Gezuckerte Schulmilch – Note »mangelhaft«
Seit Jahrzehnten fördern europäische Regierungen die Versorgung von Schulkindern mit Milcherzeugnissen. Verbraucherschützer kritisieren das laufende Schulmilchprogramm. Denn mit Geldern der EU werden auch gesüßte Milchgetränke subventioniert.
Die Schulmilch hat ihre Wurzeln in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit: Damals half sie im Rahmen der Schulspeisung, die Kinder in Europa aufzupäppeln. Seit den 1970er Jahren ging es beim Schulmilchprogramm aber vor allem um eines: Absatzförderung. Auch heute bezuschusst die Europäische Union (EU) noch die vergünstigte Abgabe von Milch an Schulkinder. Zum Schuljahr 2017/18 legte sie ihr Schulmilchprogramm mit dem aus der Gesundheitsförderung entsprungenen EU-Schulprogramm Obst und Gemüse zusammen. Die Ziele des neuen Programms sind klar formuliert: gesunde Ernährungsmuster und den Verzehr lokaler Erzeugnisse fördern. Förderumfang: jährlich 150 Millionen Euro für Obst und Gemüse und 100 Millionen Euro für Schulmilch. Im Schuljahr 2018/19 fließen davon 10,6 Millionen Euro für Schulmilch nach Deutschland....
Umsetzung ist Ländersache
Hierzulande nehmen bis auf Hamburg und das Saarland alle Bundesländer am Milchprogramm teil. Hauptzielgruppe sind Grund- und Förderschulen (Klassen 1-4). Die Produkt- und Lieferkosten für die Schulmilch werden durch die EU-Gelder zu rund 75 Prozent gedeckt. Die restlichen Kosten finanzieren die meisten Bundesländer aus ihrem Landeshaushalt, zum Teil übernehmen Sponsoren wie Fördervereine die Restkosten. Auf diese Weise bekommen viele Kinder die Milch kostenlos. In Hessen, Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen (NRW) wird die Schulmilch dagegen vergünstigt verkauft. Hier legen die Länder Höchstpreise fest. Ein Viertelliter Schulmilch darf in NRW maximal 30 Cent kosten. Die Länder, in denen die Milch kostenlos verteilt wird, verbieten dagegen ausdrücklich den Verkauf der gelieferten Produkte.
Auch Kakao subventioniert
Milcherzeuger und Molkereibetriebe können sich als Lieferanten in den Ländern bewerben und registrieren lassen. Einrichtungen, die am Schulprogramm teilnehmen möchten, setzen sich mit den zugelassenen Lieferanten in Verbindung und bekommen die Milchprodukte dann direkt geliefert, überwiegend eine Milchportion pro Schüler und Woche. Für die Kühlung und Verteilung der Milch an die Schüler sind die Schulen verantwortlich. Schulmilch darf nicht zur Zubereitung von Mahlzeiten verwendet oder im Rahmen des Mittagstischs verzehrt werden. Sie ergänzt also die von zu Hause mitgebrachte oder in der Schule angebotene Pausenverpflegung der Kinder.
Das neue EU-Schulprogramm schließt seit 2017 die Bezuschussung gezuckerter Milchprodukte aus. So fördern die meisten Länder mittlerweile nur noch Trinkmilch, teilweise auch weitere naturbelassene Milchprodukte wie Naturjoghurt, Buttermilch, Quark oder Käse. Recherchen der Verbraucherschutzorganisation foodwatch ergaben im Schuljahr 2017/18 allerdings, dass Hessen, Berlin, Brandenburg und NRW Ausnahmeregelungen geschaffen hatten, um auch weiterhin gezuckerte Produkte, überwiegend Kakao, subventionieren zu können.
In Deutschland gelten 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen als übergewichtig. Ernährungswissenschaftler und Ärzte machen dafür unter anderem den zu hohen Zuckerkonsum verantwortlich. Konsequenterweise sehen die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für die Schulverpflegung keine gesüßten Milchprodukte vor. Auch die EU begründet ihre neuen Vorgaben für das Schulprogramm mit der wachsenden Zahl übergewichtiger Kinder. Warum also Kakao für Schulkinder, der pro 250-Milliliter-Portion mindestens zehn Gramm zugesetzten Zucker enthält?
Studien mit mangelhafter Methodik
Die betreffenden Länder begründen die Kakao-Förderung damit, dass die meisten Kinder den Kakao der Milch gegenüber bevorzugten. Es ist jedoch zweifelhaft, ob sich gute Ernährungsgewohnheiten ausbilden, wenn Kinder die freie Wahl zwischen Milch und Kakao haben. Die zuständigen Behörden verweisen weiterhin auf Studien, die angeblich zeigten, dass Kakao gesund sei. Kakao steigere die geistige Leistungsfähigkeit, erhöhe den Intelligenzquotient und verursache trotz des Zuckers keine Karies. Foodwatch stieß bei seinen Recherchen auf eine Reihe von Untersuchungen im Auftrag der Milchwirtschaft, die von drei umstrittenen, untereinander eng vernetzten Wissenschaftlern durchgeführt wurden. Bei genauerer Betrachtung lägen diesen Studien winzige Probandenzahlen, zweifelhafte Untersuchungsdesigns und fragwürdige Messverfahren zugrunde. Ihre Ergebnisse seien aus wissenschaftlicher Sicht daher nicht ernst zu nehmen, so foodwatch.
Doch die großen Schulmilchlieferanten nutzen die Ergebnisse geschickt für ihre PR-Zwecke und behaupten etwa, Schokomilch mache mental leistungsfähiger. Denn für die Molkereien ist die Schulmilch vor allem ein Geschäft. In der Diskussion um die Zuckersubvention zitiert das WDR-Fernsehen eine Großmolkerei: Bei Stopp der Kakao-Förderung könne das Unternehmen auch keine ungesüßte Trinkmilch mehr liefern.
Im Sommer 2018 forderte foodwatch in einem offenen Brief die zuständigen Behörden in Hessen, Berlin, Brandenburg und NRW auf, die Förderung von gezuckerten Milchgetränken zu beenden. Bis auf NRW reagierten die Länder. Das bevölkerungsreichsten Bundesland ist ein Schlüsselland für die großen Schulmilchlieferanten. Beinahe die Hälfte der deutschen Schulmilch wird in NRW getrunken. Noch dazu steht das Schulmilchwerk einer der größten Molkereien in Köln. Der Schulmilch-Report von foodwatch zeigt eindrücklich auf, wie eng dort die Verflechtungen von Politik und Milchwirtschaft sind: Die Landesvereinigung Milchwirtschaft NRW ist seitens der Politik damit beauftragt, die von der EU im Rahmen des Schulprogramms begleitenden pädagogischen Maßnahmen wie Unterrichtseinheiten und Projektwochen durchzuführen.
Nutzen eher fraglich
Das Forschungsinstitut für Kinderernährung empfiehlt für Grundschulkinder eine tägliche Aufnahme von 400-450 Gramm Milch einschließlich Milcherzeugnissen, vor allem zur Versorgung mit Calcium. Mit einer Scheibe Käse auf dem Schulbrot und einer Portion Milch im morgendlichen Müsli ist das Soll schon fast erfüllt. Dennoch erreichen mehr als die Hälfte der 6- bis 11-Jährigen die empfohlenen Mengen für Milchprodukte und Calcium nicht. Der Nutzen der Schulmilch ist dennoch fraglich. Kinder, die von Haus aus gut mit Milch und Calcium versorgt sind, verlieren durch die Schulmilch den Appetit aufs Pausenbrot. Und eine Extraportion Milch pro Woche mit einmalig 300 mg Calcium wird die Calcium-Bilanz von schlecht versorgten Kindern kaum verbessern. Die Chance des EU-Schulprogramms liegt darin, dass bei guter Umsetzung in den Schulen, die gelieferte Milch – sowie das Gemüse und Obst – in Kombination mit den von der EU geforderten begleitenden pädagogischen Maßnahmen langfristig dazu beitragen können, dass Kinder gesunde Essgewohnheiten kennen lernen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Produkte naturbelassen sind und der Unterricht nicht von Marketinginteressen geleitet wird.
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Stichworte: Milch, Schulmilch, Trinkmilch, Kinder, Kakao, Zucker, Calcium
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