Wandel als Chance – Fünf Schritte zu mehr Nachhaltigkeit
Der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität machen Veränderungen in der Gesellschaft unumgänglich. Alternative Lebensziele sind gefragt, die ein glückliches Leben ohne Steigerung des materiellen Wohlstands ermöglichen.
Trotz aufrüttelnder Berichte hat sich die wachstumsorientierte Entwicklung stets einfach weiter fortgesetzt. Wissenschaftler machten schon 1972 mit der Studie des Club of Rome auf die Folgen des grenzenlosen Wachstums aufmerksam. Längst ist klar: Die stetige Zunahme des materiellen Wohlstands und der damit einhergehende Energie- und Ressourcenverbrauch ist mit einer nachhaltigen Entwicklung auf Dauer nicht vereinbar. Doch keiner der Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft verzichtet bisher auf den Wachstumsgedanken.
Die letzten zwanzig Jahre waren für den Klimaschutz daher verlorene Jahrzehnte. Eine Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit war überhaupt nicht in Sicht. Stattdessen wurde eine Haltung des „Alles ist immer verfügbar“ stärker: Eine riesige Marketing-Industrie kreierte eine Konsumerlebnis-Gesellschaft, wie es sie noch nie zuvor gegeben hat. Heute gilt ein 24/7-Anspruch: Alles, was wir wollen, muss möglichst ohne Kauf- oder Beschaffungswiderstand 24 Stunden sieben Tage die Woche zu haben sein.
Folgen des Klimawandels bereits sichtbar
Anders als in der Politik ist eine Veränderung im Verhalten vieler Menschen allmählich spürbar. Ein wichtiger Grund ist, dass die Folgen des Klimawandels jetzt sichtbarer sind und mit Starkregen, Hitze oder Stürmen direkt erfahrbar werden. Um einen Wandel in der Gesellschaft zu erreichen, müssen jedoch fünf Barrieren überwunden werden: das sind Information, Motivation, Planung, Umsetzung und Routinisierung.
Die Informationsbarriere bedeutet, erst einmal zu erkennen, wie groß das Problem überhaupt ist. Viele wissen mittlerweile: Es gibt da ein Klimaproblem. Aber wie groß es ist und was sie tun können, haben sie noch nicht erfasst. Damit sind wir auch schon auf der motivationalen Ebene und die ist der Knackpunkt. Die Motivation und das Gefühl: Ich kann ja doch nichts tun. Denn wie soll der Einzelne bei der Menge an teils widersprüchlichen Informationen wissen, was richtig oder falsch ist? Zudem werden aus dieser dominierenden Alles-Immer-Kultur bewusst Fake News gestreut, da diese sich durch nachhaltige Verhaltensänderungen bedroht sieht.
Bedrohungen können lähmen
Das alles ist nicht sehr motivierend. Seit ein paar Jahren ist eine nachhaltigere Entwicklung als abstraktes Ziel zwar anerkannt, aber in der persönlichen Zielhierarchie gibt es viele andere wichtige Ziele. Beispiele sind soziale Anerkennung, Sicherheit oder der Wunsch nach Urlaubserlebnissen, die den Klimaschutz in den Hintergrund schieben.
Oft werden darüber hinaus zwei Bedrohungsszenarien gegeneinander ausgespielt: Auf der einen Seite heißt es, wenn wir nicht wachsen, geht der Wohlstand verloren. Andere sagen, wenn wir nicht nachhaltig handeln, geht die ganze Welt unter. Es ist aber kontraproduktiv, mit Elend und Verfall zu drohen. Das führt eher dazu, dass Menschen Probleme verdrängen. Zu negative Informationen führen zu Verleugnungs- und Verdrängungsstrategien. Deswegen ist die Vermittlung von Handlungswissen so entscheidend: Was kann ich selber konkret tun?
Persönliche Zielsetzung verändern
Die größte Herausforderung für einen kulturellen Wandel ist, das Nachhaltigkeitsziel in der persönlichen Zielhierarchie weiter oben zu platzieren. Ein kultureller Wandel hat also letztlich immer etwas mit Werten, mit Moral und persönlicher Verantwortung zu tun – auch mit religiösen Orientierungen. Diese können auch in spirituellen Überzeugungen verankert sein. Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen – der Schöpfung – für zukünftige Generationen muss uns wichtiger werden, um unseren Lebensstil nachhaltiger zu gestalten.
Wir sollten daher durchaus ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir der Umwelt schaden. Man muss es nicht Flugscham nennen, aber es sollte mit negativen Emotionen verbunden sein, die Umwelt beispielsweise mit Kurztrips per Flugzeug unnötig zu belasten. Viel wichtiger ist es umgekehrt jedoch, die Nachhaltigkeit mit subjektivem Wohlbefinden zu verknüpfen, also mit positiven Emotionen, um sie höher in der Zielhierarchie zu verorten. Es muss deutlich werden: Wenn ich nachhaltig lebe, kann ich meine Lebensqualität erhalten, vermutlich sogar steigern. Gesundheit, Genuss, Gemeinschaft mit anderen zu erleben, das sind alles Ziele, die man mit Nachhaltigkeit verbinden und gleichzeitig sein Wohlbefinden sichern oder erhöhen kann.
Wohlbefinden ohne materielles Wachstum
Wir sind längst bei der Erkenntnis angelangt, dass stetiges Wachstum im materiellen Bereich nicht zu mehr subjektivem Wohlbefinden führt. Es gibt genügend Möglichkeiten, das Wohlbefinden zu steigern, selbst wenn wir materielle Wohlstandsverluste erleiden sollten. Das können wir durch kulturellen Wohlstand kompensieren, zum Beispiel durch Entschleunigung und Entrümpelung im Alltag sowie eine bessere Balance von individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Zwängen in Familie, Arbeit und Gemeinwesen. Wer hat zum Beispiel heute noch Zeit, sich für mehr Lebensqualität im eigenen Stadtteil einzusetzen? Menschen, die in Sportvereinen, Umweltschutzorganisationen oder sozialen Einrichtungen ehrenamtlich tätig sind, machen es uns vor. Nachweislich wird das Engagement als zutiefst befriedigend erlebt.
Es muss deutlich werden, dass weniger Wachstum und mehr Nachhaltigkeit nicht in Sackgassen führen. Das Nachhaltigkeitsszenario ist in Wirklichkeit gar kein Horrorszenario. Denn es gibt viele Bereiche, die wir gestalten und darin gut leben können. Das kann beispielsweise bei Mobilität und Ernährung der Fall sein, wenn sie mehr auf Qualität als auf Quantität abzielen, oder wenn es uns mehr um das Wachstum der eigenen Persönlichkeit geht als um materiellen Besitz.
Positive Emotionen durch nachhaltiges Leben
Für mehr Nachhaltigkeit braucht es positive Emotionen. Mit einer nachhaltigen Ernährungsweise können wir diese direkt erfahren. So versprechen nachhaltige Lebensmittel mehr Genuss. Regionales Gemüse und Obst schmecken besser, weil sie frischer sind und keinen weiten Weg zurücklegen müssen – gleichzeitig sind sie nachhaltiger. Die Entscheidung für regionale Lebensmittel bedeutet so, positive Erfahrungen machen zu können.
Die Motivation steht im Zentrum des Wandels zu mehr Nachhaltigkeit. Danach schließt mit der Planung die dritte Phase an. Wenn wir dauerhafte Verhaltensänderungen wollen, muss man das planen und von allgemeinen zu konkreten Zielsetzungen kommen. Also zum Beispiel: Nächste Woche Montag fahre ich nicht mit dem Auto, sondern mit dem Bus zur Arbeit. Nur wer solche ganz konkreten Pläne für kleine Schritte im Alltag macht, hat die Chance, etwas zu verändern.
Von der Planung zur Routine
Die vierte Phase ist die Umsetzung. Dafür ist das Schaffen einer Infrastruktur ganz entscheidend, die ein anderes Verhalten unterstützt. Selbst wenn wir hoch motiviert sind, schaffen wir es nicht dauerhaft, unser Verhalten zu ändern, wenn der Aufwand dafür zu hoch ist. Das lässt sich im Bereich des Wohnens oder der Mobilität gut beobachten. Um all die hierfür erforderlichen Infrastrukturen zu ändern, ist politisches Engagement unverzichtbar. Das heißt, es geht nicht nur darum, etwas weniger Auto zu fahren, stromreduzierte Geräte zu kaufen und ein paar Plastiktüten weniger zu benutzen. Die Politik muss die Weichen neu stellen.
Und die fünfte Phase ist die Routinisierung. Wenn eine Verhaltensänderung erstmals erfolgreich vollzogen wurde, sollte sie auch zur Routine werden. Wenn sich die umgebende Infrastruktur stark verbessert, fällt es leicht, das Verhalten zu ändern. Aber in der Übergangsphase braucht man Unterstützung, eine Art Rückfallprophylaxe für den Fall, dass man in alte Verhaltensmuster zurückzufallen droht. Wenn man zum Beispiel doch wieder in den Urlaub fliegt, braucht man Menschen, mit denen man sich austauscht und gegenseitig darin bestärkt, dass trotzdem weiterhin ein nachhaltiges Reiseverhalten erstrebenswert ist.
Das Erreichen der Klimaschutzziele ist noch im Bereich des Möglichen, wenn wir jetzt den Wandel herbeiführen. Dazu brauchen wir keine neuen technologischen Innovationen. Diese sind bereits vorhanden, wir müssen sie nur konsequent anwenden. Gleichzeitig müssen wir die massiven Gegenbewegungen entkräften. So muss beispielsweise der überbordende Konsum, mit dem die jüngere Generation aufgewachsen ist, zurückgedreht werden.
Psychische Ressourcen nutzen
Jeder für Nachhaltigkeit Engagierte, jede Aktivistin muss auf dem langen Weg zu gesellschaftlichen Veränderungen einiges an Frustrationen wegstecken. Darum sind innere psychische Ressourcen wichtig. Aus der Positiven Psychologie lassen sich sechs psychische Ressourcen ableiten, die sowohl mit positiven Emotionen als auch mit einer Orientierung an immateriellen Zufriedenheitsquellen verbunden sind: Genussfähigkeit, Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Sinngebung und Solidarität. Vor allem Genussfähigkeit und Achtsamkeit sind entscheidende Ressourcen, wenn es um die Steigerung nachhaltigen Verhaltens geht. Diese Fähigkeiten sollte man in sich selbst und bei anderen gezielt unterstützen. Dann erhöht sich die Widerstandskraft und man bleibt dabei, sich zu engagieren. Ansonsten kann man leicht über Frustrationen in eine Demotivation bis hin zur Depression geraten. Darum ist es so wichtig, auch sich selbst etwas Gutes zu tun.
Viele machen die wohltuende Erfahrung, dass eine nachhaltigere Lebensweise einfach gesünder ist. Man muss bei Ernährungstrends, beim Konsum oder der Digitalisierung mit ihrer ständigen Erreichbarkeit nicht alles mitmachen. So kann der Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad und der Bahn erholsamer sein als mit dem Auto, auch wenn dafür in der Regel mehr Zeit aufgewendet werden muss. Man gewinnt mehr Lebensqualität und kann an den Menschen in der eigenen Umgebung mehr Anteil nehmen. Die Hoffnung besteht, dass immer mehr Menschen für sich erkennen und erfahren, was sie durch einen vermeintlichen Verzicht auf Konsumerlebnisse alles gewinnen können.
Bild © Cathy Yeulet/123RF.com
Stichworte: Nachhaltigkeit, Klimawandel, Gesellschaft, Wohlstand
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