Ist Bio noch vollwertig?
Der anhaltende Boom in der Biobranche ist einerseits sehr erfreulich. Die Vorteile einer nachhaltigen Landwirtschaft überzeugen immer mehr Verbraucher und Bauern, aber auch Politiker zum Umdenken und Umschwenken. Andererseits gibt es auch Trittbrettfahrer unter Erzeugern und Anbietern, die in erster Linie wirtschaftlich vom wachsenden Biomarkt profitieren wollen, mahnt Prof. Dr. Claus Leitzmann, Leiter des wissenschaftlichen Beirats des UGB.
Biolebensmittel etablieren sich als fester Bestandteil im Einkaufs- und Ernährungsverhalten der Bevölkerung. Neben den landwirtschaftlichen Betrieben wollen auch Verarbeitungsunternehmen und Händler ein Stück vom wachsenden Biokuchen abbekommen, ohne ihre sonstige Produktionsweise oder Handelspolitik grundlegend zu verändern. Problematisch an der aktuellen Entwicklung ist, dass der größte Teil der zusätzlichen Marktanteile nicht aus der Region, also nicht von deutschen Bauern kommt, sondern überwiegend aus Nachbarländern oder sogar aus aller Welt importiert wird. Außerdem ist zu befürchten, dass die hohen Anforderungen an die Qualität ökologisch erzeugter Lebensmittel, wie sie in den Verbänden des ökologischen Landbaus über Jahrzehnte entwickelt wurden, durch geringere Standards ersetzt werden. Während die Richtlinien der Anbauverbände eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft vorschreiben und die ausschließlich regionale Verarbeitung von Rohstoffen und Futtermitteln anstreben, können Betriebe, die nach der EG-Öko-Verordnung produzieren, sich auf die Haltung größerer Tierbestände konzentrieren und unbegrenzt Rohstoffe und Futtermittel aus dem Ausland einsetzen.
Hinzu kommt ein immer größer werdendes Angebot an stark verarbeiteten Bioprodukten, die als Convenience- und Fertigprodukte auf den Markt drängen. Inzwischen gibt es fast jedes konventionelle Produkt im Lebensmittelsektor auch aus ökologischen Rohstoffen: vom Bio-Schokokuss über die Gemüsekonserve bis zum tiefgekühlten Fertigmenü für die Mikrowelle. Solche Produkte stehen trotz ihrer biologischen Herkunft im krassen Widerspruch zu den Empfehlungen der Vollwert-Ernährung. Denn um von natürlicher Bioqualität sprechen zu können, sollten die Lebensmittel möglichst unverarbeitet und frisch zubereitet werden. Zudem sollte eine nachhaltige und zukunftsfähige Ernährung, wie sie die Vollwert-Ernährung anstrebt, auf die regionale Herkunft der Lebensmittel achten, um lange und energieaufwändige Transporte zu vermeiden.
Biolebensmittel noch nicht das Optimale
Wer annimmt, dass sich Verbraucher über die Ausweitung des Bioangebots in konventionellen Supermärkten und Discountern an die Vollwert-Ernährung annähern könnten, wird wohl enttäuscht werden. Denn die meisten Menschen gehen davon aus, dass mit dem Biolabel auf Produkten bereits das Optimale an Lebensmittelqualität erworben werden kann. Was also tun? Eine Warnung vor dem Einkauf in Supermärkten und Discountern wäre sicher der falsche Weg, denn Biolebensmittel müssen dort angeboten werden, wo die Verbraucher einkaufen. Von der ökologischen Lebensmittelwirtschaft in Deutschland ist allerdings zu fordern, sich wieder viel stärker für eine ganzheitliche Lebensmittelqualität zu engagieren, die neben der ökologischen Erzeugung und Verarbeitung auch die Aspekte regional, saisonal und fair beinhaltet. Es bleibt die Hoffnung, dass sich informierte Verbraucher für den Kauf von Biolebensmitteln entscheiden, die den ganzheitlichen Ansprüchen gerecht werden, wie sie im Konzept der Vollwert-Ernährung verankert sind.
Quelle: Leitzmann C. UGB-FORUM spezial: Vollwert-Ernährung S.43, 2008