Fleisch und Fisch noch zeitgemäß?
Sich vegetarisch oder vegan zu ernähren, ist in. Denn der derzeitige hohe Konsum von Fleisch und Fisch belastet die Umwelt und wird von vielen unter ethischen Gesichtspunkten abgelehnt. Haben Fleisch und Fisch in der Vollwert-Ernährung überhaupt noch ihren Platz?
© Tetyana Kulikova/123RF.comDie Vollwert-Ernährung ist nicht prinzipiell eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise. Fleisch und Fisch werden zwar nicht ausdrücklich empfohlen, ein mäßiger Verzehr von 1-2 Portionen pro Woche gilt aber als akzeptabel. Denn Fleisch und Fisch sind ernährungsphysiologisch wertvolle Lebensmittel. Sie tragen insbesondere zur Versorgung mit hochwertigem, gut verdaulichem Protein und den Vitaminen B1, Niacin, B6 und B12 sowie den Mineralstoffen Eisen und Zink bei. Bestimmte Fischarten liefern außerdem Jod und wertvolle Omega-3-Fettsäuren. Unbedingt notwendig sind Fleisch und Fisch dazu allerdings nicht, sie erleichtern aber eine gute Nährstoffversorgung.
Wichtig für Vitamin B12
Der Proteinbedarf kann mit einer ausgewogenen lakto-(ovo-)vegetarischen Kost – das heißt mit Milch (und Ei) – problemlos gedeckt werden. Auch eine vegane Ernährung enthält bei sorgfältiger Lebensmittelauswahl ausreichend Protein. Mit den Vitaminen B1, Niacin und B6 sind Vollwertköstler über Getreide, Hülsenfrüchte, Nüsse und Gemüse unabhängig vom Fleischkonsum in der Regel gut versorgt. Vitamin B12 dagegen ist in bioverfügbarer Form nur in Lebensmitteln tierischer Herkunft enthalten. Verschiedene Studien zeigen, dass zwischen 40 und 50 Prozent, teilweise über 80 Prozent der Veganer einen Vitamin-B12-Mangel aufweisen. Auch Vegetarier sind nicht immer ausreichend versorgt. Mit zwei Portionen Fleisch pro Woche zusätzlich zu den in der Vollwert-Ernährung empfohlenen Mengen an Milch und Eiern lässt sich die Zufuhrempfehlung für Vitamin B12 leichter erreichen als nur mit Milchprodukten und Eiern (siehe Tabelle 1).
Viel Eisen und Zink
Fleisch ist außerdem eine gute Quelle für Eisen und Zink. Die Bioverfügbarkeit aus Fleisch ist für beide Mineralstoffe höher als aus pflanzlichen Quellen. Wer auf Fleisch verzichtet, muss dennoch keinen Mangel fürchten. Durch küchentechnische Maßnahmen wie Einweichen oder Erhitzen, geschickte Kombination von Lebensmitteln – zum Beispiel von eisenreichen mit vitamin-C-reichen Lebensmitteln – und Meiden von Hemmstoffen wie Tanninen aus Kaffee und Schwarztee lässt sich die Verfügbarkeit der Mineralstoffe aus Pflanzenkost deutlich steigern. Bei Lakto-(Ovo-)Vegetariern trägt außerdem gut verfügbares Zink aus Käse und Eiern zur Bedarfsdeckung bei. Für manche Personengruppen kann dennoch ein mäßiger Verzehr von Fleisch sinnvoll sein. So haben Kinder, Jugendliche, Schwangere und Stillende einen erhöhten Eisen- und Zinkbedarf. Außerdem ist bei Frauen im gebährfähigen Alter das Risiko für einen Eisen- und für ältere Menschen das Risiko für einen Zinkmangel erhöht.
Krank durch Fleisch?
Eine zunehmende Anzahl großer Beobachtungsstudien weist darauf hin, dass Personen, die reichlich rotes Fleisch (Rind-, Kalb-, Schweine-, Lammfleisch) und insbesondere daraus hergestellte Fleischwaren verzehren, ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Krebs und damit einhergehend ein erhöhtes Sterberisiko haben. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte im Herbst 2015 rotes Fleisch als wahrscheinlich krebserregend für den Menschen ein, besonders in Bezug auf Dickdarmkrebs; weniger deutlich ist das Risiko für Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs. Verarbeitetes Fleisch, also gesalzene, gepökelte oder geräucherte Fleischwaren, gilt mit überzeugender Evidenz als krebserregend; das Risiko ist aber abhängig von den verzehrten Mengen und deutlich niedriger als das von Rauchen oder Alkohol.
Fleisch ist reich an gesättigten Fettsäuren und Cholesterin, also Substanzen, von denen bekannt ist, dass sie den Fettstoffwechsel ungünstig beeinflussen und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Salzreiche Fleischwaren können den Blutdruck in die Höhe treiben. Das in Fleisch und Fleischwaren enthaltene Häm-Eisen begünstigt die Bildung freier Radikale, die das Erbgut schädigen können. Das gleiche gilt für N-Nitroso-Verbindungen, zum Beispiel Nitrosamine, die aus dem in gepökelten Fleischwaren enthaltenen Nitritpökelsalz entstehen können. Beim Braten, Grillen und Backen von Fleisch können außerdem gesundheitsschädliche Stoffe wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, heterozyklische aromatische Amine und N-Nitrosoverbindungen entstehen. Alle diese Stoffe tragen dazu bei, dass ein reichlicher Verzehr von Fleisch der Gesundheit schaden kann.
Mäßig schadet nicht
Es ist jedoch fraglich, ob ein mäßiger Fleischkonsum von ein bis zwei Portionen pro Woche gesundheitlich nachteilig ist. Studien an Vegetariern und gesundheitsbewussten Nicht-Vegetariern in England und Deutschland zeigten beispielsweise, dass beide Gruppen ein deutlich niedrigeres Sterberisiko aufwiesen als die Allgemeinbevölkerung. Der gesamte Ernährungs- und Lebensstil scheint weitaus bedeutsamer zu sein als die Frage, ob gar kein oder wenig Fleisch auf den Tisch kommt. Verarbeitete Fleischwaren sollten jedoch, wenn überhaupt, eher selten verzehrt und Fleisch möglichst schonend zubereitet werden. Denn je länger und heißer gegart, also gebraten oder gegrillt wird, desto mehr der genannten Schadstoffe können sich bilden.
Unter dem Strich werden für die Erzeugung tierischer Lebensmittel deutlich mehr Ressourcen benötigt und Umweltschadstoffe freigesetzt als für die meisten pflanzlichen Lebensmittel. Denn die Erzeugung von Fleisch, Milch und Eiern ist durch sogenannte Veredelungsverluste besonders ineffizient. Neben natürlichen Ressourcen wie Land und Wasser werden dabei Lebensmittel als Futtermittel verschwendet. Oder auf Ackerflächen für Nahrungsmittel werden Futtermittel angebaut. Angesichts rund einer Milliarde hungernder Menschen weltweit ist dies nicht vertretbar. Unter nachhaltigen Gesichtspunkten schneidet daher eine vegane Ernährung mit Bioprodukten am besten, eine fleischreiche Mischkost mit konventionellen Produkten am schlechtesten ab.
Viehweiden sind wertvoll
Für das Klima und die weltweite Ernährungssicherung liegt die sinnvollste Lösung aber nicht in einem kompletten Verzicht auf alle Lebensmittel vom Tier. Wiederkäuer wie Rinder, Schafe und Ziegen sind in der Lage, Gras in hochwertige Lebensmittel umzuwandeln. Sofern dafür Flächen genutzt werden, die nicht als Ackerland taugen, entstehen sogar Veredelungsgewinne. Eine Ernährungsweise mit einem mäßigen Fleischanteil kann daher bei verfügbarem Weide-, aber begrenztem Ackerland mehr Menschen ernähren als eine vegane Ernährung. Tatsächlich sind nur 29 Prozent der globalen landwirtschaftlichen Nutzfläche Ackerland gegenüber 69 Prozent Dauergrünland; in Deutschland sind rund 30 Prozent der Agrarfläche reines Weideland.
Nachhaltig bewirtschaftetes Dauergrünland bindet zudem große Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre und wirkt damit dem Treibhauseffekt entgegen. Gras ist mittels Photosynthese nämlich in der Lage, ganzjährig Kohlenstoff zu binden und in den Wurzeln zu speichern. Aus den absterbenden Wurzeln bilden Bodenlebewesen wertvollen Humus, der die Bodenfruchtbarkeit erhöht und ebenfalls Kohlenstoff bindet. Werden Rindfleisch und Milch auf der Basisnachhaltiger Grünlandbewirtschaftung erzeugt, sind sie daher nicht klimaschädlich und liefern vielmehr einen wichtigen Beitrag zur Welternährung. Dies gilt aber nicht für Rinder aus Massentierhaltung, die große Mengen ressourcenintensives Kraftfutter verschlingen.
Tiere spielen außerdem in einer nachhaltig betriebenen Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Der ökologische Landbau beruht auf dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft und schließt die Haltung von Tieren explizit ein. Die Anzahl der Tiere ist dabei an die Fläche des Betriebs gebunden, denn die Futtermittel sollen möglichst vollständig auf dem Hof erzeugt, Mist und Gülle vollständig auf den hofeigenen Feldern als Dünger verwendet werden können. Ob ein bio-veganer Landbau, der komplett auf die Tierhaltung und die Verwendung tierischer Dünger verzichtet, tatsächlich möglich ist, ist noch kaum erforscht. Für einzelne Betriebe scheint dies machbar, doch weltweit betrachtet wäre die viehlose Landwirtschaft undenkbar und wird eine wachsende Weltbevölkerung kaum ernähren können.
Problemfall Fisch
Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass weltweit 61 Prozent der Speisefischbestände bis an die Grenze genutzt und 29 Prozent überfischt oder erschöpft sind. Eine 2016 von Meeresbiologen veröffentlichte Studie legt nahe, dass die von der FAO angegebenen Werte das Ausmaß der Überfischung sogar noch unterschätzen. Da die Fischgründe des Nordatlantiks und des Mittelmeeres bereits überfischt sind, legen EU-Fangflotten immer weitere Strecken zurück und fischen zum Beispiel vor der Küste Westafrikas. So wird Millionen Küstenbewohnern dort eine wichtige Existenz- und Nahrungsgrundlage entzogen. Der Schweizer Verein fair-fish schätzt, dass weltweit jeder Mensch höchstens ein bis zwei Fischmahlzeiten pro Monat verzehren dürfte, mehr gebe die Natur gar nicht her. Aquakulturen boomen und liefern weltweit inzwischen die gleichen Erträge wie die Fischerei, nämlich jeweils ca. 90 Millionen Tonnen pro Jahr. Doch viele Aquakulturen arbeiten nicht nachhaltig und sind je nach Fischart und Haltungsform nur teilweise tiergerecht.
Die Deutsche See- und Binnenfischerei sowie inländische Aquakulturen decken nur 12 Prozent der hiesigen Nachfrage ab. Der Rest wird importiert und das nicht selten mit dem klimaschädlichsten Transportmittel Flugzeug. Alle diese Gründe sprechen dafür, dass Fisch als seltene Delikatesse betrachtet und höchstens einmal im Monat verzehrt werden sollte. Wer gelegentlich Fisch genießen möchte, sollte beim Kauf verantwortungsvoll gefangenen Fisch auswählen. Hilfreich sind die Einkaufsratgeber von Greenpeace, WWF oder fair-fish, die im Internet kostenlos verfügbar sind. Unter bestimmten Voraussetzungen ist Fisch aus ökologischen Aquakulturen eine vertretbare Alternative zu Seefisch. Dies gilt vor allem für pflanzen- und allesfressende Fischarten, die kein Fischmehl benötigen wie Karpfen oder Wels im Gegensatz zu Raubfischen wie Lachs oder Forelle, die auf Fischmehl im Futter angewiesen sind. Die aus ökologischer Sicht am ehesten zu empfehlenden Fischarten enthalten jedoch weder relevante Mengen Jod noch Omega-3-Fettsäuren – diejenigen Substanzen, die Fisch ernährungsphysiologisch eigentlich besonders wertvoll machen.
Jodsalz wichtiger als Fisch
Ungeachtet der ökologischen Situation der Fischbestände empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ein bis zwei Portionen Seefisch pro Woche zur Verbesserung der Jodversorgung. Eine Portion Seefisch (à 150 g) pro Woche liefert im Tagesdurchschnitt allerdings nur etwa 20 Mikrogramm (µg) Jod. Das sind nur zehn Prozent der Zufuhrempfehlung von 200 µg Jod pro Tag. Durch die Jod-Anreicherung von Tierfutter sind in Deutschland Milch und Eier inzwischen bedeutsame Jodquellen. Biomilch enthält durch den für Biokühe vorgeschriebenen Raufutteranteil weniger Jod. Im Rahmen der Vollwert-Ernährung tragen Milch und Eier schätzungsweise zu 15 bis 30 Prozent der Zufuhrempfehlung für Jod bei. Vor diesem Hintergrund wird die Verwendung von jodiertem Speisesalz (15-25 µg Jod/gSalz) im Haushalt ausdrücklich empfohlen. Dies ist auch deshalb relevant, da in der Vollwert-Ernährung typischerweise der Großteil der Speisen selbst zubereitet wird und verarbeitete Biolebensmittel meist unjodiertes (Meer-)Salz enthalten. Meersalz enthält mit 0,1-2,0 µg/g kaum mehr Jod als unjodiertes Speisesalz (0,1 µg/g).
Omega-3 ohne Fisch?
Insbesondere fette Fischarten wie Makrele, Hering oder Lachs sind reich an den langkettigen Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA). Diese wirken günstig auf die Blutfettwerte und senken bei reichlicher Zufuhr das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Für den Menschen gelten EPA und DHA als bedingt zufuhrnotwendig, da der Körper sie aus der essenziellen Omega-3-Fettsäure Alpha-Linolensäure (ALS) synthetisieren kann. Allerdings sind die Umwandlungsraten sehr niedrig und von der Aufnahme an Alpha-Linolensäure und Linolsäure abhängig. Als empfehlenswert gilt ein Verhältnis von Linolsäure zu Alpha-Linolensäure von 5:1 oder weniger. In der Realität liegt es mit 10:1 bis 20:1 bei vielen Personen deutlich darüber. Auch in der Vollwert-Ernährung sollten deshalb unabhängig von gelegentlichem Fischverzehr Alpha-Linolensäure-reiche Öle gezielt verwendet werden, ganz besonders Leinöl, aber auch Hanf-, Raps-, Leindotter- oder Walnussöl.
Zeitgemäß bei kluger Wahl
Aus gesundheitlicher, ökologischer und gesellschaftlicher Sicht ist es ohne Zweifel ratsam, tierische Produkte nur in mäßigen Mengen und bevorzugt aus ökologischer Erzeugung zu verzehren. Doch liegt es im Ermessen jedes Einzelnen, ob und in welchem Umfang er tierische Lebensmittel in seine Ernährung integrieren will. Wer aus ethischen Gründen die Haltung und Schlachtung von Nutztieren ablehnt, wird sich für eine vegane oder vegetarische Ernährung entscheiden. Ein moderater Verzehr von tier- und umweltverträglich erzeugtem Rindfleisch (und Milch) ist aus Sicht der Nachhaltigkeit aber durchaus sinnvoll und damit auch zeitgemäß. Dagegen sollte Fisch aus ökologischen Gründen – wenn überhaupt – besser nur einmal im Monat auf den Tisch kommen.
Quelle: Nestle, M. UGBforum 1/17, S. 12-15