Einsatz für mehr Tierwohl

Massenställe mit Biohühnern, das Töten von Küken oder angebundene Kühe – auch bei Biobauern steht die Tierhaltung in der Kritik. Doch in den letzten Jahren hat sich viel getan. Vor allem die deutschen Bioverbände setzen mit neuen Kontrollen und Unterstützung der Landwirte auf Verbesserungen in der ökologischen Tierhaltung.

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Noch nie wurden in Deutschland so viele Fleischerzeugnisse produziert wie im letzten Jahr. Im Vergleich zu 2013 stieg die Menge an geschlachteten Tieren um 1,3 Prozent auf 8,2 Millionen Tonnen an. Auch wenn davon etwa die Hälfte exportiert wird, verzehrt im Schnitt jeder Deutsche über 60 Kilogramm Fleisch im Jahr. Das macht im Leben etwa 1098 Tiere. Und der Großteil dieser Tiere stammt aus Massentierhaltung. Das hat Auswirkungen auf die Umwelt, das Klima und nicht zuletzt auf die Tiere selbst. Trotz des Wissens um diese Problematik und die vielen Lebensmittelskandale der letzten Jahre, wollen laut einer aktuellen, repräsentativen Umfrage der Apotheken-Umschau über 80 Prozent der Verbraucher nicht auf ihr tägliches Stück Fleisch verzichten. Immerhin ist ihnen dabei aber Herkunft und Qualität immer wichtiger. Rund 30 Prozent der insgesamt 2094 Befragten wollen wissen, wo Fleisch und Wurst erzeugt werden und bevorzugen es direkt vom Erzeuger.

Wer bei der ökologischen Tierhaltung aber Bilder von grasenden Kühen auf weiten Wiesen, im Dreck suhlenden Sauen und vergnügt pickenden Hühnern vor Augen hat, der wird enttäuscht. Diese idyllischen Familienbetriebe gibt es zwar auch, aber sie könnten nie den immensen Fleischhunger aller Verbraucher stillen. In der Realität wird auch das Biofleisch immer mehr in Masse produziert. Doch wie ökologisch können diese Mengen hergestellt werden? Und wie artgerecht leben die Tiere dabei?

Auch bei Biotierhaltung nachbessern

Prinzipiell ist es in der ökologischen Tierhaltung deutlich besser um das Tierwohl bestellt als in konventionellen Betrieben. Dennoch besteht auch hier Nachbesserungsbedarf. Die meisten Vorschriften zur Tierhaltung in der EU-Öko-Verordnung beziehen sich auf Futtermittel sowie die Antibiotika- und Hormongabe. Hinsichtlich des Tierwohls haben die neun in Deutschland registrierten Bioverbände wesentlich strengere Regeln. Kritikern gehen aber auch diese oft nicht weit genug. Ferkel werden auch auf Biohöfen oft noch kastriert und männliche Legehennenküken getötet. Zwar müssen die Tiere ganzjährig Zugang zu Außenflächen haben, diese können aber auch aus Beton direkt am Stall sein. Weidegang ist bei den meisten Verbänden nur für Tiere ohne solch einen Auslauf verpflichtend. Auch das seit 2014 geltende Verbot der Anbindehaltung bezieht sich nur auf Neubauten. Kleine Biobetriebe, für die ein Umbau der Stallungen nicht rentabel ist, dürfen die Tiere weiterhin anbinden – vorausgesetzt, es gibt mindestens eine Außenfläche mit Freigang.

In der ökologischen Landwirtschaft können also ökonomische Gründe ebenfalls vor dem Wohl der Tiere stehen. Und wie überall im Leben, gibt es auch hier schwarze Schafe, die das gute Image von Bio zum Leid der Tiere ausnutzen. So gingen in den letzten zwei bis drei Jahren immer wieder Bilder von federlosen Hühnern und Schweinen mit Bisswunden in überfüllten Bio-Mastbetrieben durch die Medien. Das sind zwar extreme Einzelfälle, die aber das Vertrauen der Verbraucher in die gesamte Biobranche schwächen. Darüber ist sich diese durchaus bewusst – und tut etwas dagegen. Gleich mehrere neue Initiativen versuchen aktuell, durch mehr Kontrollen und Aufklärung in den Betrieben das Tierwohl zu stärken.

Neuer Fokus auf Tiergesundheit

Die ökologischen Anbauverbände Bioland, Demeter und Naturland haben im Frühjahr 2013 die AG Tierwohl gegründet. 2014 schloss sich Biokreis an. Ihr Ziel ist es, Verbesserungen in der Tierhaltung zu erreichen und einzelne auffällige Betriebe zu begleiten. Ein Pilotprojekt wurde bis 2014 auf etwa 400 Biohöfen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt und vom dortigen Landwirtschaftsministerium gefördert. Als Basis diente der von Bioland erstellte Leitfaden Tierwohl. Den Initiatoren war es wichtig, das Augenmerk weg von Betriebsunterlagen und schriftlichen Dokumentationen hin zu den Tieren zu verlagern. Der Leitfaden listet je nach Tierart 15-20 wichtige Punkte hinsichtlich des Tierwohls auf. Dazu zählt unter anderem, ob Tiere verschmutzt oder verletzt sind, ihr Ernährungs- und Gesundheitszustand oder wie die Stallungen beschaffen sind. Mit Hilfe dieser Checkliste und Beispielbildern kann eine Beratungskraft die Situation auf dem Hof als optimal, akzeptabel oder inakzeptabel einstufen. Dabei geht es ausdrücklich nicht um gesetzliche Standards der EU-Öko-Verordnung oder Verbandsrichtlinien. Diese haben zwar das Tierwohl als Ziel, richten ihre Definitionen aber hauptsächlich auf die Haltebedingungen. Der Leitfaden Tierwohl schließt hier eine große Lücke. Bisher einzigartig sind dabei die verbandsübergreifenden Kriterien.

Seit 2014 werden als Ergebnis dieser Zusammenarbeit alle tierhaltenden Betriebe der vier Verbände auf die weiterführenden Standards zur Tierhaltung hin geprüft. Die Durchführung erfolgt nun durch die Ökokontrollstellen im Zuge der regulären Kontrolle. Für die Zukunft sind noch ein gemeinsamer Sanktionskatalog bei Abweichungen der Tierwohlkontrolle sowie verschiedene Schulungskonzepte in Theorie und Praxis geplant. Ob sich die anderen Bioverbände anschließen werden, ist nicht bekannt. Hilfestellung zu nötigen Umbauten oder Erneuerungen bieten die Landwirtschaftskammern und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FibL) Projekte GmbH bundesweit im Auftrag der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Mit Fortbildungen und Beratungen sollen Landwirte künftig zudem besser über Tierhaltung informiert werden.

Neue Rassen für die Ökozucht

In der ökologischen Tierzucht werden häufig robustere und langsamer wachsende Rassen eingesetzt. Bei Legehennen und Mastgeflügel waren bislang aber auch die Biolandwirte auf Züchtungen für die industrielle Intensiv­produktion angewiesen. Um aus dieser Abhängigkeit von wenigen, weltweit agierenden Unternehmen zu kommen, haben die Verbände Bioland und Demeter die gemeinnützige Ökologische Tierzucht gGmbH gegründet. Ziele sind beispielsweise eine biotaugliche Geflügelzucht und eine Zweinutzungsrasse, die Eier und Fleisch liefert. Weitere Zuchtziele sind Tiere für eine hundertprozentige Ökofütterung, Auslauf-Eignung, Anpassung an heimische Leguminosen sowie Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Robustheit bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Lege- und Mastleistung.

Bei Tierwohl-Label genau hinschauen

Das Bewusstsein der Verbraucher für Tierhaltung und Tierwohl ist in den letzten Jahren ohne Frage angestiegen. Dennoch kann eine gewisse Labelflut der letzten Jahre die Verbraucher auch verunsichern, anstatt sie in ihrer Kaufentscheidung zu stärken. Denn auch der konventionelle Markt hat das Interesse an der Tierhaltung erkannt und versucht sein Image aufzubessern. Neben dem Deutschen und dem EU-Bio-Siegel sowie den Labeln der Anbauverbände, gibt es bereits das Tierschutz-Label vom Deutschen Tierschutzbund und das Symbol Tierschutzkontrolliert von Vier Pfoten (siehe unten). Diese zwei Labels gibt es seit 2013 auf dem Markt und sind als nahezu gleichwertig anzusehen. Beide laufen über zwei Stufen. Wie von den Labelanbietern betont, entspricht aber erst die zweite Stufe einer artgerechten Tierhaltung. Für Verbraucher ist das nur bei genauem Hinschauen erkenntlich. Zusätzlich existieren Siegel von Firmen, die zum Beispiel Schlachthöfe betreiben. Die sagen aber nichts über das Wohlbefinden der Tiere während der Haltung aus.

Relativ neu ist die Initiative Tierwohl. Sie wurde 2014 von Landwirten, der Fleischwirtschaft und Lebensmittelhändlern gegründet, unterstützt vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Ziel sind bessere Haltungsbedingungen in der Schweine- und Geflügelzucht. Wenn die Landwirte bestimmte Haltungsbedingungen erfüllen, erhalten sie Zuschüsse aus einem vom Lebensmitteleinzelhandel finanzierten Tierwohl-Fond. Vier Cent pro verkauftem Kilogramm Fleisch zahlen die Handelsketten ein.

Der Grundgedanke einer branchenübergreifenden Initiative zwischen Erzeugern, der Fleischbranche und dem Lebensmittelhandel ist zunächst einmal löblich. Experten bezeichnen die Anforderungen aber als nicht weitgehend genug. Neben sieben Grundanforderungen muss sich der Landwirt weitere zwei Wahlpflichtpunkte aussuchen. Diese sind aber nicht zwingend am sinnvollsten für die Tiere. Auf ein Label wird nach eigenen Angaben bewusst verzichtet, um den Verbraucher nicht weiter zu überfordern. Allerdings ist Fleisch der Initiative Tierwohl nicht zu identifizieren, wenn es in der Fleischtheke zum gleichen Preis neben dem übrigen Angebot liegt.

Bessere Tierhaltung angemahnt

Durch die Bilder von teilweise katastrophalen Haltungsbedingungen sind Verbraucher hinsichtlich Tiergerechtigkeit und Tierschutz deutlich sensibler geworden. Dadurch sehen sich die Landwirte gezwungen, ihre Haltungssysteme mehr auf die Bedürfnisse der Tiere auszurichten. Auch ein aktuelles Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik der Bundesregierung betrachtet die industrielle Tierproduktion als nicht zukunftsfähig und fordert hier eine stärkeres Engagement von Politik und Wirtschaft. Bleibt abzuwarten, ob die Politik entsprechende Regelungen zur Tierhaltung auf den Weg bringt. Bis dahin liegt es an den Verbrauchern, durch ihre Kaufentscheidungen das Wohl der Tiere zu unterstützen.

Quelle: Fischer J. Einsatz für mehr Tierwohl. UGBforum 03/2015 S. 114-116