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UGB-Tagung 2024: Von Geschmacksverführern bis zu Ernährungsarmut
Essen bedeutet nicht nur genügend Nährstoffe aufzunehmen. Bei der UGB-Jahrestagung am 3./4. Mai 2024 machten die Referent:innen wieder einmal deutlich, was eine nachhaltige Ernährung ausmacht.
Neben den gesundheitlichen Aspekten nahmen sie auch die politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Folgen unseres Essens unter die Lupe. UGB-Geschäftsführer Thomas Männle begrüßte die rund 300 Teilnehmer:innen und sorgte mit einer Plauderrunde von Beginn an für eine stimmungsvolle Atmosphäre. Im ersten Vortrag ging UGB-Dozentin Edith Gätjen auf die Problematik des Gestationsdiabetes ein. Nach aktuellen Zahlen seien 13-14 Prozent der Schwangeren davon betroffen; gut die Hälfte davon entwickelten innerhalb von fünf Jahren sogar einen manifesten Typ-2-Diabtes. Insofern sei ein frühzeitiges Screening und eine angepasste Ernährungsweise absolut angeraten. Auch das spätere Stillen des Kindes vermindere das Risiko, einen dauerhaften Diabetes zu entwickeln.
Auf die psychische und soziale Dimension des Essens machte Dr. oec. troph. Kerstin Marx von der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen aufmerksam. So sei es für den Beratungserfolg unerlässlich, eine ganzheitliche Betrachtung der familiären Essumgebung miteinzubeziehen. Sie riet dazu, in der Beratung die familiären Ressourcen zu entdecken und einen wertfreien Essdialog mit den Familien zu gestalten.
Pflanzliches gegen Demenz
In unserer alternden Gesellschaft nehmen die Demenzerkrankungen zu. PD Dr. Christian Kessler aus Berlin machte deutlich, dass 30-40 Prozent der Risikofaktoren für Alzheimer, der häufigsten Demenzform, potenziell veränderbar seien. Vollwert-Ernährung mit Fokus auf pflanzliche Lebensmittel gelte neben der mediterranen Kost, der Mind- oder DASH-Diät als „brainfitte“ Ernährungsweise. Der Arzt für Naturheilkunde gab den Zuhörenden die Top 10 der neuroprotektiven Lebensmittel an die Hand, bei der Beeren, Blattgemüse und Vollkorn ganz oben mitspielten.
Süßstoffe erhöhen Risiko für Diabetes
Prof. Dr. Peter Schwarz überraschte mit der Aussage, dass ein süßstoffgesüßtes Colagetränk am Tag die Wahrscheinlichkeit an Diabetes zu erkranken, um 60 Prozent erhöhen könne. Denn Zuckerersatzstoffe veränderten das Mikrobiom so, dass letztendlich mehr Leberfett entstünde. Dieses sei das stärkste Risiko für die Entwicklung eines Diabetes und häufe sich oft unbemerkt als Folge eines bewegungsarmen Alltags an. Um das Leberfett zu verringern, sei ein zweiwöchiges Wasserfasten überaus effektiv.
Wer an der Tagung in Gießen nicht teilnehmen konnte, hat beim
Online-Fachtag am 26.06.2024
die Gelegenheit, einige Referent:innen zu erleben.
Programm & Anmeldung
Auf die aktuelle Situation unseres Grund- und Trinkwassers machte PD Dr. Hans Jürgen Hahn aufmerksam. Die Wasserressourcen für Mineralwasser, Landwirtschaft, Industrie und Haushalte würden lokal übernutzt. Dadurch sei das Grundwasser in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen. Der Klimawandel mache diese Folgen umso sichtbarer. Auch die Qualität des Grundwassers verringere sich, weil die Lebensbedingungen für Mikroorganismen und Kleinstlebewesen beeinträchtigt seien, die das Wasser reinigen.
Emotionen bestimmen unser Ernährungsverhalten maßgeblich mit. Prof. Dr. Michael Macht verdeutlichte, dass ein Ernährungsmanagement schwierig wird, wenn die Gefühlsebene nicht berücksichtigt werde. Denn oft werde versucht, Stress und negative Emotionen mit Essen zu reduzieren. Dies kann auch zu pathologischen Manifestationen führen, weshalb in der Beratung die Emotionsregulation stärker berücksichtigt werden sollte.
Ernährungsarmut: Politik ist gefordert
Prof. Dr. Stefan Wahlen von der Justus-Liebig-Universität Gießen referierte zum aktuellen Stand der Ernährungsarmut in Deutschland. Drei Millionen Menschen, darunter vor allem Kinder, Alleinerziehende, große Familien und Rentner:innen, seien hierzulande betroffen. Er sensibilisierte dafür, dass Ernährungsarmut nicht immer sichtbar sei, da Menschen sich zwar Lebensmittel, die den Energiebedarf decken, leisten könnten. Der Zugang zu hochwertigen und nahrhaften Lebensmitteln bleibe ihnen allerdings verwehrt. Er sieht die Politik gefordert, die hierfür notwendigen strukturellen Rahmenbedingungen zu schaffen, sowohl auf Bildungsebene als auch durch den leichteren Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln.
Die Referent:innen Prof. Stefan Wahlen, die systemische Familientherapeutin Edith Gätjen, Artem Sarafanov und Prof. Mathias Fasshauer (von links) standen nach den Vorträgen dem Publikum Rede und Antwort. —
Der wissenschaftliche Leiter der UGB-Akademie, Hans-Helmut Martin, brachte die Zuhörenden in Sachen Fette und Öle auf den neuesten Stand. So wies er darauf hin, dass nicht alle gesättigten Fettsäuren per se ungesund seien. Auch Arachidonsäure, die im Übermaß aufgenommen entzündungsfördernd wirke, sei in physiologischer Menge wichtiger Bestandteil von Biomembranen und werde beispielsweise auch Säuglingsnahrung zugesetzt.
Ballaststoffe für Hirn und Immunsystem
Einen besonderen Einstieg zu seinem wissenschaftlichen Update über Ballaststoffe wählte Artem Sarafanov. Mit der Abbildung einer vor 10.000 Jahren versteinerten Hinterlassenschaft eines Wikingers beeindruckte der UGB-Dozent die Zuhörer:innen. Gut nachvollziehbar stellte der Ernährungswissenschaftler anschließend die aktuelle Forschung zu den anti-inflammatorischen und immunstärkenden Wirkungen der Ballaststoffe dar, ebenso wie ihre Bedeutung als Hirnnahrung.
Warum Aromastoffe echte Geschmacksverführer sind, berichtete der Adipositasforscher Prof. Dr. Mathias Fasshauer. Der Gießener Ernährungswissenschaftler warnte, dass sowohl durch natürliche als auch künstliche Aromen die Geschmack-Nährstoff-Assoziation verloren ginge und zu einem Überessen führe. Industriell verarbeitete Lebensmittel seien somit entscheidende Verursacher von Übergewicht und Adipositas in unserer Gesellschaft.
Mit Vollwert-Ernährung für stabile Knochen
Mit dem Einfluss von Ernährung auf Osteoporose beschäftigte sich UGB-Dozentin Jacqueline Veit. Sie räumte mit dem Mythos auf, dass eine adäquate Calciumversorgung nur mit tierischen Lebensmitteln möglich sei. Vielmehr fördere eine hohe Zufuhr an tierischem Protein die Ausscheidung des wichtigen Knochenbausteins.
Zum Abschluss gaben die Oecotrophologin Isa Dossenbach und der Küchenmeister Franz Sexlinger aus Göttingen Einblick in ihren Arbeitsalltag mit Schüler:innen an berufsbildenden Schulen. Dabei machten sie darauf aufmerksam, dass die Vermittlung von Ernährungswissen und die Umsetzung von Rezepten für Menschen aus sozial schwierigen Situationen anders angegangen werden müsse. Dafür seien vor allem eine praxisnahe Umsetzung, leichte Sprache und haptische Hilfestellungen sinnvoll.
Im nächsten Jahr findet die UGB-Jahrestagung vom 16.-17.05.2025 statt.
Wer an der Tagung in Gießen nicht teilnehmen konnte, hat beim
Online-Fachtag am 26.06.2024
die Gelegenheit, einige Referent:innen zu erleben.
Programm & Anmeldung