 88 Prozent mehr kosten, in der Bio-Variante müsste das Plus 33 Prozent betragen.

Empfehlungen für die Politik

In einem zweiten Schritt sollen politische Handlungsempfehlungen aus den Forschungsergebnissen abgeleitet werden. Diese sollen die Land- und Ernährungswirtschaft hin zu einem nachhaltigeren und resilienteren System unterstützen. Über die Verantwortung auf politischer Ebene mit der Setzung von Rahmenbedingungen hinaus, wird auch untersucht, inwieweit der Handel und die Konsumierenden bei dieser notwenigen Transformation gefordert sind. HoMaBiLe stellt sich also der Frage, was wer tun müsste, damit sich nachhaltige Produkte und Preise am Markt durchsetzen und umweltschädlichere Wertschöpfungsketten reduzieren.

Geld ist ein unmittelbares, greifbares und global anwendbares Werkzeug zur Steuerung von Kaufverhalten. Bei einer Anpassung von Preisen entsprechend der wahren Preise würde sich der Konsum in Richtung nachhaltigerer Lebensmittel verschieben. Die Einpreisung von Umweltfolgekosten ist also ein einfacher Schlüssel zur indirekten Unterstützung und Förderung von weniger schädlichen Anbau- und Produktionsmethoden. Sie kann dabei unterstützen, Ziele der Biodiversitätsstrategie der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Union zu erreichen. Auch die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen werden so gefördert, um Land- und maritime Ökosysteme zu schützen, wieder herzustellen und ihre nachhaltige Nutzung zu stärken. Wissenschaftliche Untersuchungen des HoMaBiLe-Projekts zeigen, dass das verursachergerechte Tragen von externen Folgekosten von Konsument:innen als sinnvoll empfunden wird. Allerdings sehen sie sich oft finanziell nicht in der Lage, höhere Preise zu bezahlen.

Das Verursacherprinzip konsequent anwenden

Eine Umsetzung der wahren Kosten in der Praxis könnte über verschiedene Hebel erfolgen. Über eine Klimadividende oder eine Stickstoffsteuer könnte beispielsweise mehr Kostenwahrheit erreicht und so dem Verursacherprinzip als Schlüsselziel der Umweltpolitik der EU nähergekommen werden. Auch eine Umstrukturierung von EU-Subventionen könnte zu einer stärkeren Förderung der Bio-Landwirtschaft führen.

Eine vom HoMaBiLe-Team derzeit intensiv beforschte Maßnahme ist die Anpassung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel entsprechend ihrer externen Kosten. Diese Maßnahme wird zum einen seitens der EU-Rahmenrichtlinie als Möglichkeit aufgezeigt und bedingt zum zweiten große Verlagerungswirkungen. Würde die Mehrwertsteuer auf konventionelle Fleischprodukte auf 19 Prozent erhöht und die auf vegetarische Bioprodukte auf null gesenkt, ließen sich durch Verlagerungswirkungen des Konsums und der damit verbundenen Produktion über fünf Milliarden Euro an Umweltfolgekosten einsparen.

Politisch Verantwortliche müssen handeln

Die derzeit vorhandenen Rahmenbedingungen sind Treiber einer Fehlbepreisung von Lebensmitteln und verursachen hohe Umweltkosten. Entsprechend sind Veränderungen durch politische Maßnahmen unerlässlich. Dies kann durch ordnungspolitische Rahmenbedingungen oder positive und negative finanzielle Anreize in Form von Steuern und Subventionierungen erfolgen. Es besteht an dieser Stelle folglich kein Problem seitens der wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern vielmehr ein Problem des Handels.

Die Politik ist daher gefordert, insbesondere die ökologische Landwirtschaft stärker zu fördern, um die selbstauferlegten Ziele der Biodiversitätsstrategien und Nachhaltigkeitsziele erfüllen zu können. Politische Maßnahmen sollten dabei in eine klare und transparente Kommunikation und Aufklärungskampagne eingebettet sein und jegliche Maßnahmen sozial gerecht umsetzen. Das heißt, es darf niemand benachteiligt werden. Mit einer sinnvollen Kombination von Maßnahmen, die sowohl auf die Produktions- als auch die Konsummuster ausgerichtet sind, wäre die Landwirtschaft in der Lage, die Weltbevölkerung nachhaltig zu ernähren.

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Stichworte: Kosten, Preise, Lebensmittel, Biolandbau, Biologische Landwirtschaft, Biologischer Landbau, Mehrwertsteuer, HoMaBiLe


Mikrobiom: Kleine Bakterien groß im Kommen Dieser Beitrag ist erschienen in:
UGBforum 2/2023
Mikrobiom: Kleine Bakterien groß im Kommen


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